Alle Ausgaben / 2007 Artikel von Astrid Huber

Mistkäfer, Fischschwänze und Libellen

Einführung in die Geschichte des Schmucks

Von Astrid Huber


Seit Jahrtausenden ist die Goldschmiedekunst wie kaum eine andere Kunstgattung Ausdruck dessen, was den Menschen wichtig war oder was sie verehrten: Repräsentation der eigenen Person oder der Ausdruck religiöser Werte.

Schmuckstile entstehen, weil sich Glaubensbekenntnisse, Mode, die soziale Stellung von Menschen und deren persönliche (Wunsch-)Vorstellungen wandeln. Im Folgenden möchte ich Sie mitnehmen auf eine kleine Zeitreise durch die Schmuckgeschichte und dabei die für die jeweilige Zeit „schmucktypische“ Formensprache erklären und einige grundlegende Fertigungstechniken veranschaulichen.


Ägypten

In der ägyptischen Kultur (ca. 3000 – 30 v. Chr.) stand die Kunst weitgehend im Dienst des Totenkultes. Den Königinnen und Königen gab man ihre Herrschaftssymbole und ihren Schmuck mit ins Grab, da diese Insignien auch im Jenseits von Bedeutung waren. Allein im Grab des politisch unbedeutenden Pharaos Tutanchamun befanden sich über 5.000 Einzelstücke. Viele kennen seine goldene Totenmaske (um 1350 v. Chr.) mit der breiten, perückenartigen Haube aus Lapislazuli-Streifen und dem stilisierten Zeremonialbart.

Eine andere wichtige Schmuckgattung Ägyptens waren Pektorale (Brustschmuck). Sie wurden mit Motiven verziert, die den Herrschaftsbereich des Trägers demonstrierten, ihn aber auch als Amulett vor Unheil schützen sollten. Das hier abgebildete Pektoral zeigt im Zentrum den Skarabäus, einen Mistkäfer, der aus durchscheinend grünem Chalzedon geformt ist. Der Skarabäus galt als Symbol der Auferstehung und des ewigen Lebens: Da er seine befruchteten Eier in einer Lehmkugel der Sonne folgend rollt, also von Osten nach Westen, half er im übertragenden Sinne der Sonne beim morgendlichen Aufgang. Der Käfer hält in seinen Fängen die Lilie und Lotuspflanze als Wappenbilder Oberägyptens. Über ihm befindet sich in der Mitte das Udjad-Auge, das Auge des Gottes Horus. Es sollte den Träger vor Krankheit, besonders aber vor dem bösen Blick schützen.

Die üppige Verwendung von Gold erklärt sich aus dem Glauben, es handele sich um die Versinnbild¬ lichung des göttlichen Leibes: der Glanz des Goldes steht für den Sonnengott Rê. Die Ägypter wussten genau, wo sich die einzelnen Goldlagerstätten befanden – selbst im 20. Jahrhundert konnten mit moderner Technik keine weiteren entdeckt werden. Mit Hilfe einfacher Werkzeuge aus Stein und später aus Kupfer schachteten sie Gänge von 4 m Breite und bis zu 100m Tiefe aus. Auf diese Weise wurden um 2000 v. Chr. etwa 750 kg Gold pro Jahr gefördert. Das Gold formte man zu Blech, Draht und sogar zu Blattgold. Löten und eine einfache Goldraffination, die Trennung des Edelmetalls von anderen Metallen, waren bereits bekannt.


Griechenland

Die Kunst der Griechen, die sich in autonomen Stadtstaaten der Antike frei entfalten konnte, gilt als die Wiege der europäischen Kunst und Kultur. Die Bevölkerung Griechenlands bildete sich um ca. 1200 v. Chr. aus den von Norden eindringenden Dorern und dem griechischen Stamm der Joner. Bei den Goldschmiedearbeiten Griechenlands waren die Darstellung des Menschen besonders wichtig und auch allgemein künstlerische Gestaltungsprinzipien wie Harmonie, Rhythmus und organisches Formempfinden. Schönheit wurde z.B. durch mathematisch festgelegte Proportionen oder die Haltung des Körpers im Kontrapost (1) verkörpert. Dies ist gut erkennbar bei einer Frauenfigur, die auf einem goldenen Siegelring aus Tarent eingraviert ist: Das Gewand schmiegt sich in weichen Falten an den Körper; darunter ist klar sichtbar, wie das Gewicht des Körpers auf dem Standbein lagert, während das Becken auf der Seite des Spielbeins nach unten sinkt, so dass dieses Bein leicht abknickt.

Die Griechen konnten die bis dahin bekannten Goldschmiede-Techniken durch die Verfeinerung des Gießens von Gold erweitern, insbesondere durch die Entwicklung des Wachsausschmelzverfahrens. Dabei wurde ein Wachsmodell gefertigt, das der Form entsprach, die gegossen werden sollte. Dieses Modell wurde in eine dicke Tonschicht eingebettet, indem man einen Eingusskanal und Luftabzugskanäle von außen zum Modell hin freiließ. Mit dem Brennen des Tons schmolz und verbrannte gleichzeitig auch das Wachs, und so konnte anschließend das flüssige Metall in die entstandene Hohlform eingegossen werden. Nach Erkalten zerschlug man den Ton und entnahm die Gussform, die dann weiter bearbeitet und verfeinert wurde.


Rom

Mit der Gründung des römischen Kaiserreiches durch Augustus (63 v. Chr. – 14 n. Chr.) begann die Verschmelzung griechischer und römischer Kultur. Finanziert durch die Goldschätze der besiegten Länder entwickelte Rom sich innerhalb weniger Jahrzehnte von einer kleinen Provinzstadt zum politischen, wirtschaftlichen und finanzpolitischen Zentrum des Mittelmeerraums.

Die Gestaltungselemente im Schmuck der Römer und Griechen sind sich recht ähnlich, jedoch nutzten die Römer Schmuck – und Münzen – vor allem, um das Bildnis des Kaisers zu propagieren. Die Gemme zeigt das idealisierte Profilporträt des Kaisers Augustus, das seine Person gottähnlich aufwertet. Das Repräsentationsbedürfnis, mit dem die Herrschaft des Kaisers ausgedrückt und bekräftigt wird, entspricht dem römischer Triumphbögen und Reiterdenkmäler.

Wichtig in der Gestaltung der Schmuckstücke war die optische Wirkung des Materials Gold und insbesondere die reiche Verwendung von Edelsteinen, die nach der Eroberung Alexandrias (47 v. Chr.) nach Rom importiert werden konnten. Die Glyptik (Steinschneidekunst) wurde zwar nicht in Rom erfunden, aber viele Gemmen zeigen die hohe Fertigkeit der römischen Steinschleifer. (2)


Europäisches Mittelalter

Mit der Christianisierung Europas ab dem 4. Jahrhundert dienten Schmuck, goldenes und silbernes Gerät immer mehr der feierlichen Demonstration göttlicher Pracht. Die Menschen des Mittelalters begriffen ihre irdische Existenz als Vorstufe für das jenseitige Leben. Daher verweist die mittelalterliche Kunst auf die Welt des Jenseits und führt mit anschaulichen Mitteln die göttliche Wahrheit vor Augen. Als Brücke zur intensiven Andacht dienten Reliquiare: Behälter aus kostbarsten Materialien, die Körperteile von Heiligen oder Dinge aus ihrem Besitz aufbewahrten. Die theologische Vorstellung war, dass das Gute einer oder eines Heiligen die Güte Gottes widerspiegele. Die Heiligen erhielten durch Gott selbst eine besondere Wirkkraft, so dass sogar nach ihrem Tod ein kleiner Teil von ihnen helfen und heilen könne.

Das wohl berühmteste Reliquiar der Romanik ist der Dreikönigsschrein in Köln. 1164 brachte Erzbischof Reinald von Dassel die Reliquien der Heiligen Drei Könige als Kriegsbeute aus Mailand mit nach Köln. Nikolaus von Verdun, der berühmteste Goldschmied seiner Zeit, wurde beauftragt, den größten und figurenreichsten Schrein des Mittelalters zu bauen. (3) Der Schrein ist in einer komplexen Bildersprache verziert, die jedoch ein Mensch im Mittelalter mühelos entziffern konnte. Sein Bilderprogramm zeigt die christliche Deutung der gesamten Heilsgeschichte vom Alten Testament (Propheten) bis hin zur endzeitlichen Wiederkehr Christi (Christus als Weltenrichter). Die Geschichte der Hl. Drei Könige wird der Jesu Christi zugeordnet: Im Mittelalter wurden sie als die ersten Könige verstanden, die durch Jesus Christus zur Herrschaft legitimiert waren. Und so musste jeder deutsche Kaiser nach seiner Krönung von Aachen nach Köln kommen, um mit Hilfe der Hl. Drei Könige vor Gott um Segen für die Herrschaft zu bitten. Es ist leicht vorstellbar, dass diese Ereignisse, aber auch die üblichen PilgerInnenbesuche für Köln eine kräftig sprudelnde Einnahmequelle waren…


Neuzeitliches Europa

In der Renaissance, ca. in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, wendete sich die Kunst der Antike zu. Fasziniert studierten die KünstlerInnen die zahlreichen Ausgrabungen. Die Antike bildete die Grundlage für ein neues Menschenbild, für ein Streben nach Vollkommenheit und Harmonie sowie für die Bejahung der sinnlichen Schönheit. Die großen Neuerungen betrafen vor allem die Bildende Kunst und Architektur, für das Kunsthandwerk waren insbesondere ausgewogene Proportionen und Ornamente, die antiken Vorlagen entnommen wurden, von Bedeutung. In Deutschland brachte die Goldschmiedekunst erst ein halbes Jahrhundert später, nach dem Ende der Reformationskriege, zahlreiche anspruchsvolle Arbeiten hervor. Nürnberg wurde das führende Gold- und Silberschmiedezentrum; im 16. und 17. Jh. lassen sich dort über 720 Meister nachweisen.

Die Münchener Prunkkette aus der Zeit um 1560 zeigt einen typisch zentralen Aufbau mit je einem größeren Mittelstein (pro Element), der von kleinen c-förmigen Ornamenten, dem Schweifwerk, eingerahmt ist. Einer anderen Schmuckform der Renaissance bzw. des nachfolgenden Manierismus entspricht der Anhänger um 1590 aus den Niederlanden. Der untere Teil der Violine spielenden Sirene besteht aus einer unregelmäßigen Barockperle, an die sich zwei grün emaillierte Fischschwänze anschließen. Phantasievoll ist hier die unregelmäßige Form der Perle genutzt, um ein Fabelwesen ganz im Sinne der antiken griechischen und römischen Mythologie zu schaffen.

Eine neue Blüte der Goldschmiedekunst entfaltete sich in Frankreich nach der Revolution in der Kaiserzeit. Um sein neues Kaisertum angemessen zu repräsentieren, schenkte Napoleon seiner zweiten Frau Marie-Louise üppigen Schmuck, dessen Form römische Vorlagen imitierte. Mit der Verwendung eines neuen, pseudo-antiken Stils brach Napoleon bewusst mit dem vorangegangenen Rokokostil. Da ihm eigene königliche Insignien fehlen, spielte er auf eine Verbindung zu einer lange zurückliegenden, vom Volke gewählten „Dynastie“ an. Besonders bevorzugt wurde in der Zeit des Klassizismus ein Set von mehreren aufeinander abgestimmten Schmuckstücken, der Parure, bestehend aus Collier, Ohrschmuck, Brustschmuck, zwei Armbändern und einem Diadem.

Im Deutschland des Biedermeiers und der Romantik trug Hof und Bürgertum bescheideneren Schmuck. Der Andenkenschmuck spiegelt die Empfindsamkeit der Zeit wieder und zeigt meist gegenständliche Motive. Der Freundschaftsring um 1800 zeigt auf dem „Altar der Freundschaft“ die Inschrift „Ewig Dein“, darüber zwei übereinander gelegte Hände und die Sonne. Der Schmuck des 19. Jahrhunderts wurde zunehmend industriell gefertigt und in großen Auflagen billig produziert. Pressen, Stanzen, Drück- und Prägemaschinen ersetzten bzw. vereinfachten die aufwendige Handarbeit. Die Verwendung von silber- oder goldbeschichteten Blechen machte Schmuck auch für das Bürgertum erschwinglich.

Um die Wende ins 20. Jahrhundert war ganz Europa im Auf- und Umbruch begriffen. Die Produktion billiger Massenwahre wurde heftig kritisiert, der Rückgriff auf historisierende Stile grundsätzlich abgelehnt. Kunst und Handwerk sollten formal einfache, aber qualitativ hochwertige Arbeiten hervorbringen. Daneben waren Anregungen aus Japan wesentlich, wobei insbesondere die Art der Stilisierung naturalistischer Formen den Jugendstil beeinflusste. Der Schmuck des Art Nouveau, wie Jugendstil in Frankreich genannt wird, ist Ausdruck eines neuen Lebensgefühls. Ein neues Frauenbild, die Vorstellung der verruchten, männermordenden Frau, der „femme fatale“, gewann neben Literatur und Musik auch Einfluss auf den Schmuck, wie es beispielsweise der Brustschmuck „Libelle“ von René Lalique (1860–1945) zeigt. Wie kein anderer zuvor verknüpfte Lalique symbolbehaftete Inhalte und kostbare Materialien zu stimmungsvollen und technisch raffinierten Schmuckkreationen. Die aufwendigsten Stücke konnten aufgrund ihrer Größe und zarten Instabilität gar nicht mehr getragen werden, sie wurden direkt aus der Werkstatt zu Ausstellungszwecken gekauft.

Deutschland bevorzugte im Jugendstilschmuck abstrakte und ornamentale Motive. In Darmstadt entstand die Künstlerkolonie „Mathildenhöhe“, gegründet von Ernst Ludwig, Großherzog von Hessen. Neben Architektur und Inneneinrichtung trugen die Darmstädter Künstler maßgeblich zur Verbreitung des neuen Jugendstilschmucks bei. Im Unterschied zu Frankreich verwirklichten sie ihre Entwürfe bewusst mit Hilfe maschineller Präge- und Stanzwerkzeuge. Das ermöglichte die Fertigung größerer Stückzahlen desselben Entwurfs und machte damit modernen, gut entworfenen Schmuck erschwinglich.

Die gesellschaftlichen Veränderungen nach dem 2. Weltkrieg wirkten sich im Westen Deutschlands auch auf die Gestaltung und das Verständnis von Schmuck aus, der nun als eigenständige künstlerische Gattung begriffen wurde. Schmuck diente als persönliches Ausdrucksmittel sowohl der GestalterInnen als auch seiner TrägerInnen. Die neuen Stilrichtungen der bildenden Kunst fanden auch im Schmuck ihre Entsprechung, u.a. das Informel, der Neokonstruktivismus und die Pop-Art. Das Informel setzte sich als Kunstrichtung ohne konkrete figürliche Darstellungen Ende der 50er Jahre durch. Ungewöhnliche Materialien wie Kunststoff, Sand und Steine wurden in das Bild mit eingearbeitet und erzeugten eine neue, tastbare Stofflichkeit.

Ganz allgemein löst sich der Schmuck seit Beginn der 70er Jahre von traditionellen Bindungen hinsichtlich der Materialien, der Funktion oder der Auffassung von der Tragbarkeit und der Beziehung zwischen Schmuckobjekt und TrägerIn. Immer häufiger werden auch unedle Materialien verarbeitet oder unkonventionelle Techniken eingesetzt. Ulrike Hamm beispielsweise verarbeitet Kalbspergament zu Schmuck, den sie mit Laserdruck bedrucken lässt und anschließend einfärbt. Die einzelnen Elemente ihres federleichten Armreifs werden im nassen Zustand ineinander gesteckt, erst beim Trocknen verkeilt sich der Schmuck in seine endgültige Form. (4)
Heute ist Schmuck durch eine große Vielfältigkeit und Subjektivität gekennzeichnet. Er soll nicht mehr, etwa durch hohen Materialwert, die soziale Stellung der TrägerInnen demonstrieren, sondern er betont vor allem deren Individualität. Schmuck ist etwas sinnlich Erfahrbares, er besitzt eine Aura von etwas individuell Gestaltetem, Unaustauschbarem.


Astrid Huber, geb. 1976, hat nach Ausbildungen in Pforzheim, Mainz und Hanau zur Silber- und Goldschmiedin in London und Manchester Kunstgeschichte studiert und arbeitet zurzeit an einer Promotion über „Hanauer Schmuck um die Jahrhundertwende bis zum Zweiten Weltkrieg, dargestellt am Beispiel der Firma Kreuter“. Seit 2006 befindet sie sich in einem Volontariat bei der Gesellschaft für Goldschmiedekunst im Deutschen Goldschmiedehaus in Hanau.


Anmerkungen
1
Der Bergriff ist von ital. „contrapposto“ abgeleitet und bezeichnet den Wechsel von Stand- und Spielbein zum Ausgleich der Gewichtsverhältnisse.
2 Die Glyptik war schon seit ca. 1700 v. Chr. in den Mittelmeerländern bekannt.
3 In der Werkstatt Nikolaus Verduns wurde 50 Jahre lnag an dem Dreikönigsschrein gearbeitet. Man schreibt Verdun speziell die Ausarbeitung der Phropheten der unteren Längsseiten des Schreins zu, andere Teile sind von unbekannten Meistern in seiner Werkstatt gefertigt worden.
4 siehe unter www.anmut-kuehnheit.de

Zum Weiterlesen
Hermann Schadt:
Goldschmiedekunst. 5000 Jahre Schmuck und Gerät, Stuttgart 1996

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