Die alten Flaschen und Gläser reihten sich fein säuberlich in den Regalen hinter dem Tresen. Das „Tanzen verboten“ – Schild, das Fritz Brandt angebracht hatte, um Musiksteuer zu sparen, hing ebenso wie die Hurenverbotstafel: „Protistuierten ist der Eintritt in dieses Lokal verboten.“ Fritz Brandt hatte die Orthographie nicht ganz beherrscht. Darunter kam der Nachsatz und eigentliche Witz: „laut Polizeiverordnung“. Damit wussten die Mädchen, dass der Wirt nichts dagegen hatte …
1945 übernahm Minna Mahlich mit ihrem Mann die Kneipe. Es dauerte nicht lange, und die alten Gäste waren wieder da: Film-, Rundfunk- und Theaterleute, Schwule, Lesben, Transvestiten und Huren. Es durfte wieder getanzt werden zu Grammophon oder Pianola. Doch die Ruhe vor der Behördenwillkür war trügerisch und sollte nicht lange währen. Noch bevor der Staat DDR gegründet war, fingen neue Querelen an. Eines Tages, die übliche Kundschaft hockte in der Kneipe, erschien ein Vertreter des Bezirksamts Mitte und erklärte mit krächzender Stimme: „Frau Mahlich, wenn Sie die Nutten, Lesben und Schwulen nicht rausschmeißen, entziehen wir Ihnen die Schankkonzession und machen den Laden dicht.“ Minna Mahlich, hinter ihrer Theke stehend, brauste auf: „Dat müßt ihr jrade mir sagen, mir, als Opfer des Nationalsozialismus. Ick denke, die Zeiten sin vorbei.“ Die Zeiten waren zwar vorbei, doch die neuen Herren hatten ihre eigenen Ansichten von Sitte und Anstand …
Oben in der Kneipe lag die Giebelstube, im 18. Jahrhundert Soldatenstube, später Fremden- beziehungsweise Dienstmädchenzimmer. Zwei Betten standen links und rechts vom Fenster, darunter ein kleiner Tisch, links von der Tür ein kleiner Kanonenofen, daneben noch eine Chaiselongue. Minna Mahlich klärte mich rasch und unverblümt, wie es ihre Art war, über die letzte Funktion dieses pittoresken Stübchens auf: „Det war die Hurenstube. Immer in Betrieb. Unten dat Geschäftliche besprochen, schnell hoch, aufn halbes Stündchen, manche haben det ooch in zehn Minuten jemacht. Die beeden Betten waren belegt, meistens gleichzeitig. Jenauso die Chaise. Wat denkst denn du, da steht in der Ecke der Paravent, der läßt sich uffklappen. Die auf der Chaiselongue konnten allerdings alle beede sehen.“ Minna Mahlich erzählte, bis ich rote Ohren bekam.
gekürzt aus: Ich bin meine eigene Frau, München, 6. Aufl. 2004; © EDITION DIÁ Berlin 1992
Anm. d. Red.: Die Einrichtung der Mulackritze ist heute zu besichtigen im Keller
des Gründerzeitmuseums in Berlin-Mahlsdorf (siehe www.gruenderzeitmuseum.de).
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