Alle Ausgaben / 2016 Andacht von Antje Röckemann

Neugierige essen schmackhafter

Andacht über die wissbegierige Eva - und ihren leckeren Apfel

Von Antje Röckemann

Die erste Mahlzeit in der Bibel ist die Frucht vom Baum der Erkenntnis, die Eva neugierig pflückt. Und von dem sie auch Adam abgibt. Traditionell wird diese Tat als „Sündenfall“ be­zeichnet, ein Wort, das im Bibeltext gar nicht vorkommt. Dem biblischen Text entspricht es viel mehr, diesen Griff zum Apfel – denn als solcher wurde die Frucht hierzulande schon lange gedeutet – als eine mutige Tat einer Frau zu verstehen, die nach Wissen strebt. Bildung also, so angenehm „lecker“ wie ein Apfel.

Vorbereitung
Als Dekoration empfehlen sich Äpfel oder Granatäpfel. Wenn Sie im Kreis sitzen, in der Mitte – sonst an einem anderen, gut sichtbaren Ort – oder so, dass jede Teilnehmerin die Äpfel gut sieht.

Auf einem Teller sind Apfelschnitze vorbereitet (möglichst eine Sorte, die nicht schnell braun wird), dazu stellen Sie ein kleines Schälchen mit Honig (in den später die Apfelschnitze eingetunkt werden können). Bei einer größeren Gruppe benötigen Sie vielleicht mehrere Teller.

Wenn Sie die zwei vorgeschlagenen neuen Lieder singen möchten, müssten Sie ein Liedblatt erstellen, auf der Rückseite wäre Platz für das Gebet. Alternativ können Sie das Gebet auch alleine sprechen und die benannten Gesangbuchlieder nehmen.

Begrüßung
Liebe Frauen, ich begrüße Sie herzlich zu unserem heutigen Frauenkreis. Sie sehen die heutige Dekoration „Äpfel“. Ich bin sicher, Ihnen fällt sofort ein, wo ein Apfel in der Bibel vorkommt.

Diese Früchte sollen Sie neugierig machen auf das Thema der heutigen Andacht. Wenn wir neugierig sind und mehr wissen wollen – dann sind wir in guter Gesellschaft. Niemand weniger als die erste Frau der Bibel isst einen Apfel – aus Neugier, aus Hunger und Durst nach Wissen, nach Bildung, nach Erkenntnis. Und darum geht es heute: um Eva und wie gut Wissensdurst schmecken kann.

Lied
„Lobe die Kraft …“ (Liedtext weiter unten)
oder „Auf, Seele, Gott zu loben“, Str. 1-4 (EG 690 in Ausgabe für Rheinland, Westfalen u.a.)
oder „Geh aus mein Herz“, Str. 1, 2, 6, 13-16 (EG 503)

Bibeltext
(nach Bibel in gerechter Sprache)
Genesis 3,1-6
1Die Schlange hatte weniger an, aber mehr drauf als alle anderen Tiere des Feldes, die Adonaj, also Gott, gemacht hatte. Und sie sprach zu der Frau: „Da hat doch °Gott tatsächlich gesagt: ,Ihr dürft von allen Bäumen des Gartens nichts essen!'“ 2 Da sagte die Frau zur Schlange: „Von den Früchten der Bäume im Garten können wir essen. 3 Nur von den Früchten des Baumes in der Mitte des Gartens hat Gott gesagt: ,Esst nicht von ihnen und rührt sie nicht an, damit ihr nicht sterbt!'“
4 Die Schlange sagte zu der Frau: „Ganz bestimmt werdet ihr nicht sterben. 5 Vielmehr weiß °Gott genau: An dem Tag, an dem ihr davon esst, werden eure Augen geöffnet und ihr werdet so wie Gott sein, wissend um Gut und Böse.“
6 Da sah die Frau, dass es gut wäre, von dem Baum zu essen, dass er eine Lust war für die Augen, begehrenswert war der Baum, weil er klug und erfolgreich machte. Sie nahm von seiner Frucht und aß.

Ansprache zum Bibeltext
Im Paradies, im Garten Eden – da wachsen jede Menge leckere Dinge. Und mittendrin ein ganz besonderer Baum mit besonderen Früchten. Was genau das für Früchte sind – ob sie mit irgend­einem uns bekannten Obst verwandt sind, dazu verrät uns der Bibeltext nichts. Weil Äpfel in unseren Breitengraden aber so ein leckeres, nahezu überall vorhandenes Obst sind, wurde aus der biblischen Frucht ein Apfel. Und für heute bleiben wir einmal dabei.
Dieser Baum hat aber nun besondere Äpfel – die Früchte sind „eine Lust für die Augen“, sie sehen also lecker aus, sie duften gut. Und sie sind auch darum „begehrenswert“, weil das Essen dieser besonderen Äpfel „klug und erfolgreich“ machen soll. Er vermittelt das „Wissen um Gut und Böse“ – also sozusagen alles. Wer will da nicht reinbeißen?

Die Tradition hat aus dem Griff nach dem Apfel eine Sünde gemacht, ja einen Sündenfall oder sogar die Erbsünde.
Das Wort Sünde kommt aber im ganzen Bibeltext genauso wenig vor wie das Wort Apfel – und hatte weit schlimmere Auswirkungen. Evas Griff zum Apfel, zur Frucht führte dazu, alle Frauen zu diskriminieren. Den Kirchenvätern war Evas Griff nach dem Apfel offenbar so suspekt, dass sie der Geschichte noch viel dazu dichteten. Bis heute wird Evas Apfelessen irgendwie mit sexueller Verführung zusammengebracht. Wieso eigentlich?

Hier geht es wirklich nur ums Essen, um das Essen eines Apfels, der einfach lecker schmeckt. Und dennoch: Diese Mahlzeit ist etwas Besonderes.
Trotz der vielen merkwürdigen Gerüchte, die es um diesen Baum und seine Früchte gibt: Eva entscheidet sich mutig, diesen Apfel einfach mal zu kosten.
Das war mutig.
Und dafür hat Eva unsere Anerkennung verdient. Sie ist neugierig, wissbegierig, sie glaubt nicht alles, was ihr erzählt wird, sie will es selbst ausprobieren.
Sie setzt sich über die Normen hinweg, um etwas Neues anzustoßen.
Sie handelt wie eine kluge und gebildete Frau – schon bevor sie durch den Apfel das Wissen um Gut und Böse hat.

Die christliche Tradition hat das aber lange Zeit nicht bewundert, sondern vielmehr negativ angekreidet. Sie sei die erste Sünderin, sie hätte die Erbsünde in die Welt gebracht. Das steht aber, wie ich gerade schon sagte, gar nicht im Text. Das entsprang der frauenfeind­lichen Phantasie späterer Ausleger. Christlicher Ausleger.

Denn in der jüdischen Tradition liest man diese Geschichte ganz anders. Evas neugieriger Griff nach dem leckeren Apfel wird hier eher als „Erb-Tugend“ verstanden, als etwas ganz und gar Positives. Als ich das das erste Mal hörte, konnte ich es kaum glauben: Evas Handeln wird hier positiv, als eine Tugend verstanden.

Eva macht sich ein eigenes Bild von der Welt, sie erlangt Wissen, Erkenntnis, Bildung. Sie ist neugierig – im allerbesten Sinne.
In der jüdischen Tradition ist Bildung schon immer ein hohes Gut. Lernen, Fragenstellen, Neugier wird gefördert. Und damit Kinder die Schule, das Lernen auch als etwas Gutes verstehen, bekommen sie zu Beginn etwas Süßes, damit sie von Anfang an beides zusammendenken: Lernen ist süß.

Aktion
In Anlehnung an diese Tradition habe ich für Sie heute Honig mitgebracht. Und Apfelschnitze.
Nehmen Sie sich ein Stück Apfel und tauchen Sie es in den Honig – und schmecken Sie die Süße.
So gut, so süß schmeckt Neugier, der Wunsch nach Erkenntnis, so schmeckt Wissen.
Und wie Eva geben wir dieses Vergnügen weiter, reichen den Teller an die Nachbarin.
So wie Eva auch Adam teilhaben ließ am Geschmack des Apfels, am Geschmack des Wissens.

Abschluss
Was wäre eigentlich gewesen, wenn Eva den Apfel nicht gegessen hätte? Eine müßige Frage – denn dann wäre die Geschichte einfach nicht weitergegangen. Evas Apfel erst hat den Ball ins Rollen gebracht, ihre Neugier, ihre Suche nach Erkenntnis, ihr Wunsch danach, mehr zu wissen – erst dadurch wurde Entwicklung möglich.
Wann immer wir also einen leckeren Apfel essen, können wir uns erinnern: So schmeckt Neugier.
Wann immer wir einen Apfel sehen, können wir an unsere eigene Neugier, unseren eigenen Wissensdrang denken.
Evas Apfel ermutigt uns, unsere eigenen Fragen zu stellen, mehr zu lernen. Mit dem schmackhaften Apfel, der ersten biblischen Mahlzeit beginnt die Geschichte der Bildung. Und wer davon gekostet hat, will immer wieder mehr davon …
Und so beißen wir weiter neugierig in den Apfel, suchen nach Erkenntnis und fragen: Warum ist das so? Könnte es nicht auch ganz anders sein?

Gebet
Lasst uns beten.
Am Anfang, bevor die Welt begann,
als alles ohne Gestalt war,
du warst da.
Brütend über dem Chaos, die ­Strukturen,
den Geschmack, den Anblick und den Klang der Dinge planend,
die Gegensätze ausbalancierend,
den Regenbogen webend,
du ließest den Zufall Wirklichkeit werden.

Alle: Dafür loben wir dich.

Bevor wir da waren
Noch im Mutterleib – ohne Form
du warst da.
Nanntest uns dein Eigen,
plantest unsere Natur und Originalität,
setztest unsere Fähigkeiten frei,
machtest uns einzigartig,
du ließest den Zufall Wirklichkeit
werden.

Alle: Dafür loben wir dich.

Und natürlich jetzt,
wo wir unsere Träume träumen
oder die Zukunft austüfteln,
jetzt, wo unsere Ideale in Frage stehen,
das weniger Bedeutende interessant wird,
bist du da.
Du bringst unsere Leichtigkeit
durcheinander,
du widersprichst unseren
Kompromissen,
du erweiterst unsere eingeschränkte Vision
durch die Ansicht, den Klang und den Geschmack
eines besseren Lebens.
Du hebst die verlorenen Fäden unserer Hingabe wieder auf.
Du ließest den Zufall Wirklichkeit
werden.

Alle: Dafür loben wir dich.

Und so wird es immer sein:
Denn du hast nicht gesagt: „Ich bin die Antwort“,
sondern: „Ich bin der Weg“.
Du erwartest nicht, dass wir erfolgreich sind,
sondern treu.
Du hast uns nicht das Paradies für morgen versprochen,
sondern dass du bei uns bist bis zum Ende der Welt
und den Zufall Wirklichkeit werden lässt.

Alle: Dafür loben wir dich.
(Aus: Arbeitshilfe „Bei mir bist du schön“ Ev. Frauen in Hessen und Nassau e.V.)

Abschlusslied
„Du, Eva, komm …“ (Liedtext S. 27)
oder „Der Himmel geht über allen auf“ (EG 611 in der Ausgabe für das Rheinland u.a.) oder „Gott gab uns Atem“ (EG 432)

Antje Röckemann, geb. 1963, ist Pfarrerin und leitet das Gender-Referat im Ev. Kirchenkreis Gelsenkirchen und Wattenscheid. Sie ist Herausgeberin von INTA, der einzigen interreligiösen und feministischen Zeitschrift im deutschsprachigen Raum (www.inta-forum.net).

Lied
Lobe die Kraft
Lobe die Kraft, die uns Gott für das Leben gegeben,
meine geliebete Seele, das ist mein Bestreben.
Kommet und singt, Psalter und Harfe erklingt,
lasst uns die Stimme erheben.

Lobe die Kraft, die uns Himmel und Erde bereitet,
die uns auf schützenden Flügeln stets trägt und geleitet,
die uns erhellt, an unsre Seite sich stellt.
Lasst und die Hoffnung verbreiten.

Lobe die Kraft, meine Seele, mit all deinen Gaben!
Freude und Fülle am Leben, die sollen wir haben.
Sie ist dein Licht, das durch die Dunkelheit bricht.
Lasst uns die Ängste begraben.

Melodie des Liedes: Lobe den Herren, EG 316.
Umdichtung vom Frauen-Reformationstag 1988, Hannover

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