Ausgabe 1 / 2005 Material von Norbert Blüm

Mobilmachung

Von Norbert Blüm

Wir leben im Zeitalter der totalen Mobilmachung. Diesmal werden nicht Waffen und Soldaten in Bewegung gesetzt, sondern Arbeitskräfte. Wir sahnen die Qualifizierten der ärmeren Länder ab. Die Armen und Elenden dürfen bleiben, wo sie sind, die Alten und Kranken auch. Wir sind gierig auf die Ausgebildeten. Wir lassen anderswo ausbilden. Das kostet uns nichts und schafft willige und billige Arbeitskräfte hierzulande. Unser schlechtes Gewissen beruhigen wir durch die Almosen für die Entwicklungshilfe.

Die Dumping-Staffette wird globalisiert. Krankenschwestern aus Vietnam sind allerorts begehrte Pflegekräfte. Sie verursachen weniger Kosten und Mühe. Derweil bringen wir in Deutschland wegen föderaler Querelen noch nicht einmal ein einheitliches Berufsbild für Altenpfleger zustande. Es gibt zwar keine baden-württembergischen oder niedersächsischen Werkzeugmacher. Dafür aber hessische, bayerische, niedersächsische Altenpfleger. Ein Altenpfleger aus Niedersachsen hat ein andere Berufsbild als ein bayerischer.

Wie soll die Globalisierung denn organisiert werden? Die Kapital- und Finanzströme umkreisen den Erdball auf der Datenautobahn – und die Menschen hetzen hinterher. So schnelle Füße wie das Kapital hat kein Mensch. Mal nimmt das Kapital da Platz, mal dort; und die Menschen hopsen im Gefolge des Kapitals atemlos von Job zu Job: Globale Mobilmachung.

Eine solche flexibel-mobile Welt muss jedoch auf einiges verzichten. Heimat, Nachbarschaft, Ehe und Freundschaft haben eingebaute Mobilitätshemmnisse. Ein Ehepartner setzt sich mobil nach Nord in Bewegung, der andere nach Süd. Ein Kind nach West, ein Kind nach Ost, die Großeltern bleiben zu Hause. … Das Programm, von dem die Zuwanderungsquote gespeist wird, ist die Reduzierung der Menschen auf den Faktor „Arbeitskraft“. Deshalb wird auch Integration klein geschrieben. Am besten wäre es, die importierten Eliten blieben auf ihren Koffern sitzen, damit sie nach Beendigung ihrer Verwertung wieder in die Heimat in dortige Altersheime wechseln. Dort sollen sie dann endlich bleiben. Notfalls gewähren wir Hungernothilfe. Integrationsmuffel, die feuchte Augen bekommen, wenn Auslandsdeutsche unter der glühenden Sonne Afrikas „Leise rieselt der Schnee“ singen, aber die Nase rümpfen, wenn Kurden in Dortmund ihr Neujahrsfest Newroz feiern, leiden unter Geistesverwirrung. Integration auf Selektionsbasis funktioniert nicht.

Die Menschen folgen den Arbeitsplätzen wie die Zugschwalben der Sonne. Das ist der letzte Schrei der Verwirtschaftung der Wirtschaft, gegen die wir im Westen erfolgreich angekämpft haben. Jetzt kommt die Menschenverachtung durch die Hintertür ins Haus geschlichen und maskiert sich als Liberalisierung: Befreiung von allen dauerhaften Bindungen. Es gilt der Augenblick. Vor Tausenden von Jahren „erfanden“ die Menschen die Sesshaftigkeit. Jetzt wird der Arbeitsmarkt-Nomade zur Leitfigur des flexiblen Arbeitnehmers, und so fügen wir dem Heer der Flüchtlinge und Vertriebenen ein mobiles Kommando von Wanderarbeitern hinzu. Hurra!


aus: Globale Dumping-Staffette
in: Die Süddeutsche vom 21.3.2002
© Süddeutsche Zeitung

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