Ausgabe 1 / 2006 Material von Alison Lapper

Parys

Von Alison Lapper


Alison Lapper, 1965 ohne Arme und mit stark verkürzten  Beinen geboren, wuchs in Behindertenheimen auf. Sie studierte an der Kunsthochschule in Brighton und erwarb sich internationales Renommée als Künstlerin – und als Aktmodell. Als sie im achten Monat schwanger war, entwarf der Bild hauer Marc Quinn eine Statue von ihr: Alison Lapper, schwanger. Seit September 2005 steht die Marmorfigur auf dem Londoner Trafalgar Square.

Als ich schließlich den Hörer auflegte, war ich mehr oder weniger überzeugt, dass eine Abtreibung das Beste wäre. Ich beschloss, meine Mutter anzurufen und sie nach ihrer Meinung zu fragen. Sie liebte ihre Enkel von Herzen, und vielleicht würde sie sich freuen, wenn ich auch eines zu der Kinderschar beisteuerte. Doch gerade sie stand der Vorstellung, dass ich ein Kind bekommen würde, besonders ablehnend gegenüber.
„Warum hast du nicht besser aufgepasst? Wie willst du dich denn um ein Kind kümmern? Das schaffst du doch gar nicht. Das bekommst du nie im Leben hin.“ Das waren einige ihrer freundlicheren Bemerkungen, und der Rest der Familie stimmte mit ihr überein…

Parys ist mittlerweile fünf Jahre alt, und wir haben eine ganze Menge miteinander durchgemacht. Ich bin nach wie vor für ihn die einzige richtige Bezugsperson und die Einzige, die ihm Sicherheit gibt. Unsere Bindung ist sehr eng. Und auch wenn ich ihm körperlich keine Grenzen setzen kann, sagt ihm der Ton meiner Stimme, wann ein Nein tatsächlich nein bedeutet. Ich habe ihm beigebracht, immer nach rechts und nach links zu schauen, bevor er eine Straße überquert, und wie mir berichtet wurde, tut er das sogar dann, wenn ich nicht dabei bin. Aber es ist nicht leicht gewesen, und ich frage mich, welchen Einfluss es auf unsere Beziehung haben wird, wenn er erst einmal in die Schule geht. Ich war ihm gegenüber hinsichtlich meiner Behinderung immer offen und ehrlich, und sie stellte niemals ein Problem für ihn dar. Aber wenn ihn die Kinder in der Schule deswegen hänseln oder wenn sie schlecht über seine Mutter reden, wird er damit vielleicht nur schwer umgehen können. Manchmal habe ich Angst davor, aber ich weiß, dass wir beide das durchstehen werden und irgendwann darüber lachen können. So war es bisher immer.

aus: Autobiografie einer  Optimistin
© Blanvalet Verlag, München 2005

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