Nein, ich weiß nicht, ob ich einen Missionsabend besucht habe. Gut, das Thema lautete: „10 Gebote“. Doch hätte man unter diesem Titel zur Mission geladen, es wären wohl die üblichen Verdächtigen gekommen.
Eine Handvoll ältere Menschen, bestenfalls strahlend, doch mit dem steingrauen Hauch von Stadtmission und Bibelkreis. Selbst ein paar eingestreute Liedstrophen, begleitet von drei Gitarrengriffen oder einem Harmonium, hätten an einem solchen Missionsabend kaum für ein volles Gemeindehaus gesorgt. Soweit jedenfalls das Klischee …
Ganz anders in der SAP-Arena in Mannheim. Hier wuselt eine bunte Schar junger Leute, Kapuzenpullis und Miniröcke, neben ein paar Plus-Fünfzigern wie mir. Das Ereignis liegt bereits einige Monate zurück, doch ich weiß es noch genau. Denn es ist selten genug, dass Kirche groß denkt. Doch ja, es war ein Großereignis, ein Event: das Pop-Oratorium „10 Gebote“. Jetzt sage mir keiner: „Events, warum wir jetzt auch noch?“ Denn wir, will sagen Christinnen und Christen, waren immer schon dabei. Selbstredend zu Zeiten, als das Wort Event noch nicht in aller Munde war. Aber jedwede Eventkultur ist im Grunde aus dem Kultus entstanden. Die ersten Schauspiele wie etwa griechische Götterspiele waren kultisch motiviert. Und bis heute werden Spektakel jeder Art religiös inszeniert. Ob Madonnas Bühnenprogramm oder die Apple-Präsentationen des seligen Steve Jobs. Auch jeder Gottesdienst bietet eine liturgische Inszenierung, Kirchentage sowieso.
Und im Jahr der Kirchenmusik 2012? Events, ja bitte! Jesus kann rocken, das war die Devise. Doch wie? Zum Beispiel eben in diesem Musical. Jede und jeder konnte im Hintergrundchor mitsingen. Miterleben und Mitfiebern, das war und ist der Anfang des Erfolgs. Die Idee der „Creativen Kirche“, geboren zur Kulturhauptstadt RUHR 2010, zog: Ein Musical zum Mitmachen von den namhaften Profis Dieter Falk und Michael Kunze. In mehr als 40 Städten wurden die „10 Gebote“ bislang als Pop-Event präsentiert. Auch die SAP-Arena Mannheim war ausverkauft. Und eins vorweg: Das zumeist junge Publikum hatte sichtlich Spaß. Wer hätte das bei diesem biblisch-klassischen Thema gedacht?
Die rund 3.000 badisch-pfälzischen Sängerinnen und Sänger schwärmten von der Erfahrung im „größten Musical-Chor aller Zeiten“. „Das größte Konzert meines Lebens“, freut sich auch einer der Chorleiter, beauftragt für Popularmusik, der zwischen seinen klassischen Kirchenmusikkollegen ein milde belächeltes Dasein fristet. Jetzt also endlich mal die große Bühne. Soweit, so begeisternd.
Doch es gab auch Ernüchterndes zu beobachten. Um bei der Masse der Ehrenamtlichen zu bleiben: Die „Engelchöre“ hätten wahrlich mehr Beflügelndes verdient. Sie durften eher einstimmig schreien denn singen. Und mehr als Goldfolie-Geraschel und Geschunkel gab's kaum für sie zu tun. Schade eigentlich. Hier wären mehr Phantasie, Regie und Dramaturgie gefragt gewesen.
Auch dem wahrlich zahlreichen und sangeswilligen Publikum traute man wenig zu. „Mal gespannt, wie 13.000 Leute später gemeinsam singen“, hieß es anfangs. Doch der Chor sang nach der Pause beinahe allein. Denn da war niemand, der das Einsingen und Mitsingen des Publikums in die Hand genommen hätte. Das erste Dirigentenpult blieb leer. Und damit verpuffte auch die Lust am gemeinsamen Singen. Vielleicht lag´s ja auch am Lied. „Aus tiefer Not schrei ich zu dir.“ Himmel, nicht gerade ein Schlager, besonders für junge Leute. Doch das Gesangbuchlied war mit dem Kirchenjahr gesetzt. Und entsprechend eingeführt und mit Leidenschaft geschmettert, wäre es vielleicht sogar mit der Jugend singbar geworden. Aber ohne Anleitung sangen leider nur einige der Älteren zaghaft mit. „Aus tiefer Not“ blieb notgedrungen ein Fremdkörper.
Das Mitschnippen, -klatschen oder -singen gehört jedoch zu einem gelingenden Event, ist sozusagen Teil der Mission, insbesondere bei einem Mitmach-Musical. Doch dieses Miteinander will gewollt und animiert sein. Ein Event will – nomen est omen – erlebt sein. Mit größtmöglicher Gemeinschaft und Gänsehautgefühl. Für mein Gefühl gab's davon in Mannheim zu wenig. Und nicht nur dort, denn angesichts der jüngeren deutschen Geschichte überwiegen weithin die Vorbehalte gegenüber jeder Form von Massenbewegung. Die Initiatoren der „Creativen Kirche“ hatten es indes anders im Sinn, setzen bewusst auf Emotionen und auf Menschen, die sich mit dem Spiel auf der Gefühlsklaviatur auskennen.
Die Macher der „10 Gebote“ sind dahin gehend kompetent und prominent. Komponist Dieter Falk etwa, der auch für die Gruppe „Pur“ komponiert hat. Er serviert in diesem Poporatorium fett Poppiges, rockige Gitarren neben Softgeigen. Heraus kommt ein gekonnter Musical-Mix, durchaus mit einigen Ohrenschmeichlern. Was weniger schmeichelt, ist allerdings die dünne Dramaturgie samt moralinsaurer Schwarz-Weiß-Malerei. Das, so beobachte ich, ist ein häufiges Manko christlicher Events: Die präsentierte Weltsicht ist häufig mehr als einfach und eindimensional. Das Gut-Böse-Schema lässt kaum Raum für differenzierte Wahrnehmung der Wirklichkeit. Schwarz-Weiß dominiert alle Grau-Töne. Für Sünder und zugleich Gerechte im lutherischen Sinne ist da kein Platz.
Die bestens inszenierten Gottesdienst-Shows der Massenkirchen in den USA, teils auch die Pfingstbewegungen hierzulande zeigen das wohl am deutlichsten. Sie wirken charismatisch, begeisternd und bewegend. Die Inhalte indes bleiben häufig oberflächlich konservativ, biblische Aussagen kommen teils platt daher, oft begleitet von enger Moral, zumeist Sexualmoral. Und all das mündet nicht selten in ein triumphales Christus-Bekenntnis. „Jesus, Jesus, Jesus.“ Ähnliche Beschwörungen habe ich bei Jugendevents bekennender Christen erlebt. Ein beeindruckendes Engagement einerseits. Die Show – da lässt sich einiges lernen – hervorragend. Perfekte Technik und Inszenierung, die Musik modern, doch die Inhalte? Oft eher mittelalterlich. Meine Erfahrung: Gerade die Weltabgewandten nutzen das ganze Spektrum weltlicher Showkunst. Es empfiehlt sich, genau und kritisch hin zu sehen.
Nochmals zurück zum Pop-Oratorium „10 Gebote“. Klar, ohne ein wenig Klischee geht's auf der großen Bühne kaum. Auch nicht in diesem Moralmusical. Aber wer oder was hier warum böse oder gut war? Ich hatte nur eine vage Ahnung: Mose ahnt seinen Auftrag. Seine Frau Zippora weiß schon mehr, vor allem von der Liebe. Priester Naroch ist irgendwie böse. Der übertrieben bitterböse Pharao spielt wiederum wunderbar süffisant. Und der Tanz ums goldene Kalb war auch musikalisch ein wahrlich toller Tanz.
Doch Mose mimt den Spielverderber. Warum, das weiß nur, wer die Bibel gelesen hat. Selbst wenn Gott, alias Edel-Schauspieler Otto Sander, aus dem Off spricht: Die Bibelfiguren bleiben im Theaternebel, die Plagen pure Action. Immerhin, treffend besingt Zippora die 10 Gebote in 1: „Liebe ist das Gebot. Liebe allein schließt alles ein. Alles ist gut, wenn der eine den anderen liebt.“ Ach Gott, seufz. Das klang schlüssig und süffig. Und gewann das Publikum für sich. Mit dem – bei Kirchenmenschen oft verachteten – Mut zum Kitsch.
Aber, das Schlimmste zum Schluss dieser rückblickenden Event-Kritik, die Sprache: Zipporas Songtext war tatsächlich einer der besten. Musicalpapst Michael Kunze kennt sich zwar bestens aus in diesem Metier, er hat unter anderem „Cats“ verdeutscht. Aber beim Bibelklassiker mixt er pseudojungen Slang, nüchternes Schriftdeutsch und Correctness, bis die Reime miauen. Ein paar Beispiele? Mose mahnt etwa: „Seid ihr besoffen, das Wasser steht allen offen.“ Oder: „Lasst das Mädchen an die Pfütze, oder ihr kriegt was auf die Mütze.“ Auch schön schrecklich war der Satz: „Wohl denen, die aus Fehlern lernen und das gold'ne Kalb entfernen.“ Aua.
„Im Anfang war das Wort.“ Doch es fällt oft nicht leicht, damit umzugehen. Ich kenne das selbst, von Kirchentagsevents. Die Botschaft auf der Bühne will einfach sein, aber nicht zu einfach, dazu noch mitreißend und locker – nichts ist schwerer. Evangelisch und eventgemäß, das ist nicht ganz leicht zusammen zu bringen. Aber es kann und es sollte gehen. Denn, um es flapsig zu sagen, „Jesus kann rocken“. Auch swingen oder lobpreisen, gospeln oder was immer. Musik kann predigen.
Bei allen Schwächen, das Pop-Oratorium hatte auch die erwähnten Stärken. War es Mission? Was wirkte nach? Nun ja, das ist selbstredend kaum zu messen, weder im verstärkten Kirchgang noch in Kircheneintrittszahlen. Dennoch: Jener Abend und bereits die Monate zuvor waren ein Ereignis für die Beteiligten. Also auch ein Erlebnis für – wo sonst erreicht man sie – tausende junge Leute. Kirchenfern, aber nicht glaubensfern. So gesehen habe ich in Mannheim eine Missionsveranstaltung besucht. Ob sie ein Erfolg war? Weiß Gott. Die klassischen KirchenmusikerInnen im Publikum nahmen die stehenden Ovationen jedenfalls mit leicht arrogantem Zucken der Mundwinkel hin. Die PopularmusikerInnen, noch immer eine kirchliche Randgruppe, wurden diesmal gefeiert. Zu Recht.
Ob regionale oder nationale Kirchentage: Ohne Musik, Kultur und Kunst auf großer Bühne entstünde kaum ein großes Gemeinschaftsgefühl. „Wir sind viele, wir gehören zusammen, wir Christenmenschen.“ Das ist ebenso wesentlich wie die kleine Form des Miteinanders im Dorfgottesdienst, in der Andacht, in Zweiergesprächen oder im Zwiegespräch allein mit Gott. Jede Kirche hat, wie anfangs beschrieben, ohnehin ihren klassischen Kultus und damit ihre eigene Emotions- und Eventkultur. Ob diese auch auf die Bühne der modernen Medienwelt passt und Menschen heute ansprechen kann? Das hängt davon ab, wie sehr wir auf Events setzen und welche „evangelischen“ Erlebnisse wir vermitteln wollen. Wie eventgemäß ist das Evangelium? Es will in jedem Falle mehr sein als nur ein Event.
Gut, wenn Großveranstaltungen zum Reformationsjubiläum 2017 geplant werden. Doch wird das 500-jährige Jubiläum mehr sein als nur ein atemloses Abspulen der geplanten „Expo des Protestantismus“ an zig Lutherstätten? Wesentlich wäre, die Ideen an die Basis zu bringen, besser noch von der Basis nach oben. Die Frage ist: Was wollen die Gemeindegruppen thematisieren, was wollen die Frauenkreise feiern? Wie und wie groß?
Ein Event wird eins, wenn von vornherein möglichst viele eingebunden und begeistert sind. Dazu braucht es Mut zum Querdenken, und es braucht Mut, auch Menschen jenseits des Kirchturmschattens anzuheuern. Fragen wir die, die sich auskennen. Künstlerinnen und Künstler, Theaterleute, Musicalprofis. Und zugleich Leute aus den eigenen Reihen. Christenmenschen mit Leidenschaft und mit Botschaft, Menschen, die etwas zu sagen haben. Gute Texterinnen und Texter, die Theologie nicht leichtgemacht präsentieren, aber leicht gesagt oder leicht gesungen. Einfach mal suchen, einfach mal anfangen. Nur Mut. Gerade in der Frauenarbeit kommen oft die Fragen: Große Bühne? Sollen wir, wollen wir, können wir das auch? Bleiben wir nicht lieber bei unseren vertrauten Formaten, beim Weltgebetstag oder Frauenfrühstück?
Nein, es geht auch anders. Das größte Event beginnt mit einer kleinen Idee. Und das Evangelium ist ohnehin die beste Botschaft. Die Geschichte mit Gott strotzt von großen Emotionen. Glaube, Hoffnung, Liebe, Leidenschaft, Leben und Tod. An Geschichten mangelt es nicht, auch nicht an Frauengeschichten. Schließlich bringt auch im Pop-Oratorium Frau Zippora ihren Mann Mose zur Vernunft. Sprich, zur Liebe. „Liebe ist das Gebot. Liebe allein schließt alles ein. Alles ist gut, wenn der eine den anderen liebt.“ Gut, gut, vielleicht machen Sie solche Texte noch etwas besser. Ich bin gespannt.
Events, bitte wie?
Vielleicht zuvor gemeinsam ein Event besuchen – oder einen Film zeigen, eine Filmsequenz von Kirchentag, Pop-Oratorium, Jesus Christ Superstar o.ä.; siehe Mediatheken oder you-tube
– Gespräch anregen – die Antworten evtl. zweier-/gruppenweise sammeln:
Was war mein letztes/erstes kirchliches Event, das ich erlebt habe?
Warum bin ich dort hingegangen, was habe ich erwartet?
Was oder wer ist in Erinnerung geblieben? (Ort, Ausstattung, Personen, Inhalte?)
Was habe ich mitgenommen, was fehlte, was wünsche ich mir?
Was macht ein kirchliches Event zu einem bereichernden Erlebnis? Kann ein solches Erlebnis die Botschaft Christi spürbar machen? Wenn ja, wie?
– Nach Austausch über die Einstiegsfragen eine zweite Runde anregen:
Könnten wir Frauen ein besonderes Erlebnis anregen, anbieten?
Was bringen wir bereits an Gaben, Begabungen, Ideen mit?
Wen können wir einbinden, anfragen? Zum Mitmachen anregen!
– Ideenwerkstatt verabreden: „Events für Einsteigerinnen. Beispiel WGT“ – Wie könnten die Anregungen mal anders umgesetzt werden? Anders benennen, raus gehen aus den Kirchen oder Gemeindehäusern? Größer denken, zu einem regionalen Ereignis werden lassen, vernetzt mit Ortsgemeinde, Kulturschaffenden? Fortsetzung folgt …
Mechthild Werner, geb. 1962, ist eine Grenzgängerin zwischen Kirche und Medien. Die gelernte Pfarrerin und Journalistin hat bereits in vielen Bereichen gearbeitet – zurzeit ist sie Projektleiterin für das kirchliche Rahmenprogramm zur Landesgartenschau in Landau 2014 und für die Evangelische Kirche der Pfalz als Kirchenfrau bei Twitter, Facebook & Co. unterwegs.
Link-Tipps
Pop-Oratorium: http://www.die10gebote.de
Creative Kirche: http://www.creative-kirche.de/
Mega-Jesus? http://www.sueddeutsche.de/kultur/inszenierung-von-religion-wir-werden-euch-rocken-1.1294841
Mega-Kirche? http://www.sueddeutsche.de/wissen/religion-berauscht-in-der-megakirche-1.1445148
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