(Auszug)
Wir reden euch gut zu, liebe Schwestern und Brüder: Bringt die Haltlosen auf den richtigen Weg! Macht den Depressiven wieder Mut! Gebt die Schwachen nicht auf! Seid weitherzig mit allen! Passt auf, dass niemand böse Erfahrungen mit bösen Taten an anderen vergilt! Sucht dagegen immer das Gute untereinander und bei allen! Freut euch immer! Hört nicht auf zu beten! Sagt Dank für alles! Denn dies will Gott von euch in Christus Jesus. Schränkt die Geistkraft nicht ein! Seht nicht auf Prophezeiungen herab! Doch prüft alles und behaltet das Gute! Von allen Erscheinungen des Bösen haltet euch fern! Gott selbst ist der Frieden: Gott möge euch durch und durch heiligen, und ihr sollt unverletzt an Geist, Seele und Körper bewahrt bleiben. Nichts soll an euch auszusetzen sein, wenn der Messias Jesus wiederkommt, der über uns herrscht. Gott ist treu, ruft euch und wird dies tun.
„Prüft alles und behaltet das Gute“, schreibt Paulus seiner Gemeinde. Wir wollen diese Aufforderung heute auf unsere Entscheidungsfindung in der Frage der gentechnischen Forschung beziehen. Welche Hoffnungen und Ängste haben wir in Bezug auf den Fortschritt der Forschung? Was erscheint uns als das Gute, was wir behalten sollen, was als das Böse, von dem wir uns fernhalten sollten? (Gespräch je nach Personenanzahl im kleinen Kreis oder mit der Nachbarin. Es kann auch weggelassen werden, regt aber das eigene Nachdenken an und macht den Einzelnen ihre eigenen Fragen bewusst.)
Was ist das „alles“, das wir zu prüfen haben? Die Fragen sind komplex und hängen zusammen. Damit uns das Nachdenken leichter fällt, möchte ich einzelne „Prüfsteine“ herausnehmen und je einzeln bedenken, bevor wir sie in das Mosaikmuster der Diskussion zurücklegen.
Prüfen möchte ich unsere Ängste und Vorurteile der Forschung gegenüber. Die Diskussion der vergangenen Monate schien mir oft emotionsgeladen und aufgeheizt durch den Medienrummel, der uns die Schreckensbilder geklonter Menschen und gläserner PatientInnen täglich vor Augen malte. Worte wie „Dammbruch“ und der Vergleich mit der Erfindung der Atombombe schüren Ängste, die ein sachliches Nachdenken erschweren. Stehen wir wieder vor einer kopernikanischen Wende, nur dass diesmal die kirchlichen VertreterInnen Recht haben, wenn sie den ForscherInnen den Vorwurf entgegenschleudern, sie wollten sein wie Gott? Ich denke, wir müssen unsere Befürchtungen gut kennen und konkret benennen. Sie müssen in die Diskussion mit der Forschung eingebracht werden, aber sie dürfen uns nicht daran hindern, eine nüchterne Debatte um die Chancen und Grenzen neuer Therapiemöglichkeiten zu führen.
Zu prüfen ist, von welchem Zeitpunkt an wir von menschlichem Leben reden können und dementsprechend einer sich entwickelnden Eizelle die volle Menschenwürde zusprechen. Kirchliche VertreterInnen sprechen in der Regel vom Beginn des menschlichen Lebens, wenn Ei- und Samenzelle miteinander verschmelzen. Andere meinen, vom menschlichen Leben könne frühestens gesprochen werden, wenn sich das befruchtete Ei in der Gebärmutter einnistet, etwa am 14.Tag, denn ohne Mutterleib gebe es kein menschliches Leben. Ich spüre in mir Widerstand gegen diese Art der Diskussion um den Beginn des menschlichen Lebens und seine Würde, die dann direkt verzweckt wird für die Frage nach Forschungsfreiheit. Ich denke es genügt auch nicht, isoliert um die Würde der befruchteten Eizelle zu streiten, vielmehr muss eine breite ethische Diskussion um den ganzen Komplex der gentechnischen Möglichkeiten und der regenerativen Medizin geführt werden. Für mich lässt sich die Würde des Menschen nicht an biologischen Daten festmachen. Ich spreche lieber von der Würde des Lebendigen, von der geheimnisvollen Lebenskraft, die uns alle durchfließt und uns in der Generationenfolge verbindet. Vielleicht ist es so schwer, vom Beginn des menschlichen Lebens zu reden, weil alles schon lebt, die Eizelle, der Samen, das Band des Lebens reißt nicht ab. Der einzelne Mensch ist in seiner Entwicklung prozesshaft eingebunden in den Strom des Lebendigen. Aus solchen theologischen Überlegungen ergeben sich keine konkreten Handlungsanweisungen, das weiß ich wohl. Aber sie erweitern meine Fragestellung. Ich frage auch nach der Würde der unbefruchteten Eizelle, nach der Würde der Frau, die ihre Eizellen zur Verfügung stellen soll, nach der Würde des Kindes, dem irgendwann erklärt werden soll, wie es gezeugt wurde. Ich möchte, dass Forschung geschieht in Achtung vor allem Lebendigen und sich fragt, in welcher Weise die Weitergabe von Leben berührt wird.
Medizinische Forschung soll der Erhaltung von Gesundheit dienen. Ob wir eines Tages eine somatische Gentherapie haben werden oder die Stammzellenforschung uns wirklich völlig neue Heilungsmethoden zur Verfügung stellen wird, ist ungewiss, denn bis jetzt gibt es keine durchschlagenden Erfolge. Das Zusammenspiel der Gene ist komplizierter als gedacht. Dennoch zeichnet sich der mögliche Missbrauch schon ab. In New York trafen sich WissenschaftlerInnen und EthikerInnen aus vielen Ländern, um das Klonen von Menschen weltweit zu verbieten. Es darf nicht sein, dass menschliches Leben in solcher Weise „hergestellt“ wird. Ob therapeutisches Klonen in gleicher Weise geächtet werden soll ist umstritten, da es sich hier ja nicht um die künstliche Zeugung eines Menschen handelt, sondern um die gezielte Herstellung von Gewebematerial. Aber bis zu einem bestimmten Stadium laufen eben doch beide Vorgänge parallel ab. Auch hier müssen ethische Entscheide getroffen werden und in die Gesetzgebung einfließen. Missbrauch könnte auch mit dem Zuwachs an Wissen über unsere genetische Ausstattung geschehen. Es muss deshalb Gesetze geben, die es ArbeitgeberInnen und Krankenversicherungen verbieten, genetische Daten einzufordern. Einer Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer biologischen Ausstattung darf es nicht geben.
Im Zusammenhang mit der Stammzellenforschung wird davor gewarnt, dass es darauf hinauslaufen wird, behindertes Leben in einem sehr frühen Stadium zu diagnostizieren und zu verwerfen. Obwohl ich diese Befürchtung verstehe, möchte ich differenzieren zwischen neuer Grundlagenforschung und der Problematik, behinderte Embryonen abzutreiben. Stillschweigend und ohne eine gesamtgesellschaftliche Diskussion haben wir nämlich bereits die Situation, dass fast alle Schwangeren pränatale Untersuchungen wahrnehmen und mitgeteilt bekommen, wenn sie ein behindertes Kind erwarten. Die Frau steht dann vor der Entscheidung, ihr Kind zu bekommen oder im Falle einer schweren Behinderung abzutreiben, was bis zum Ende der Schwangerschaft erlaubt ist. Die Praxis, die sich unter der Hand entwickelt hat, führte dazu, dass schon jetzt, auch ohne weitere Forschung, der Prozentsatz der mit Down-Syndrom geborenen Kinder stark gesunken ist. Schon jetzt müssen wir darüber nachdenken, wie wir Frauen unterstützen können, die in die schwierige Lage geraten, über Leben und Tod ihres ungeborenen behinderten Kindes bestimmen zu müssen. Der gesellschaftliche, familiäre und nicht zuletzt auch finanzielle Druck bringt Frauen an die Grenze dessen, was ein Mensch an Entscheidung tragen kann. Diese Diskussion müssen wir auch ohne neue Forschungsergebnisse führen.
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