Ausgabe 1 / 2014 Material von Dorothea Frandsen

Neunzehnhundertacht

Von Dorothea Frandsen


Das Jahr 1908 bedeutete für Frauen Zäsur und Fortschritt. Die Klausel in den meisten Landesgesetzen, wonach Frauen politischen Vereinen nicht angehören und solche nicht gründen durften, war nach hartnäckigen Kämpfen seitens der Frauen nicht in das Reichsrecht übernommen worden. Inzwischen waren die Verbote schon insoweit gelockert worden, dass Frauen politische Veranstaltungen wenigstens besuchen durften; sie waren jedoch meist in einen mit Schnüren abgeteilten Raum des Saals, das sogenannte „Segment“ verbannt und mussten sich dort jeder Beifalls- oder Missbilligungsbekundung enthalten. Das Unzeitgemäße und Unwürdige dieser Regelungen war inzwischen auch von der Mehrzahl der Männer erkannt worden: … unwürdig (empfand man sie) vor allem dann, wenn Frauen, die schon im öffentlichen Leben standen, zu Vorträgen mit Themen politischen Inhalts gebeten worden waren: auch diese mussten noch im Segment sitzen, während ein Mann ihr Manuskript vorlas. So ging es z.B. noch 1902 Helene Simon, die von der Gesellschaft für soziale Reform zu einem Vortrag über Frauennachtarbeit gebeten worden war.

1908 mussten sich die Frauen entscheiden, ob sie den Weg in die Parteien überhaupt beschreiten oder ob sie sich zunächst weiter für die Lösung der Frauenfragen bis zum Stimmrecht und zu allen Bürgerrechten einsetzen wollten. Die meisten entschieden sich für den erstgenannten Weg. … Helene Lange trat als Mitglied in die „Freisinnige Vereinigung“ ein. … Von einer Frauenpartei hielt sie nichts: die Welt bestehe nicht nur aus Frauenanliegen; bei allen öffentlichen Angelegenheiten sei der Fraueneinfluss notwendig.

Ihre Darlegungen von Frauenanliegen wurden belebt durch ihre reichen persönlichen Erfahrungen aus vergangenen Kampfzeiten; so prangerte sie einmal die üble Praxis an, gut ausgebildete Frauen aus dem Arbeitsleben zu entfernen, um ungelernten männlichen Erwerbslosen Platz zu machen. Man dürfe nicht fragen, ob die einzelne Frau „es“ nötig habe, sondern es gehe darum, ob die Gesellschaft die Fachfrau, die vielleicht für einen großen Personenkreis wirke, nicht nötiger brauche. Ein stellungsloser Konditor werde ja auch nicht zur Operation eines Blinddarms berufen und man gehe ja nicht zu dem bedürftigsten, sondern dem tüchtigsten Arzt.


aus:
Helene Lange – ein Leben für das volle Bürgerrecht der Frau
© Oldenburg 1999 Isensee Verlag


Zum Weiterlesen
Angelika Schaser: Helene Lange und Gertrud Bäumer – eine politische Lebensgemeinschaft, Köln 2000
(http://www.women-in-history.eu/details_de/items/87.html)
Kerstin Wolff: 1908 – eine Selbstverständlichkeit? http://www.addf-kassel.de/download/links/Volltext_100_Jahre_Frauen_Politik.pdf

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