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Pfingstrose

Von Esther Gallwitz


Pfingstrose, Gichtrose, Paeonia officinalis. Die altmakedonische Landschaft Paionia soll das Land sein, in dem die Pflanze ihren Ursprung hat. Paeon, der Arzt der Götter, ist er selbst Apoll? Apollo paeonios heilt Pluto mit einer Pflanze, heißt es in der Ilias. War es die Paeonie? Plinius nennt sie die Blume Apolls, mit der dieser die Götter im Trojanischen Krieg heilte.
Mehr noch als ihre medizinische Wirkung waren im Altertum die antidämonischen Kräfte der Wurzel und der Samen gefragt. Sie vertrieben das Alpdrücken, Gespenster und Nachtmahre. Sie war die Zauberpflanze gegen Verhexung, gegen Gift und gegen Furcht. Halsbänder und Amulette aus Wurzelstücken waren das gegebene Mittel für beste Wirkung. Säckchen mit Samen, „Schreckkörner“ für Kinder gegen nächtliche Schrecken, „Fraisperlen“ gegen Fraisen (Frieren), Gichter oder schmerzhaftes Zahnen. Die Gichtrosenwurzeln, im Altertum der Cybele, der Helferin bei Kinderkrankheiten, zugedacht, wurden auch später hauptsächlich für Kinder und Frauenkrankheiten gebraucht. Aus ihrem griechischen Namen, der denselben Stamm hat wie pais, das Kind, wird ihre Bedeutung als Schutz und Heil für Kinder angenommen. Ins erste Badewasser eines Neugeborenen wurde ein Gichtrosenstengel gelegt, und auch ins Tragkissen steckte man ihn.
Hildegard von Bingen sagte: „Und wenn der Mensch den Verstand verliert, tauche Paeonienkörner in Honig und lege sie ihm auf die Zunge, so steigen die Kräfte der Paeonie zu seinem Gehirn hinauf und erregen ihn, so dass er schnell wieder zu Verstand kommt und der Geist wiederkehrt.“

Vom griechisch-lateinischen Namen abgeleitet, gibt es entstellte oder umgedeutete Volksnamen: Pione, Punninig, Bonninning, Botenarosen, Batunje, Putthennchen, Bordonnerrosen, Papunken. Dazu zahlreiche andere Namen, wie Maknudel, Feuerrose, Gickerose, Stinkrosen, Pumprose, Blutrose. Als Altarschmuck heißt die Päonie Kirchenrose, Herrgottsblume, Muttergottesrose. Die Pflanze des Apollo, dem Spender des Lichts, wird zur Blume Christi, dem Spender des Himmlischen Lichts. In der christlichen Symbolik wird sie eine Pflanze des Heils. 

aus: Kleiner Kräutergarten, Insel Taschenbuch 1818
© 1992 Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig

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