Alle Ausgaben / 2009 Artikel von Guido Krawinkel

Non turbetur cor vestrum

Suche nach der Jahreslosung in der Kirchenmusik

Von Guido Krawinkel


Wenn es denn so einfach wäre. Dieser Gedanke schoss mir bei der Konzeption dieses Textes als erstes durch den Kopf. Auf die spontane Zusage, einen Beitrag über Vertonungen der Jahreslosung 2010 zu verfassen, folgte schnell Ernüchterung.

Denn die Jahreslosung 2010 ist eine Herausforderung. Eine Herausforderung nicht nur für jeden glaubenden Menschen, sondern auch für MusikerInnen auf der Suche nach einer musikalischen Umsetzung derselben. Auch die intensive Suche fördert nur sehr wenige Vertonungen zu Tage, selbst explizite Nachschlagewerke erweisen sich auf weitgehend als Sackgasse.

Was tun? Googeln? Wenn es denn so einfach wäre… – Auch ein erster Blick in die Untiefen des sonst so allwissenden weltweiten Netzes bleibt ohne Erfolg. Immerhin, eine große Datenbank mit insgesamt über 12.000 gespeicherten Vertonungen aller möglichen Bibelstellen nennt sage und schreibe vier Treffer:
– zwei Motetten von Philipp de Monte (16. Jh.) – „Tempus est ut revertar ad eum qui misit me“ und „Non turbetur cor vestrum neque formidet“ aus dem Liber secundus bzw. dem Liber tertius sacrarum cantionum;
– „Tempus est ut revertar ad eum qui me misit / Non turbatur cor vestrum“ aus dem Liber quintus Motettorum von Giovanni Pierluigi Sante da Palestrina (16. Jh.);
-Vertonung durch Walter Kraft (20. Jh.) im fünften Teil seines reinen Chor-Oratoriums „Christus“.
Barock und Romantik: Fehlanzeige. Bleibt noch der Blick auf den Kontext. Nimmt man etwa die Abschiedsreden aus dem Johannesevangelium insgesamt ins Visier, finden sich auf der Suche nach Vertonungen schon 74 Treffer. Ein weites Feld, das in diesem Kontext nicht durchweg relevant ist.

Textlich gibt es eine interessante Doppelung, taucht doch der erste Teil der Jahreslosung – Euer Herz erschrecke nicht – in Vers 27 des gleichen Kapitels im Johannesevangelium wieder auf. Für diese Stelle finden sich mehrere Werke, unter anderem von:
– Johannes Driessler (1921-1998) – Motette „Wer mich liebet“
– Wolfgang Hufschmidt (geb. 1934) – Motette „Aber der Tröster“
– Jacobus Clemens non papa – „Non turbetur cor vestrum / Ego vado ad patrem“ aus den Cantiones sacrae 1559
– Wolfgang Fortner (1907-1987) – „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch“, Aria aus der Geistlichen Abendmusik „Herr bleibe bei uns“
– Herbert Hildebrandt (geb. 1935, Gründer der Berliner Domkantorei) – „Den Frieden lasse ich euch“
– Johannes H. E. Koch (geb. 1918) – „Den Frieden lasse ich euch“
– Hans Friedrich Micheelsen (1902-1973) – „Den Frieden lasse ich euch“
– Rolf Schweizer (geb. 1936) – ?„Den Frieden lasse ich euch“

Freilich ist es auch möglich, assoziativ an das Thema heranzugehen. So hat die Jahreslosung aus dem Johannesevangelium für sich gesehen einen tröstlichen Klang. Und das durchaus im wahrsten Sinne des Wortes. Was wie eine Aufforderung zum Glauben klingt, soll auch Hoffnung und das Vertrauen darin bestärken, dass Gott zur Stelle ist, wenn dieses Vertrauen gebraucht wird. Als musikalischer Kontext bieten sich deshalb hier nicht zuletzt Werke an, die sich mit dieser Thematik beschäftigen, etwa Vertonungen des Verses 25 aus dem 11. Kapitel des Johannesevangeliums: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich gläubet, der wird leben.“ Hier bieten sich Werke von Heinrich Schütz, Dietrich Buxtehude oder des romantischen Komponisten Albert Becker an.

Inhaltlich schwebt über dem betreffenden Vers der bevorstehende Tod Jesu. Es ist Zeit des Abschiedes, Zeit der letzten Worte miteinander. Zwar machen der Zuspruch und die Aufforderung zum Glauben auch Mut, doch Ungewissheit und Angst vor dem Kommenden spielen hier auch eine Rolle. In einen passenden Kontext eingebunden, wäre es durchaus vorstellbar, die dramaturgisch direkt vor dem Passionsgeschehen angesiedelte Jahreslosung als Teil der Abschiedsreden in Passionsmusiken einzugliedern.

Eine ganz andere kirchenmusikalische Intention hat der Verband Evangelische Kirchenmusik in Württemberg e.V., der einen Wettbewerb zur Vertonung der Jahreslosung 2010 als Singspruch oder Kanon ausgelobt hat. Gefordert ist hier ein kurzes Stück, das während des Fürbitten-Gebets als antwortender Zuspruch auf die einzelnen Bitten gesungen werden kann.(1) Auf die Ergebnisse darf man gespannt sein.


Anmerkungen

1 spätestens ab Dezember herunterzuladen unter: www.kirchenmusik-wue.de / Noten und Bücher / Kanons


Für die Arbeit in der Gruppe

– Eine Möglichkeit, sich der Jahreslosung über Musik zu nähern, ist, die / einige der im Beitrag genannten Titel gemeinsam zu hören und sich darüber auszutauschen, wie (unterschiedlich) die verschiedenen Aspekte der Jahreslosung (Erschrecken, Gottvertrauen…) zum Ausdruck gebracht werden.

– Spannend wäre auch, die in der Regel kurzen und leicht einzuübenden Kanons des Verbands Ev. Kirchenmusik in Württemberg (siehe Anm.1) anzuschauen und miteinander zu singen. Vielleicht kann die Gruppe den Kanon, der bei ihr am besten „ankommt“, in den Gemeindegottesdienst einbringen?

– Gruppen, die Freude am Ausprobieren haben, sei folgender Versuch empfohlen:
A: Besorgen Sie sich (Kindergarten, Gemeinde…) alles, was Sie an einfachen Instrumenten finden: Triangeln, Klangschalen, Trommeln, Flöten, Regenmacher – wichtig ist nur, dass pro TN wenigstens ein Instrument da ist. Alle Instrumente liegen beim Eintreffen der TN bereits in der Mitte eines Stuhlkreises. Dazu Zettel mit der Jahreslosung 2010.

B: Erinnern Sie die Frauen kurz daran, dass wir Menschen Gefühle oft besser durch Musik als durch Worte verstehen oder ausdrücken können. Und dass das nicht nur ein „richtiger Chor“ oder ein „richtiges Orchester“ kann, sondern auf ihre/seine Art jede/r. Laden Sie die Frauen dann ein, dies einmal gemeinsam mit einer eigenen Vertonung der Jahreslosung auszuprobieren.

C: Jede Frau nimmt sich einen Zettel und das Instrument aus der Mitte, das sie in dem Moment „anspricht“; sie muss es dazu noch nie in der Hand gehabt haben, geschweige denn „beherrschen“! Dann bilden sich Gruppen (6-8 TN) und setzen die Jahreslosung in Musik (mit oder ohne Text) um.

Tipp für die Leiterin:
Geben Sie dafür nicht länger als 20-30 Minuten Zeit; sonst reden die Frauen sich fest und kommen nicht mehr zum Umsetzen in Musik!

Alternative: Wählen Sie einen längeren Text (Gedicht, Gebet) aus, der zur Jahreslosung passt und gliedern diesen in sinnvolle Abschnitte, die auf die Gruppen verteilt werden.

Das „Zusammentragen der Ergebnisse im Plenum“ wird diesmal ein unvergessliches, ganz besonderes Erlebnis für alle sein!


Guido Krawinkel, geb. 1970, hat u.a. Musikwissenschaften studiert und ist ausgebilderter Kirchenmusiker. Er arbeitet als freier Journalist für Zeitungen, Zeitschriften und Rundfunk.


Die Vorschläge für die Arbeit in der Gruppe hat Margot Papenheim, Redakteurin der ahzw, beigesteuert. Der „Selbstversuch“ ist aber keine eigene Idee, sondern die Beschreibung eines eben solchen – mit über 100 Frauen beim Ökumenischen Kirchentag in Berlin 2003 staunend erlebt!

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