„Im Lichte ihrer Macht werden die Frauen dann ihren wirtschaftlichen Kampf führen und schneller den notwendigen Einfluss auf Kultur und Geschick ihres Vaterlandes erhalten. Hier nützen nicht anerkannte Tugenden! Die unumstößliche Tatsache bleibt: Die Göttin der Freiheit und Macht fußt auf einer goldenen Kugel!“ Und diese „goldene Kugel“ versuchten einige Frauen zu Beginn unseres Jahrhunderts ins Rollen zu bringen und für frauenpolitische Belange zu nutzen. Eine Möglichkeit, um Freiheit und Macht für Frauen zu erlagen, sahen sie im Aufbau eines eigenen Kreditinstituts.
Nach intensiven Vorarbeiten öffnete 1910 in Berlin die „Genossenschaftsbank selbständiger Frauen“, die spätere „Frauenbank“ ihre Pforten. Ihre Dienste stellte sie Kundinnen aus allen Schichten der Bevölkerung zur Verfügung; neben der Betreuung in Geldangelegenheiten bot sie auch Unterstützung bei rechtlichen Fragen und gab eine eigene Zeitschrift mit dem vielversprechenden Titel „Frauenkapital – eine werdende Macht“ heraus.
Auch wenn das von Frauen geleitete Kreditinstitut nur wenige Jahre Bestand hatte und bereits 1916 seine Arbeit ganz einstellen musste, so verdient es doch unsere Beachtung. Bedenkt man, dass an der Wende zum 20. Jahrhundert Frauen im Bankgewerbe kaum vertreten waren und dass noch heute „Frauen, die Millionen verwalten“, wie Marlene Kück schreibt, nur die berüchtigte „Stecknadel im Heuhaufen“ sind, so wird deutlich, wie mutig der Schritt der Berliner „Bankerinnen“ in die Selbständigkeit war. Schlechtere Startbedingungen – höhere schulische und qualifizierte berufliche Bildung waren Frauen zu Beginn des Jahrhunderts noch weitgehend verschlossen – und die frauenfeindlichen Argumente vom weiblichen Wesen, das für abstrakte Arbeit nicht tauge und der schwachen physischen Konstitution, die dem täglichen Bankgeschäft nicht standhalte, erschwerten diesen Schritt.
Aus Kreisen der männlichen Kollegenschaft wurden gar Stimmen laut, Frauen die Tätigkeit im Bankgewerbe ganz zu verbieten: „Die Weiberwirtschaft einiger hiesiger Großbanken ist sehr zu verwerfen. … Damen passen überhaupt nicht in den Bankbetrieb oder sollten wenigstens nur in besonderen Räumen beschäftigt werden. … Das weibliche Geschlecht untergräbt unseren Ruf vollständig“. Doch von diesen Aussagen ließen sich die Berlinerinnen nicht abschrecken, sie vertrauten auf ihre eigene Kraft und auf die Unterstützung aus der Frauenbewegung. Immer wieder betonten sie die Notwendigkeit, sich in der Finanzwelt zu behaupten und „ihre Geld- und Vermögensgeschäfte nicht lediglich durch die Hände der Männer gehen zu lassen.“.
Auf das Novum der rein weiblichen Leitung der „Frauenbank“ wurde stets selbstbewusst in der Öffentlichkeit verwiesen, lediglich in den einzelnen Abteilungen arbeiteten auch Männer mit. An exponierter Stelle waren jedoch außer Erich Falk, dem Mitherausgeber der bankeigenen Zeitschrift, keine Männer in dem Unternehmen zu finden. Frau von Wunsch, geb. von Fleming, und Anni Hoffmann leiteten die Bank, Aufsichtsratsvorsitzende war zunächst Lili von Basewitz, später übernahm Marie Raschke ihre Position. Über die beiden Leiterinnen und die erste Aufsichtsratsvorsitzende ist bis heute leider nichts bekannt. Auch von Emma Stropp, die neben dem männlichen Kollegen und Marie Raschke als Schriftleiterin der Zeitschrift verantwortlich zeichnete, wissen wir fast nichts. Als 1915 das „Frauenkapital“ sein Erscheinen einstellen musste, setzte sie ihre journalistische Tätigkeit fort und arbeitete bei verschiedenen Frauenzeitungen mit.
Die heute bekannteste unter den Bankfrauen ist die Aufsichtsratsvorsitzende Marie Raschke, 1850 geboren, kam sie Ende der siebziger Jahre nach Berlin, um sich dort auf das Lehrerinnen-Examen vorzubereiten. Nach bestandener Prüfung arbeitete sie als Lehrerin und schloss sich der bürgerlichen Frauenbewegung an. Sie arbeitete in verschiedenen Studentinnen- und Lehrerinnenvereinen mit und trat dem „Verein Frauenwohl-Berlin“ bei, in dessen Vorstand sie 1898 gewählt wurde.
Ihr Hauptinteresse galt Fragen der rechtlichen Gleichstellung der Frau. „Die Frauenfrage ist zwar zum großen Teil Nahrungsfrage, aber vielleicht in noch höherem Maße Kulturfrage … in aller erster Linie aber ist sie Rechtsfrage“. Diese von Anita Augsspurg formulierte Grundposition der radikalen Frauenrechtlerinnen teilte auch Marie Raschke. Sie gehörte in den 90er Jahren zu jenen Frauen, die sich bei der Neufassung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) aktiv in die Diskussion einmischten. Den Entwurf des BGB hielt sie für völlig unzureichend, ihre Kritik galt der „minderen Rechtstellung der Frau, die eine volljährige Frau mit Eingehung der Ehe auch in bezug auf ihre außerhäusliche Tätigkeit dem vorherrschenden Willen des Ehemannes unterwarf, sie hinsichtlich ihres Vermögens nach dem statuierten gesetzlichen ehelichen Güterrecht auf die Rechtsstufe der Minderjährigen stellte, … kurz- ein Unrecht gegen die Frau der neuen Zeit.“
Gemeinsam mit Sera Proeiß formulierte sie ihre Kritik, die als Begleitschrift zur Petition des „Vereins Frauenwohl“ an alle Reichstagsabgeordneten geschickt wurde. Die groß angelegte Kampagne gegen den Entwurf des BGB, der „Frauen-Landsturm“, bezog sich insbesondere auf all diejenigen Paragraphen, die dem Mann das alleinige Entscheidungsrecht über alle Fragen des gemeinsamen Ehelebens – auch das Verwaltungs- und Nutzungsrecht am Vermögen der Ehefrau – einräumte. Weiterhin kritisierte sie, dass die väterliche Gewalt als letzte Instanz der elterlichen Gewalt betrachtet wurde und forderte eine Änderung der Rechtsstellung der nichtehelichen Mütter und ihrer Kinder.
Marie Raschke gehörte der Rechtskommission des Dachverbandes der bürgerlichen Frauenbewegung, dem „Bund Deutscher Frauenvereine“ (1898) an. Sie setzte sich auch dafür ein, dass auf dem großen „Internationalen Frauenkongress“ in Berlin 1896 ein ganzer Tag der Erörterung rechtlicher Fragestellungen gewidmet wurde. Die Überzeugung, dass „die Rechtskenntnis fast so notwendig ist wie das tägliche Brot“, begründet ihr umfangreiches Engagement auf rechtlichem Gebiet.
Um ihre Rechtskenntnisse zu vertiefen, begann sie 1896 an der Berliner Universität ein Studium der Rechtswissenschaften. Da Frauen in Deutschland ein reguläres Studium noch bis 1908 verwehrt blieb, war sie auf die Erlaubnis angewiesen, als Gasthörerin an den Vorlesungen teilzunehmen. In der Schweiz setzte sie ihr Studium fort und schloss 1899 in Bern mit dem Doktor jur. ab. Ihre dort erworbenen juristischen Kenntnisse erwiesen sich für das spätere Unternehmen „Frauenbank“ als von zentraler Bedeutung, als Leiterin der juristischen Abteilung der Zeitschrift „Frauenkapital“ klärte sie die Kundinnen regelmäßig über rechtliche Probleme auf.
Darüber hinaus hatte sie bereits ab 1900 die „Zeitschrift für populäre Rechtskunde“ ins Leben gerufen, um Frauen und Männern „die ihnen zum erstenmal gebotene Gelegenheit, sich in eingehendster Weise mit dem gesetzten Recht bekannt zu machen, zu benutzen und dadurch sich reif zu machen zur fruchtbringenden Anteilnahme am Ausbau des nationalen Rechtes, damit dieses ein Recht werde, das „unverfälscht aus dem nationalen Rechtsbewusstsein heraus geboren ist.“ Als Begründerin und Leiterin der „Zentralstelle für Rechtsschutz der Frau“ in Berlin war sie mit rechtlichen Problemen der Frauen bestens vertraut, von 1907 bis 1912 betreute sie auch die „Rechtsauskunft für die Frau“ des „Berliner Lokalanzeigers“.
Die engagierte und frauenbewegte Juristin starb kurz vor ihrem 85. Geburtstag (1935) in Berlin. Eine feste berufliche Anstellung als Juristin blieb Marie Raschke noch verwehrt, erst ihre Nachfolgerinnen konnten als Anwältinnen, Richterinnen oder Staatsanwältinnen arbeiten. „Die ersten Juristinnen“, so hatte sie selbst die Rolle der Pionierinnen beschrieben, „müssen sich bescheiden, gewissermaßen ein Opfer bringen für ihre Mitschwestern und ihren Nachfolgerinnen die Wege ebnen.“ Eine wichtige Wegbereiterin für nachfolgende Juristinnengenerationen war Marie Raschke sicherlich. Bescheiden aber trat sie niemals auf, ihr Engagement bei dem Unternehmen „Frauenbank“ zeugt vielmehr von außerordentlichem Mut, großem Tatendrang und hohem Selbstbewusstsein.
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