Ausgabe 1 / 2014 Artikel von Jutta Beldermann

Mit Mut und Demut

Biblisch inspirierte Leitungskompetenzen

Von Jutta Beldermann


Frauen, in der Kirche auf Leitungsämter angesprochen, berichten oft davon, dass ihnen – auch auf dem Hintergrund der biblischen und kirchlichen Tradition – Leitung verwehrt oder nicht zugetraut wurde und zum Teil bis heute nicht wird.

Insbesondere ältere Frauen in der Kirche haben zudem erfahren, dass sie mit Werten wie „Demut“ – verstärkt durch das Bibelzitat „Das Weib schweige in der Gemeinde“ – eher zum „Dienen“ erzogen wurden. Und Frauen in Führungspositionen müssen noch immer davon ausgehen, dass sie in ihrer Rolle gewöhnungsbedürftig sind – und zwar für Männer und Frauen. Darüber hinaus machen viele Frauen die (Selbst-)Erfahrung, dass sie sich Leitungsaufgaben nicht zutrauen oder dass sie andere Voraussetzungen brauchen würden, um in einer ihnen angemessenen Weise führen zu können.


Biblisch leiten

Davon ausgehend hat theologische Forschung (meist) von Frauen sich in den letzten etwa 40 Jahren intensiv mit dem biblischen, theologischen, kirchen- und kulturhistorischen Befund beschäftigt. Im Bezug auf die Bibel1 haben Frauen gefragt, ob diese Erfahrungen und die damit verbundenen biblisch-theologischen Begründungen dem biblischen Befund tatsächlich entsprechen.

Die Bibel berichtet tatsächlich von wenigen Frauen, die mit öffentlichen Führungspositionen betraut waren. Ausdrücklich genannt wird zum Beispiel Deborah (Richter 4 und 5). Sie hatte das Amt einer Richterin inne – vor dem Königtum bedeutete das die Führung des Volkes. Deborah brauchte zwar zum Kriegführen einen männlichen Heerführer (Barak), der jedoch nicht ohne sie in den Krieg ziehen wollte – waren die Richterinnen und Richter doch mit dem Geist Gottes begabt. Deborah zog tatsächlich mit, aber Barak musste akzeptieren, dass der Sieg dann einer Frau, Jaël, zukam. Genannt wird auch Hulda (2 Kön 22,14-20); die Prophetin wurde ganz selbstverständlich vom Hohepriester Hilkiah nach ihrem bzw. nach Gottes Urteil zu einem Gesetzeswerk befragt.

Frauen, die Paulus als Inhaberinnen von öffentlichen Führungspositionen nennt, sind Phoebe (Röm 16,1-2) – die diakonos (männliche Form) genannt wird – und Priska (Apg 18; Röm 16,1-4) und Junia (Röm 16,7), die apostolos genannt werden. Von Lydia (Apg 16,14ff) wird berichtet, dass sie eine Hausgemeinde gründete und leitete. Aber über diese Frauen ist wenig überliefert, insbesondere im Vergleich mit den großen männlichen Führungspersonen wie Abraham und Moses oder Paulus und Petrus. Dennoch ist es wichtig wahrzunehmen, dass sie offenbar in ihren Ämtern nicht in Frage gestellt wurden – jedenfalls ist darüber nichts gesagt – und ganz „normal“ in ihrer Führungsfunktion tätig waren. Dass Berichte über öffentlich anerkannte Leitungspositionen von Frauen in der Bibel weitgehend fehlen, heißt jedoch nicht, dass von Frauen nicht als Führungspersönlichkeiten erzählt wird. Die im Folgenden genannten Fähigkeiten und Führungskompetenzen stellen dabei nur eine Auswahl dar.

Hierarchie- und Kultur-übergreifende Bündnisse schließen: Nachdem bereits die beiden Hebammen Shiphra und Puah sich dem Befehl des Pharao verweigert hatten, die männlichen Nachkommen der Hebräer zu töten, gehen die Tochter des Pharao und Miriam, die Schwester des Mose, ein ungewöhnliches hierarchie- und kulturübergreifendes Bündnis ein, um zu ihrem Ziel zu kommen, den Säugling Mose zu retten (2.Mose 1+2).

Als „Machtlose“ strategisch und gezielt vorgehen: Die Prostituierte Rahab (Josua 2) entwickelt unerschrocken eine Strategie zur Rettung ihrer selbst und ihrer Familie und zur Rettung der hebräischen Botschafter. Sie zeigt dabei eine hohe Risikobereitschaft. Ähnlich handelt die „blutflüssige Frau“ (Lk 8,43-48). Sie entwickelt eine Strategie, um von Jesus geheilt zu werden, ohne ihn direkt ansprechen zu müssen, weil das für sie verboten war.

– Gesetze nutzen: Ähnlich verhalten sich Naomi und Ruth (Ruth 1-4). Sie kennen das Gesetz des „Lösens“, das ihnen Nachkommen und ein Überleben sichert und nutzen es zu ihrer Rettung. Dabei gehen auch sie als Fremde (und Ausländerin) ein großes Risiko ein. Aber sie gehen taktisch klug vor, überzeugen dadurch und bewirken so ihre Rettung.

– Derzeitige Rolle nutzen, um deren Grenzen zu überschreiten: So unterschiedlich die Situationen waren, in der sich Königin Esther (Esther 1-10) und die Frau, die Jesus salbte (Mk 14,3-9) befanden – beide nutzen für ihr Ziel die Rolle, die sie innehaben, obwohl diese Positionen zunächst nicht automatisch Erfolg versprechend sind. Esther nutzt ihre Rolle als Lieblingsfrau und setzt
sie ein zur Rettung des jüdischen Volkes vor einem Pogrom, und der Frau gelingt es Jesus zu salben – für sein Begräbnis, wie er selbst ihre Tat interpretiert.

– Beredsam und hartnäckig im Kampf gegen Ungerechtigkeit sein: Die kanaanäische Frau, die Jesus überzeugt ihre Tochter zu heilen (Mk 7,24-30), und die Witwe, die den Propheten Elisa überzeugt, sie und ihre Söhne vor der Schuldknechtschaft zu retten (2 Kön 4,1-7), zeigen, wie der Aufschrei über eine ungerechte und ausweglose Situation zur Veränderung führen kann.

– Überzeugungskraft in einer neuen Rolle entwickeln: Miriam nach dem Durchzug des Volkes Israel durch das Schilfmeer (Ex 15), Maria Magdalena nach der Auferstehung Jesu (Joh 21) sowie Lydia, Junia, Priska und Phoebe sind in einer neuen Rolle und einer veränderten Situation erfolgreich. Ihnen gelingt es, in einer neuen Situation des Volkes Israel oder der christlichen Gemeinden eine neue, für Frauen ungewöhnliche Rolle anzunehmen und mit Vollmacht auszufüllen.

– Geistige Führung durch die Formulierung von Visionen übernehmen: Hannah (1 Sam 1-2) und Maria (Lk 1) haben durch ihre Visionen bis heute geistige, genauer: geistliche „Führungsmacht“ in Judentum und Christentum Aber auch viele andere Frauen in der Bibel führen. Sie haben ihren je eigenen Stil und kommen unabhängig von den gängigen Machtmustern zum Ziel. Von ihnen zu lernen, könnte mehr Frauen ermutigen oder darauf vorbereiten, Führungsaufgaben zu übernehmen. Außerdem könnten die hier beschriebenen Qualitäten hilfreich sein, um Führungsstrukturen zu schaffen, die es Frauen und Männern ermöglichen, gut und angemessen zu führen.


Dienen und Demut als Führungskompetenzen

Lassen Sie uns noch einmal zurückgehen zu den eingangs genannten Begriffen vom Dienen und der Demut. Bei Lichte betrachtet sind es nämlich gar keine Gegensätze zu den so genannten Leitungskompetenzen. Sie sind vielmehr durchaus geeignet, Frauen für Führungpositionen zu begeistern, weil sie Strukturen ermöglichen, die für Frauen (und Männer) einladend sind.

– Dienen: Jesus selbst hat seinen Jüngerinnen und Jüngern gesagt: „Wer unter Euch groß sein will, der sei euer Diener“ (Mt 20,26 und 23,11). Und im 1. Petrusbrief heißt es: „Dienet einander ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes.“ (1 Petr 4,10) Zwei echte Führungs-Grundsätze. Denn gute Führung bedeutet nicht, immer vorne zu stehen. Sie bedeutet vor allem, der Sache, der Institution, den Menschen zu dienen, also die eigenen Kompetenzen einzubringen, damit ein Team, eine Institution, eine Sache vorankommt. Wenn dabei nicht immer die Führungsperson im Vordergrund steht, sondern andere mit ihren Gaben, zeugt das von einer guten Haushalterschaft (Führungsaufgabe). Denn dann wird ein Team motiviert, dem Ganzen zu dienen.

– Demut: Nichts anderes aber ist Demut. Demut heißt nicht, sich hängenden Kopfes für ein „Nichts“ zu halten, sondern wahrzunehmen, wie gut andere ihre Sache machen, und dies für das Ganze zu nutzen: eine überaus wichtige Führungskompetenz.

Einer der bekanntesten Verse zum Thema Demut macht auf einen anderen wichtigen Punkt aufmerksam. Es geht darum, demütig zu sein, nicht vor Menschen, sondern „vor dem Herrn, deinem Gott“ (Micha 6,8). Führungskompetenz bedeutet auch zu wissen, wo die eigentliche Macht liegt, und die liegt nicht bei Menschen oder gar bei Männern, sondern bei Gott. Das Wissen darum ermöglicht die Führungskompetenzen, die die oben erwähnten biblischen Frauen gemeinsam hatten: Mut und Situationscourage auf der Grundlage eines großen Gottvertrauens.


Für die Arbeit in der Gruppe

Führen oder dienen? Eine Spurensuche
Anliegen ist es, zur Diskussion um Frauen in Führungspositionen aus biblischer Sicht einen neuen Zugang zu finden. Dabei verfolgen wir eine Spur zurück und betrachten den biblischen Befund, und wir wollen eine Spur verfolgen,
die zukunftsweisend sein kann, weil sie sogenannte Führungskompetenzen neu deutet. Schließlich fragen wir: Wie geht es uns selbst mit Führungsaufgaben? Wie erleben wir reale Frauen unserer Zeit in diesem Feld?

Einstieg:
In unseren Gemeinden und Kirchen – wie in der Gesellschaft überhaupt – -haben Frauen immer noch eher „dienende“ als „leitende“ Funktionen inne. Ist uns Führen unangenehm? Hat das etwas mit der immer wieder mal beschworenen Tugend der „Demut“ zu tun? Um dem nachzuspüren, beginnen wir mit einer kleinen Körperübung.

Körperübung:
– Stehen im Kreis: wahrnehmen, wie ich stehe; entspannen, lockern, gut stehen, entspannt atmen
– Einladung, nacheinander den Wörtern: führen – dienen – Demut einen spontanen körperlichen Ausdruck zu geben
– in drei Gruppen je einen Begriff als Standbild nachstellen
– Vorstellen der Standbilder; Fragen an die Zuschauerinnen bzw. die Darstellerinnen: Was habe ich gesehen? Was habe ich empfunden?
– ausreichend Zeit lassen, anschließend kleine Pause

Lied:
Im Lande der Knechtschaft (Mirjam schlug auf die Pauke)

Kurzreferat:
– Führungsrollen und Führungskompetenzen biblischer Frauen (kurz) dem Artikel entlang vorstellen
– am Flipchart die verschiedenen Strategien festhalten (vom Übernehmen einer öffentlichen Führungsposition bis hin zur Entwicklung einer Vision)

Gespräch: Finden wir uns selbst hier irgendwo wieder? Erkennen wir den Führungsstil einer uns bekannten Frau in einem politischen oder kirchlichen Leitungsamt?

Impuls:
Zurück zur Rolle des „Dienens“, der wir uns eingangs schon körperlich angenähert haben. Von Jesus ist der Satz überliefert: „Die bei euch wichtig sind, sollen euch dienen“ (Mt 23,11 BigS). Im 1. Petrusbrief lesen wir: „Alle sollen einander mit den Begabungen dienen, die sie empfangen haben.“ (1 Petr 4,10 BigS) Moderne Schlagworte wie „gabenorientiert“, „ressourcenorientiert“, „teamfähig“, „kooperativ“ oder „wertschätzend“ weisen möglicherweise auf einen Führungsstil, der dem des biblischen „Dienens“ nahekommt.

Gespräch: Ist im Licht dieser Auffassung das Wort „Demut“ zu retten, neu zu füllen? Wie könnte eine „demütige Führungskraft“ aussehen? Wem oder was gilt es, zu dienen? Erleben wir Frauen mit diesen Kompetenzen in Führungsaufgaben?
– Ergebnisse am Flipchart festhalten

Schlussgedanke:
Demut bedeutet letztlich zu wissen, wo die eigentliche Macht liegt: nicht bei Menschen oder gar bei Männern, sondern bei Gott. Bei Micha 6,8 heißt es: „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott“ (Luther). Das entlastet uns von dem Druck, alles managen und fest in der Hand haben zu müssen. Das ermöglicht es uns, kritisch auf autoritäre und starre Führungsstrategien zu schauen und sie mutig zu kritisieren. Denn wir wissen, dass es auch anders geht. Wir haben neue Führungsqualitäten entdeckt, können sie bei anderen würdigen und an uns selbst im Vertrauen auf Gottes Beistand zum Vorschein kommen lassen.

Lied:
Erleuchte und bewege uns


Pfarrerin Jutta Beldermann ist Geschäftsführerin der Evangelischen Bildungsstätte in Bielefeld-Bethel und Pastorin der Diakonischen Gemeinschaft Nazareth. Sie ist 56 Jahre alt und lebt mit ihrem Mann in Bielefeld.

Vorschlag für die Gruppe: Dorothea Röger, Redaktionsbeirat ahzw


Anmerkung
1) Vgl. im Folgenden dazu auch die beiden -Bibelarbeiten in dieser ahzw.

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