Alle Ausgaben / 2011 Material von Katharina Staritz

Nicht Werk, sondern Gnadengabe

Von Katharina Staritz

Als ich ins KZ-Lager kam, fand ich auch dort Hilfe. Sie geschah durch die Häftlinge, die schon jahrelang dort waren. Sie warnten den Neuling vor Gefahren, in die man unversehens geraten konnte. Sie lehrten ihn, die Gesundheit zu schützen, soweit es möglich war. Ja, sie sorgten in den ärgsten Hungerzeiten für zusätzliche Nahrungsmittel. Als ich nahe daran war, in der Tag- und Nachtarbeit der Pelznäherei zusammenzubrechen, waren es die Kommunistinnen, die in der Selbstverwaltung des Lagers den Arbeitseinsatz ordneten, die mir eine Stelle im Büro verschafften. Das bedeutete zugleich die Versetzung in den Eliteblock, wo ich unter viel menschlicheren Bedingungen leben konnte als bisher. Eine der Kommunistinnen, die wie ich im Büro arbeitete und im Block an meinem Tisch saß, nahm mich einmal in Schutz, als man mich meiner christlichen Haltung wegen anpöbelte …

Noch viele haben mir Freundlichkeiten erwiesen – einer der beiden SS-Männer, unter denen ich im Büro arbeitete, ein Schlesier aus der Gegend von Liegnitz besonders.
Er gab mir oft ein Stück Pappe zu Einlegesohlen oder ein Stück Schnur, um einen Karton zu verschließen. Auch manches ermutigende Wort hörte ich von ihm, wenn er mit mir allein war.

Ja, erst wenn man ganz verstoßen, verachtet und verlassen ist, bekommt man Augen für die Güte, die einem widerfährt, und wird dankbar für jede kleine Freude am Weg. Voller Staunen mußte ich immer wieder feststellen, daß sie mir von Menschen kamen, die dem Christentum fernstehen. Sind die Tugenden der Heiden wirklich „glänzende Laster“, wie Augustin gesagt hat? Ich glaube vielmehr, daß auch unsere christlichen „guten Taten“ nicht unser Werk, sondern Gnadengaben Gottes sind. Dann aber habe ich erfahren, daß er mit diesen Gnadengaben sogar die beschenkt, die ihn leugnen. Ich habe es als Anruf für mich selbst empfunden, daß er dadurch gleichsam sie anschaut, die ihm den Rücken gewendet haben – ein Aufruf zur Freude und Dankbarkeit über diese unbegreifliche Güte!

aus:
Des großen Lichtes Widerschein
Ev. Frauenhilfe in Deuschland e.V.
Münster 1953

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