Ausgabe 2 / 2015 Editorial von Margot Papenheim

Neugierig auf neue Medien

Von Margot Papenheim

„Du hast was!?“ Das Gespräch in der kleinen Familienrunde dreht sich um „früher“. Und alles rätselt, wann eigentlich die alte Frau Müller und der Franz Meier gestorben sind. Moment! Mein Lieblingsonkel Rudi, achzig plus, kramt sein Smartphone heraus. Einige Wischer und Klicks später wissen wir es genau: am 28. Oktober 1938 sie, im März 69 er.

Ohne mit der Wimper zu zucken erzählt Onkel Rudi, dass er das ewige Suchen im Kästchen mit den Totenzetteln leid war. Dass er darum die Namen, Geburts- und Sterbedaten Hunderter von Bewohnerinnen und Bewohnern unseres kleinen Dorfs in eine Excel-Tabelle übertragen hat. Auf die er natürlich! auch online zugreifen kann. Ich bin baff. Im Leben wäre ich nicht darauf gekommen, dass mein Onkel seine gute alte Adler Schreibmaschine längst durch einen PC ersetzt hat. Von Internetanschluss ganz zu schweigen. Ich gehöre nämlich – immer noch – zu denen, für die Internet bedeutet: schnelle, briefmarkenfreie Post dank E-Mail. Bücherlose Bibliotheken dank Google. Und, weil's wirklich praktisch ist, fixe Terminabstimmung dank Doodle. Und ja, nach langem Widerstand, weil's doch manchmal nützlich ist, S-Bahnverbindung finden dank BVG-App. Hier fängt allerdings auch schon meine persönliche Unwohlfühlzone an. Es macht mich völlig wuschig, dass mein Telefon mir sagt, was ich tun soll – zum Beispiel sieben Apps aktualisieren. Darunter sechs, die ich, nach heutigem Stand der Dinge, niemals brauchen werde. Vollends unberührte terra incognita aber sind für mich bislang die „neuen Medien“, das social web, das soziale Netz. Der virtuelle Raum, in dem Menschen sich treffen und miteinander tun, was sie vordem im Wohnzimmer, im Gemeindehaus oder im Wirtshaus, am Lagerfeuer oder im Konferenzraum taten: von sich erzählen und Bilder zeigen, Freundinnen und Freunde treffen oder neue Leute kennenlernen, diskutieren, Pläne schmieden.

„Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung“, sprach Wilhelm II. Anfang des 20. Jahrhunderts. Nicht weniger naiv wäre es, Anfang des 21. Jahrhunderts darauf zu warten, dass die neuen Medien wieder von der Bildfläche verschwinden. Also besser das tun, was Menschen schon immer getan haben, wenn sie Neuland betraten: sich von der Neugier kitzeln lassen, nicht unvorsichtig aber mutig den nächsten Schritt gehen und sehen, wohin er führt. Dazu will diese ahzw diejenigen verlocken, die sich hier bislang lieber außen vor gehalten haben. Und was die anderen angeht: den einen oder anderen noch nicht so gesehenen Aspekt werden sie vielleicht auch finden.

Und – neugierig geworden? Ich jedenfalls habe mir, ermutigt durch unsere AutorInnen, vorgenommen, noch einmal neu hinzuschauen. Und demnächst den einen oder anderen Schritt einfach mal zu wagen.

Ausgabenarchiv
Sie suchen eine Ausgabe?
Hier entlang
Suche
Sie suchen einen Artikel?
hier entlang