Alle Ausgaben / 2014 Material von Michael Hollenbach

Pionierin einer Bibel in Leichter Sprache

Von Michael Hollenbach


Schwester Paulis Mels hat mit einem Mammutprojekt begonnen: der Übersetzung der Bibel in eine Sprache, die auch Menschen mit Lernbehinderungen gut verstehen können. Gemeinsam mit dem Bibelwerk in Stuttgart übersetzt die Franziskanerin aus dem emsländischen Thuine die Bibeltexte für die sonntäglichen Lesungen. Sie macht zunächst einen Entwurf, den sie lernbehinderten Testlesern vorlegt: „Welche Wege manche Gedankengänge bei ihnen gehen, kann auch ich nicht so wirklich nachvollziehen. Wir brauchen immer wieder diese Korrektur.“

Die Übersetzung in Leichte Sprache – so der offizielle Fachausdruck – ist oft eine Gratwanderung. Denn eigentlich will Schwester Paulis möglichst anschaulich übersetzen. Aber sie musste die Erfahrung machen, dass es dafür Grenzen gibt. Bei der Kreuzigung Jesus hat sie die Wunden ganz plastisch mit „Löcher in den Händen“ beschrieben. „Dann hat die Testleserin sich geschüttelt und gesagt: ‚Das kann man nicht machen. Die ganzen Löcher? Wie sieht das denn aus?'“ Da habe sie gemerkt, dass die Übersetzung zu drastisch ausgefallen war, die Testleserin einen Widerwillen gegen den Gekreuzigten entwickelte: „Das ist auch nicht der Sinn der Sache.“

Dass sich Theresia – so ihr vorklösterlicher Name – schon früh um Menschen mit Beeinträchtigungen kümmerte, hat biografische Gründe. Ihr Bruder war lernbehindert und wurde gemobbt. „Er hat viele Schläge bekommen, und das fand ich immer so schlimm.“ Als sie in ihrer Heimatstadt, im westfälischen Ahaus, das Abitur machte, sollten sich alle Abiturienten in das Goldene Buch der Stadt eintragen. „Da habe ich gedacht: ‚Ich habe keinen Finger für die Schule krumm machen müssen. Ich habe keinmal Schläge bekommen, und ich soll mich jetzt ins Goldene Buch eintragen?'“ Ihr Bruder habe dagegen unter der Schule gelitten und später mit Ach und Krach den Hauptschulabschluss geschafft. „Da habe ich gesagt: Ich werde mich nicht ins Goldene Buch eintragen.“ Theresia erreichte, dass nicht nur die ganze Klasse ihrem Beispiel folgte, sondern auch, dass dieser Brauch in Ahaus abgeschafft wurde.

Den Weg ins Kloster schlug sie mit 21 Jahren auch wegen der Behindertenarbeit ein. (…) Jahrzehntelang hat sie als Heilerziehungspflegerin schwerstbehinderte Menschen betreut. „Da spricht man nur in kurzen Sätzen.“ Jeden Morgen sage man das Gleiche. „Ich wasche jetzt dein Gesicht und jetzt die Augen.“ Jede kleine Handlung werde verbalisiert. Man sei gezwungen, einfach so zu sprechen. Aber die Leichte Sprache bewusst einzusetzen, dieser Gedanke kam ihr, als sie vor einigen Jahren noch einmal studierte: Erwachsenenbildung und Gerontologie. Während dieses Zweitstudiums entdeckte sie eher zufällig, dass sich durch ein Übereinkommen der UNO von 2008 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen die Leichte Sprache als Fachgebiet etabliert hatte.

Seit Ende 2013 übersetzt Schwester Paulis nun Sonntagsevangelien. Dabei stößt sie immer wieder auf Probleme der Übersetzung. Zum Beispiel hatte sie in einem ersten Entwurf zur Jesaja-Übersetzung geschrieben: „Gott hat alles einem Mann gesagt. Der Mann hieß Jesaja. Jesaja hat alles in einem Buch aufgeschrieben.“ Doch da meldeten sich die Theologen aus dem katholischen Bibelwerk. Jesaja sei ja nicht wirklich eine Person gewesen, sondern eine Sammlung verschiedener Überlieferungen. „Man muss immer gucken, was exegetisch auch richtig ist. Es ist auch anstrengend“, seufzt die Schwester.

Manchmal hört die Franziskanerin den Einwand, man brauche die Bibel in Leichter Sprache gar nicht; es gäbe doch schon die Kinderbibeln. Dann entgegnet Schwester Paulis, die Kinderbibeln würden nur ein bestimmtes, wunderbares Bild von Jesus zeichnen. „Dass Jesus von den Pharisäern angegriffen wird, gemobbt wird, dass er in die Mühlen gerät, das kommt in Kinderbibeln nicht zum Tragen. Aber erwachsene Menschen mit Behinderungen wissen einfach aus Erfahrung, wie es ist, so zu leben. Die sind schon so oft angepöbelt worden, die spüren jeden verächtlichen Blick.“ Und wenn diese Menschen dann Geschichten hören, in denen Jesus angegriffen wurde und sich zur Wehr setzen musste, dann sei das sehr trostreich. „Es kommt bei ihnen an: Jesus hat genauso ein Leben gelebt wie wir.“


leicht gekürzt aus:
Publik-Forum, kritisch – christlich – unabhängig, Oberursel, Ausgabe Nr.14/2014; http://www.publik-forum.de/Magazin/PublikForum?nr=14&jahr=2014

 

 

 

 

 



Lesungen online zugänglich unter: www.bibelwerk.de (Sonntagslesungen)

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