Ausgabe 2 / 2008 Artikel von Martin Rosowski

Rabenväter oder Spitzenpapas?

Vaterrolle der jüngeren Männergeneration hat sich gewandelt

Von Martin Rosowski


Im Sommer des vergangenen Jahres erschien die von der Firma Vorwerk in Auftrag gegebene Familienstudie.(1) Im Hessischen Rundfunk wurde die repräsentative Befragung mit den einleitenden Worten vorgestellt: „Rabenmütter sind passé – die  Männer sind die neuen Rabenväter! Das besagt eine aktuelle Familienstudie …“

Im Gespräch der Moderatorin mit dem Projektleiter der Studie stellte sich heraus, dass laut der Umfrage eine große Mehrheit der befragten Frauen und Männer die Bezeichnung „Rabenmutter“ für eine Frau, die ihr zweijähriges Kind in einer Kinderkrippe betreuen lässt, für unpassend hält. Immerhin hält es ein Drittel der Befragten für angemessen, Männer als Rabenväter zu bezeichnen, die die Erziehung und Betreuung ihrer Kinder ganz der Frau überlassen. 54 Prozent der Befragten lehnten jedoch auch diese moralische Verurteilung der Väter ab. Hingegen glaubte eine große Zahl von Frauen und Männern, dass es viele Männer gebe, die sich tatsächlich wie Rabenväter verhielten.

Der Projektleiter, Rüdiger Schulz, stellte im weiteren Verlauf des Gespräches fest, dass diese Einschätzung in keiner Weise mit den empirischen Befunden übereinstimme. So gaben nur 7 Prozent der befragten Mütter und 12 Prozent der Väter an, dass der Mann kaum oder gar nicht an der Erziehung und Betreuung der Kinder beteiligt sei. Insgesamt hätten sich bei der heutigen Vätergeneration das Verantwortungsbewusstsein und die Bereitschaft zur Erziehungsleistung erheblich gesteigert, wenn auch nach wie vor der Hauptanteil der Kindererziehung und -Betreuung bei den Müttern liege. Die Moderatorin bedankte sich und beendete die Reportage mit den Worten: „Deutsche Männer sind in der Regel Rabenväter, das hat Dr. Rüdiger Schulz vom Allensbach Institut in seiner neuen Vorwerk-Familienstudie festgestellt.“

Diese kleine Alltagsszene offenbart, wie schwer sich unsere Gesellschaft damit tut, Veränderungen der Lebensentwürfe von Männern wahrzunehmen. Und doch ist vieles in Bewegung geraten: Männer haben heute davon auszugehen, dass die Erwerbstätigkeit für viele Frauen wesentlicher Bestandteil ihres Selbstverständnisses und ihrer Identität ist. Deshalb ist ein stärkeres familiengestalterisches Handeln von Männern unumgänglich. Und es gibt sie durchaus und in nicht geringer Zahl, die Männer, die sich bereits für eine gerechtere Rollenverteilung bei Erwerbs- und Familienarbeit entschieden haben. Sie nehmen die Möglichkeiten der Elternzeit in Anspruch, nutzen Angebote zur Teilzeitarbeit oder arrangieren die geteilte Familienarbeit anderweitig. Für sie hat das klassische Männerbild, das ihnen ausschließlich den „Außenbereich“ des Berufes zuweist, längst die Attraktivität verloren. Sie erwarten von der verbindlichen Nähe zu den Kindern und der gleichberechtigten Beziehung zur Partnerin eine Steigerung der Lebensqualität jenseits von Konkurrenz und Erfolg.


Väter – die glücklicheren Männer?

Eine von der Zeitschrift „Eltern“ in Auftrag gegebene Studie des Berliner Forsa-Instituts geht davon aus, dass Väter die glücklicheren Männer sind.(2) Väter von heute fänden es wunderbar, Kinder zu haben. Deutlich stärker als je eine Vätergeneration zuvor entwickelten sie ein Interesse für ihren Nachwuchs und engagierten sich für Pflege, Betreuung und Erziehung. Während sich früher die meisten Väter mit der Rolle des Familienernährers begnügt hätten, sei es den Vätern von heute wichtig, für ihr Kind da und ihm nahe zu sein.

Andererseits stehen nicht wenige Männer noch immer vor der Erwartung, in ihrem Beruf ständig präsent, mobil und flexibel zu sein. Und auch die Männer, die neue Wege gehen, treffen auf Blockaden, die durch das Fehlen ausreichender gesellschaftlicher Bedingungen wie durch die alltägliche Realität der Geschlechterverhältnisse verursacht werden. Eine Auswertung der bundesweiten Zeitverwendung in der Bevölkerung macht deutlich, dass viele Männer in der Phase nach der Geburt des Kindes ihre berufliche Arbeitszeit erheblich steigern. Dies wird mit der Sorge begründet, nun in besonderem Maße für die materielle Ausstattung der jungen Familie verantwortlich zu sein. Eine Rolle übrigens, die laut der Vorwerk Familienstudie den Männern von den Frauen durchaus zugewiesen wird.

Die Situation ist vertrackt. Auf der einen Seite wächst so etwas wie eine neue Väterlichkeit in Deutschland, während auf der anderen Seite Anspruch und Realität eines wirklich ausgeglichenen Geschlechterarrangements noch erheblich auseinander klaffen. Sicherlich war die Neuregelung des Elterngeldes durch die Große Koalition Anfang 2007 ein richtiger Schritt. Immerhin hat sich die Zahl der Väter, die im 1. Quartal 2007 Elterngeld beantragten, verdoppelt. Und der Anteil der Väter in Elternzeit stieg von 4,9 Prozent in 2004 auf 7 Prozent in der ersten Hälfte des Jahres 2007. Dies hängt mit der Einrichtung der so genannten Vätermonate zusammen, wonach sich die Bezugsberechtigung von Elterngeld von 12 auf 14 Monate erweitert, wenn der jeweils andere Partner sich an der Elternzeit entsprechend beteiligt. Und schließlich haben ca. 30 Prozent der Elternzeit in Anspruch nehmenden Väter die Erziehungsphase über die für sie reservierte Zeit sogar auf zwölf Monate ausgeweitet.

Der Anteil an Vätern in Elternzeit steigt also in Deutschland, doch im europäischen Vergleich hinken wir noch immer hinterher. Der Anteil der deutschen Unternehmen, in denen sich männliche Mitarbeiter in Erziehungszeit befinden, liegt bei 14 Prozent. In Europa rangiert Deutschland damit im unteren Drittel, der Durchschnitt liegt in den EU-Ländern bei 30 Prozent. Ähnliches gilt für die Familienarrangements: Mehr als 90 Prozent der deutschen Paare mit Kindern leben in traditionellen Konstellationen der Aufteilung der Erwerbsarbeit, in denen die Mutter während der Elternzeit entweder gar nicht oder höchstens in Teilzeit erwerbstätig ist und der Mann voll erwerbstätig bleibt.


Keine Zeit – kein Geld

In einer weiteren repräsentativen Bevölkerungsumfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach (2005)(3) nach Einstellungen junger Männer zu Elternzeit, Elterngeld und Familienfreundlichkeit im Betrieb begründen die befragten Männer den zahlenmäßig großen Unterschied in der Inanspruchnahme von Elternzeit durch Frauen und durch Männer. 82 Prozent der jungen Männer bis 44 Jahre erklären: „Die Einkommensverluste sind meist viel größer, wenn der Vater zu Hause bleibt, als wenn die Mutter zu Hause bleibt.“ Offensichtlich prägt die bekannte Ungleichheit der Einkommen von Frauen und Männern noch immer einen Großteil der Partnerschaften in unserem Land. Weiterhin werden mögliche Nachteile in der beruflichen Laufbahn und der Karriereehrgeiz von 74 bzw. 55 Prozent der jüngeren Männer als Hinderungsgrund für die Nutzung der Elternzeit genannt. Es sind solche äußeren Faktoren, vor allem finanzielle, die viele junge Paare, die ursprünglich gemeinsam für den Erwerb und die Erziehung der Kinder verantwortlich sein wollten, letztlich doch wieder in die Traditionsfalle tappen und zu gewohnten Arrangements zurückkommen lassen.

Aber auch da, wo die Aufteilung: Frau mit Schwerpunkt Familie und Mann mit Schwerpunkt Erwerbsarbeit von vornherein so gewollt und ausgehandelt ist, kommt ein weiterer Faktor hinzu, der die zumindest anteilige Teilhabe des Mannes an der Erziehung und der Hausarbeit erschwert. Fragt man Kinder, was sie sich in der Familie am meisten vom Vater wünschen, dann lautet die Antwort einstimmig: Zeit füreinander! Genau dies ist aber etwas, das Politik und Wirtschaft vor allem dem Mann in der Familie nicht zubilligen. Bis heute orientieren sich die maßgeblichen Zeitmodelle am Vollzeiterwerb, und auch die aktuellen tariflichen Auseinandersetzungen deuten noch auf eine Ausweitung der Wochen- wie der Lebensarbeitszeit hin. Besonders in Krisenzeiten wird nicht auf die kreative Vielfalt der Arbeitszeitgestaltung gesetzt, sondern auf das Höchstmaß an Anwesenheit.

Gerade hier ist die Wirtschaft, sind die ArbeitgeberInnen gefordert. Der Bundespräsident hat dies in seiner familienpolitischen Grundsatzrede beim  Jahresempfang der Evangelischen Akademie Tutzing 2006 sehr deutlich betont:

„Es ist kurzsichtig, wenn Arbeitgeber den jederzeit verfügbaren Arbeitnehmer  vorziehen vor Mitarbeitern, die Mutter oder Vater sind. … Ein vorausschauender Unternehmer organisiert Arbeit so, dass sie optimal erledigt wird – für ihn selbst wie für seine Mitarbeiter. Ich wünsche mir mehr Unternehmen, die erkennen: Investitionen in die bessere Vereinbarkeit von Familien- und Berufsarbeit zahlen sich aus. Von 25 Prozent Rendite spricht eine viel zitierte Studie.“

Bei der „viel zitierten Studie“ handelt es sich um die Prognos-Studie über betriebswirtschaftliche Effekte familienfreundlicher Maßnahmen. Darin stellt das Forschungsinstitut fest, dass Unternehmen langfristig von familienfreundlichen Maßnahmen profitieren. Zu  solchen Maßnahmen gehören u.a. Teilzeitangebote, flexible Arbeitszeiten und Wiedereinstiegsprogramme. Durch sie können die Firmen Neueinstellungs-, Wiedereingliederungskosten sowie Kosten für Überbrückungs- und Fehlzeiten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern senken.(4) Die in der Allensbach-Umfrage befragten Männer befürworten ebenfalls solche Maßnahmen der Arbeitgeber. Auf die Frage, was sie von einer familienfreundlicheren Gestaltung ihres Betriebes erwarten, nennen sie darüber hinaus die Verfügbarkeit von Heimarbeitsplätzen, betrieblicher Kinderbetreuung oder Sonderurlaubsregelungen zur heimischen Kinderbetreuung im Krankheitsfall.


Echt stark, Papa!

Winfried Growe, 41 Jahre, ist Maschinenschlosser und trägt den Titel „Spitzenvater des Jahres“. Eine Jury wählte ihn aus, weil er nach der Geburt seiner beiden Töchter jeweils in die Erziehungszeit gegangen ist und sich heute die Erwerbsarbeit mit seiner Frau teilt. Er arbeitet montags und dienstags, seine Frau von Mittwoch bis Freitag. Seine Töchter finden es toll, dass der Papa für sie da ist, ihnen Essen kocht und ihnen bei den Hausaufgaben hilft – das ist für sie Normalität, mit der sie und die ganze Familie glücklich sind.(5)

Der erste Mann in unserem Leben ist in der Regel der Vater. In der Welt der Auseinandersetzungen und Wettkämpfe kann er der ruhende Pol, der Ort der Geborgenheit, die Verlässlichkeit und der Schutz zugleich sein. Seine Erfahrungen mit der Liebe, der Sexualität, den Rollenanforderungen, dem Leistungsdruck, der Freundschaft, den Hoffnungen und Ängsten können den Jungen Orientierung geben. Als stützende und stärkende Begleitung ihrer Lebenswege kann der Vater die Entwicklung der Mädchen zur Selbständigkeit als Frauen erheblich fördern. Väter werden gebraucht – und das sollte man ihnen öfter einmal sagen. Nicht mit dem Unterton des Vorwurfs, sondern in Anerkennung der positiven Rolle, die sie für die Familie spielen.

Doch alle guten Ideen und Vorsätze nutzen nicht viel, wenn es immer mehr junge Leute, Frauen wie Männer gibt, die sich bewusst für Karriere und gegen Kinder entscheiden. Kann man es ihnen verdenken? In einer Gesellschaft der objektiven Wahlfreiheit sind Kinderlose immer seltener davon überzeugt, dass ein Leben mit Kindern ein erfüllteres, glücklicheres Leben bedeutet. Sie erwarten sich von einem Leben mit Kindern viel Stress, wenig Zeit für sich selbst und große Belastungen. Es mutet tragisch an, wenn im Gegenzug Väter und Mütter gleichermaßen bilanzieren, dass sie aufgrund der emotionalen Zuwendung, die sie durch die Kinder erfahren, trotz aller Belastungen bewuss ter leben und ihr Leben seit der Geburt der Kinder als ein erfüllteres erfahren. 60 Prozent der Mütter und immerhin 44 Prozent der Väter erleben ihre Kinder gar als ein „Geschenk Gottes“.(6)

Hier deutet sich etwas an, was uns allen nicht hilft: eine Konkurrenz der Lebensentwürfe mit bzw. ohne Kinder, Leben in Verantwortung für andere bzw. Leben in völliger Verfügbarkeit für den Job. In einer solchen Atmosphäre kann Leben nicht gedeihen. Statt Konkurrenz ist Gemeinsinn angesagt. Kinder haben das Recht auf einen Lebensbereich, den sie als freundlich empfinden, in dem sie das Gefühl haben, willkommen zu sein. Ebenso wünschen sich alte und kranke Menschen, angenommen, eingebunden und versorgt zu sein. Dies geht nur im Miteinander von Familien, Paaren und Singles. Dazu tut ein Gesellschaftsbild Not, das die Lebenswirklichkeiten von allen Frauen und Männern gleicher maßen in den Blick nimmt, sich für die Verwirklichung ihrer Lebensvorstellungen stark macht und sie dabei in ihren jeweils spezifischen Bedürfnissen unterstützt. Denn letztlich brauchen wir kein frauen- oder männerfreundliches Gemeinwesen, sondern ein Gemeinwesen, das das Leben fördert.


Für die Arbeit in der Gruppe

1 Frauen kommen in der Gruppe über die Fragen ins Gespräch: Was bedeutete der Vater für mich persönlich? Wie habe ich ihn erlebt – und erlebe ich Väter heute anders?

2 Frauen diskutieren in der Gruppe, ob Frauen und Männer Elternschaft unterschiedlich definieren und bewerten. Sie nutzen dazu den Fragebogen unten. (Für AbonnentInnen unter www.ahzw.de / Service zum  Herunterladen vorbereitet)

Im Anschluss geben Sie den Fragebogen an die örtliche Männergruppe, männliche Partner, Freunde oder Bekannte mit der Bitte um Beantwortung weiter.

3 Gemeinsame Runde von Frauen und Männern, in der die Ergebnisse der Fragebögen verglichen werden (Tipp: Vergleichen Sie Ihre Ergebnisse auch mit den Ergebnissen der Vorwerk-Studie: www.familien-managerin.de/Familienstudie).


Abschlussgespräch:

Wie möchten wir als Väter und Mütter sein? (Bei älteren Leuten: Wie wollten wir als Väter und Mütter sein – wie waren wir?)
Wie wünschen wir uns die/den jeweils andere/anderen als Vater/Mutter? (Wie hätten wir sie/ihn uns gewünscht? Wie agieren wir als Großeltern?)
Was muss sich ändern?


Martin Rosowski, geb. 1958, hat Geschichte und 
Ev. Theologie an der Ruhr-Universität in Bochum studiert und absolvierte beide Staatsexamina für das Lehramt in den Sekundarstufen I und II an Gymnasien. Seit 1991 ist er der Geschäftsführer der Männerarbeit der EKD und leitet deren Hauptgeschäftsstelle in Kassel. Er ist verheiratet und Vater eines 12jährigen Sohnes.


Anmerkungen:

1 Vorwerk Familienstudie 2007: Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage zur Familienarbeit in Deutschland, Institut für Demoskopie Allensbach, Mai/Juni 2007, Download unter www.familien-managerin.de/familienstudie
2 Umfrage Forsa für die Zeitschrift Eltern, Frühjahr 2006
3 Einstellungen junger Männer zu Elternzeit, Elterngeld und Familienfreundlichkeit im Betrieb. Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage, Institut für Demoskopie Allensbach, August 2005
4 Väterfreundliche Maßnahmen im Unternehmen. Ansatzpunkte – Erfolgsfaktoren – Praxisbeispiele, Studie der prognos AG im Auftrag des BMFSFJ, Basel 2006
5 Neue Wege. Porträts von Männern im Aufbruch, BMFSFJ, Berlin 2007
6 Vorwerk Familienstudie, a.a.O


Arbeitsmaterial: Fragebogen

Was bedeutet es für mich, Mutter bzw. Vater zu sein?
Welche der folgenden Antworten finden Sie für sich selbst zutreffend?

 Verantwortung tragen
 gebraucht werden
 lieben und geliebt werden
ein erfüllteres Leben
 ein bewussteres Leben
 die Welt mit anderen Augen sehen
 dass etwas von mir weiterlebt
 eigene Erfahrungen / Wissen weitergeben
 einen Erben haben
 einen „Rund-um-die-Uhr-Job“ haben
 viel Stress
 wenig Freizeit
auf vieles verzichten müssen
 wenig Zeit für sich selbst haben
 große finanzielle Belastungen
 Sorgen haben
 ein Leben voller Überraschungen
 ein Geschenk Gottes

Ausgabenarchiv
Sie suchen eine Ausgabe?
Hier entlang
Suche
Sie suchen einen Artikel?
hier entlang