Alle Ausgaben / 2008 Andacht von Inge Heiling

Maria liest auch

Andacht über Weggefährtinnen

Von Inge Heiling


Nach der Lektüre des Buches „Frauen, die lesen, sind gefährlich. Lesende Frauen in Malerei und Fotografie“ schaue ich – mit Freundinnen, die ich damit angesteckt habe – nach Postkarten und anderen Darstellungen mit lesenden Frauen. Dabei bin ich überrascht von der Fülle. Was mir  verstärkt ins Auge fällt, sind die vielfältigen Darstellungen der lesenden Maria durch die Jahrhunderte.


Zur Vorbereitung:

Wer sich auf das Thema einlässt, krame in Büchern, Kartenbeständen und wird sicherlich fündig. Die Teilnehmerinnen können auch vorher gebeten werden, „Fundstücke“ mitzubringen. Diese  werden in die Mitte gelegt.


Lieder:

Du meine Seele singe (in der „Frauenfassung“ aus: Singen von deiner Gerechtigkeit, S. 98; Text in ahzw 1-2007, S. 21f.) Magnificat (Taizé-Kanon, u.a. in vielen landeskirchlichen Teilen des EG)


Ablauf

Begrüßung


Wir beginnen und erbitten die
Geistkraft Gottes:
(Im Kreis stehend)
Geist des lebendigen Gottes

(Arme und Hände nach oben)
erfrische mich wie Tau am Morgen
(Hände am Körper herab gleiten lassen)
öffne mich
(Hände offen nach vorn halten)
fülle mich
(Hände zu einer Schale formen)
bewege mich.
(Hände über Kreuz vor die Brust halten)

Dies kann einmal vorgesprochen und dreimal gemeinsam wiederholt werden, um es zu verinnerlichen.

Die lesende Maria begegnet uns durch die Jahrhunderte in der darstellenden Kunst – auf Gemälden, in Stein gehauen, in Holz geschnitzt. Die Künstler haben sich einfach vorgestellt: Maria muss ihre Bibel gekannt haben. Bei der Verkündigung durch den Engel hat sie oft ein Buch in der Hand, eine Hand auf dem Buch, ein Buch vor sich liegen. Wir sehen Maria konzentriert, ernst, bei sich mit ihren Gedanken, sicherlich auch das Gelesene reflektierend und sich die Texte damit aneignend.

Impuls zum Gespräch: Was bedeuten mir Bücher? Wer hat mich an Bücher, an das Lesen herangeführt?

Ich bin meiner Mutter sehr dankbar dafür, wie sie mich an Bücher und an das Lesen herangeführt hat, obwohl Bücher nach dem Krieg nicht gerade Vorrang in der Familie hatten.

In der Kunst gibt es viele Darstellungen, in denen Anna ihre Tochter Maria mit einem Buch, der Bibel, vertraut macht. In der gotischen Anna-Selbdritt-Skulptur (1) aus Eichenholz im Kloster St. Gertrud der Benediktinerinnen in Alexanderdorf sitzt, zwischen Anna und Maria, der Sohn auf Marias Schoß. Anna hält ihren Enkel an der Hand, Maria hält ebenfalls schützend das Kind. Drei Generationen machen sich mit der Bibel vertraut.

In der Wilsnacker Pilgerkirche St. Nikolai steht die Skulptur der Maria, an ihrer Seite der zwölfjährige Jesus mit der Bibel in der Hand. Marias Hand weist auf die Bibel. Maria gibt weiter, was sie von ihrer Mutter gelernt hat. So stellen wir es uns vor: Die lesende Maria war vertraut mit den Geschichten des Ersten Testaments, kannte die Verheißungen der Propheten. Und sie wird selber zur Prophetin. Durch ihr Wissen kann sie bei dem Ereignis der Verkündigung Rede und Antwort stehen, kann Ja sagen zu dem, was ihr verheißen wird. An etlichen Stellen im Zweiten Testament wird von ihr gesagt: Und sie bewegte alles in ihrem Herzen. Das heißt wohl, sie verinnerlichte es, aber auch: sie reflektierte es, um zu einer eigenen Meinung zu kommen.

Wir Protestantinnen haben uns ja schwer getan mit dieser Maria, der Mutter Gottes, der Himmelskönigin, zu der sie von Männern gemacht wurde, die so erhaben und weit weg thronte. Die Auseinandersetzung mit der Frau Maria, mit ihren Träumen, Wünschen und Visionen hat sie vielen wieder näher gebracht.

Das Magnifikat, das ihr in den Mund gelegt wurde, zeugt davon, dass Maria Gebete und Psalmen aus der Tradition bekannt waren.

Meine Seele lobt die Lebendige,
und mein Geist jubelt über Gott, die
mich gerettet hat.
Sie hat auf die Erniedrigung ihrer Sklavin
geschaut. Seht, von nun an
werden mich alle Generationen
glücklich preisen, denn Großes hat die
göttliche Macht an mir getan,
und heilig ist ihr Name.
Ihr Erbarmen schenkt sie von
Generation zu Generation
denen, die Ehrfurcht vor ihr haben.
Sie hat Gewaltiges bewirkt.
Mit ihrem Arm hat sie die auseinander
getrieben,
die ihr Herz darauf gerichtet haben,
sich über andere zu erheben.
Sie hat Mächtige von den Thronen
gestürzt und
Erniedrigte erhöht.
Hungernde hat sie mit Gutem gefüllt
Und Reiche leer weggeschickt.
Sie hat sich Israels, ihres Kindes,
angenommen
und sich an ihre Barmherzigkeit
erinnert,
wie sie es unsern Vorfahren zugesagt
hatte,
Sara und Abraham und ihren
Nachkommen für alle Zeit.“ (2)

Das Magnifikat ist ein Protestlied, eine politische Kampfansage. „Dadurch ist sie eine starke Frau, die die Menschen nicht klein und auf ihren traditionellen Platz hält. Ihre Gestalt bewirkt gerade, dass Menschen ihr Selbstwertgefühl zurückgewinnen und gegen jene aufstehen, die es bedrohen. Damit steht Maria für Geborgenheit und Auftrag, für Trost und Aufstand, für Fürsorge und Herausforderung. Gerade dann kann sie den mühsamen Weg zu einem neuen Selbst an Verständnis und eine neue Identitätsfindung von Frauen zum Ausdruck bringen.“ (Catharina  Halkes)

Es gibt Darstellungen der lesenden Maria, die einiges am traditionellen Rollenbild verändern. In der Weihnachtsgabe 2007 der Evangelischen Frauenhilfe in Deutschland gab es ein Bild, das Maria im Bett lesend zeigt, während Josef das Kind auf dem Arm hat. Und Martina Backes entdeckte eine lesende Maria auf der Flucht nach Ägypten: Maria sitzt auf dem Esel und liest, Josef führt den Esel und hat das Kind auf dem Arm. (Flämische Buchmalerei ca. 1475)

Lesen bildet nicht nur und „gefährdet die Dummheit“, wie es in einer Reklame heißt. Lesen hilft zur Auseinandersetzung mit uns selbst, unserer Geschichte, unserem Rollenverständnis, unserem Glauben, unserer Tradition. Daraus erwachsen Hoffnungen und Visionen, von und aus denen wir leben, die uns und andere stärken.

Impuls zum Gespräch: Jede nehme sich ein „Fundstück“ aus der Mitte und  nehme Kontakt mit der Maria auf: Was geht mir dabei durch den Sinn?

Wir singen das Magnificat.


Gebet:

Gott, wir wissen,
Du begleitest auch uns auf unseren
Wegen,
w
ie Du die Frauen und Männer der
Bibel begleitest hast.
Du schenkst uns WeggefährtInnen, die
mit uns gehen,
Wegweiser, die uns weiterhelfen und
die Richtung zeigen,
und Wegzehrung, die uns stärkt.
Bewege uns,
unterstütze unsere Lebensbe-Weg
-ungen,
sei uns auf unserem Lebensweg nahe
und begleite uns. (3)


Segen:

Dazu segne euch Gott und schenke euch ihr (sein) Erbarmen.
Sie (er) fülle euch mit Gutem, wie sie (er) es euren Vorfahren zugesagt hatte, Sara und Abraham und ihren Nachkommen für alle Zeit.

Inge Heiling lebt als Pastorin i.R. in Berlin. Zuvor war sie Theologische Leiterin des Ökumenischen Frauenzentrums Evas Arche e.V., Berlin. Von 2000 bis 2007 war sie Mitglied im Präsidium der Ev.  Frauenarbeit in Deutschland (EFD).


Anmerkungen

1 Zum Motiv der „Anna Selbdritt“ vgl. den Beitrag „Gottes Kraft in der Mütterlichkeit“ von Gudrun Schmiedeberg in ahzw 1-2006: Mutter – Bilder im Wandel, S. 14-21.
2 Lk 1,46-56 in der Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache
3 Ursula Schell, aus: Benedikta Hintersberger, Andrea Kett, Hildegund Keul, Aurelia Spendel (Hgg.): Du bist der Atem meines Lebens. Das Frauengebetbuch.  Ostfildern (Schwabenverlag) 2006, Koproduktion mit KlensVerlag Düsseldorf


Verwendete Literatur

Andrea Günter (Hg.): maria liest. das heilige fest der geburt, Rüsselsheim (Christel Göttert Verlag) 2004

Antje Schrupp: Die biblische Maria. Vortrag am 10.11.2005 im Diakonissenhaus Frankfurt

Johannes Thiele (Hg.): Die andere Maria. Neue Zugänge, Freiburg Basel Wien (Herder Verlag) 1987
Christiane Winkler OSB: Anna Selbdritt. Von der  stillen Kraft einer gotischen Skulptur, Benediktinerabtei St. Gertrud, Alexanderdorf 2003

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