Alle Ausgaben / 2005 Material von Marie Luise Kaschnitz

Puppenspieler

Von Marie Luise Kaschnitz


Der alte Puppenspieler ist tot, riefen die Puppen in ihrem windigen Häuschen auf dem Pincio, die Königin, der Präsident, die Blumenkinder, der Hanswurst und das Krokodrill. Endlich können wir uns bewegen, wie wir wollen, wir zappeln nicht mehr an seinen Drähten, seine Finger stecken nicht mehr in unseren Armen, Daumen und kleiner Finger und sein Mittelfinger in unserem Kopf. Die Stücke, die wir spielen, sind nicht mehr seine Erfindung, sie fangen nicht mehr an, wenn er den Vorhang aufzieht und enden nicht mehr, wenn er ihn herunterlässt. Er kann uns, wenn wir  ausgedient haben, nicht mehr in die Mülltonne stecken.
Wir sind nicht mehr seine Kreaturen, auch nicht seine lieben  Kinder, er hat keine Macht mehr über uns, er ist tot.
Damit schickten die Puppen sich an, ihr erstes Stück zu  spielen, das „Das Begräbnis des Puppenspielers“ hieß. Sie gingen hinter einer schäbigen Kiste her, der sie von Zeit zu Zeit kräftige Fußtritte versetzten. Dazu sangen sie Spottlieder und weinten heuchlerische Tränen, die keines besser zustande brachte als das Krokodrill. Dieses Stück gefiel den Puppen so gut, dass sie es unaufhörlich wiederholten. Den Zuschauern gefiel es auch, aber mit der Zeit wurden sie unruhig.
Sie hätten auch gern einmal etwas anderes gesehen. 


aus: Steht noch dahin © Insel Verlag 1972

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