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Ode an die Zwiebel

Von Pablo Neruda

Zwiebel,
leuchtende Phiole,
Blütenblatt um Blütenblatt
formte deine Schönheit sich,
kristallene Schuppen
ließen dich schwellen,
und im Verborgenen der dunklen Erde
füllte dein Leib sich an mit Tau.
Unter der Erde
ward dieses Wunderwerk,
und als dein unbeholfener
grüner Trieb erschien
und deine Blätter degengleich
im Garten sprossen,
drängte die Erde
ihren ganzen Reichtum zusammen
und wies deine nackte Transparenz,
wie in Aphrodite das ferne Meer
die Magnolie nachschuf,
da es ihre Brüste formte,
also bildete
dich die Erde,
Zwiebel,
hell wie ein Planet
und zu leuchten bestimmt,
unvergängliches Himmelszeichen,
rundliche Rose von Wasser
auf dem Tisch
der armen Leute.

Verschwenderisch
lässt du
deinen Globus der Frische zergehn
im verzehrenden Sud
des Topfes,
und der kristallene Saum
in des Öls Hitze
verwandelt sich in eine gekräuselte Feder von Gold.
Auch gedenke ich, wie dein Zutun
die Freundschaft des Salates fruchtbar macht,
und es will scheinen, der Himmel hilft mit,
da er dir des Hagelkorns zierliche Gestalt verlieh,
deine feingehackte Helle zu rühmen
auf den Hemisphären einer Tomate.
Aber erreichbar den Händen des Volkes
und beträufelt mit Öl,
bestreut mit ein wenig Salz,
tötest du den Hunger
des Tagelöhners auf mühsamem Wege.

Stern der Armen,
gütige Fee,
eingehüllt in zartes Papier,
kommst du aus der Erde,
ewig, vollkommen, rein
wie der Gestirne Samenkorn,
und wenn in der Küche
das Messer dich zerschneidet,
quillt die einzige
leidlose Träne.
Du machst uns weinen, ohne uns zu betrüben.
Solange ich lebe,
lobsingen will ich,
Zwiebel,
für mich bist du schöner doch
als mit blendenden Schwingen
ein Vogel,
für meine Augen bist du
Himmelskugel, Platinkelch,
beschneiter Anemone
unbeweglicher Tanz,
und der Erde ganzer Duft,
er lebt in deiner kristallinischen Natur.

Pablo Neruda (1904-1973)

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