Ausgabe 2 / 2003

Rassismus

erkennen. bekämpfen.

„Bin ich denn die Hüterin meiner Schwester / meines Bruders?“ Es ist die uralte Antwort der TäterInnen und ZuschauerInnen, wenn sie sich für ihr Tun oder Lassen verantworten sollen. Der biblische Brudermord scheint mir ein gewichtiges Indiz dafür zu sein, dass Rassismus von allem Anfang an das Menschsein – von Opfern wie TäterInnen – gefährdet hat.

Rassismus bedeutet, Mitmenschen zu fürchten, sie abzulehnen und auszugrenzen, ihr Recht auf Leben einzuschränken oder sie gar zu töten, nur weil sie, tatsächlich oder vermeintlich, „anders“ sind. Dieser wahrhaft teuflischen Versuchung sind Menschen, einzeln oder im Kollektiv, immer wieder erlegen. Aber soviel steht fest: Gott will es nicht. Es gibt keinen Zweifel, Gott hält alle Menschen in seinen/ihren bergenden, schützenden, liebenden und nährenden Händen. Es ist – Gott sei Dank! – für heutige Christinnen und Christen keine Frage(mehr), ob Rassismus Sünde sei. Es ist „nur“ noch die Frage, wie er zu erkennen und zu überwinden ist.

Mehrere Autorinnen haben sich intensiv damit auseinandergesetzt, was die biblischen Texte zum Thema Rassismus „hergeben“. Wie die Jahwe-Leute als Opfer rassistischer Gewalt klagen und flehen, davon zeugt das Fünfte Klagelied, das Beatrice Onyele unter die Lupe nimmt.
Biblische Impulsen zur Überwindung von Rassismus im Umgang mit „Fremdlingen“ trägt Susanne Käser-Ohouo zusammen. Als Paradebeispiel eines Menschen, der eigene rassistische Verstrickungen nur aufgrund massiven göttlichen Eingreifens lösen kann, präsentieren Renate Romberg und Ute Winkler den Petrus vor und in seiner Begegnung mit dem Offizier der Besatzungsmacht, dem römischen Hauptmann Cornelius. Das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe meditierend, spürt Eleonore Wiedenroth in einer Andacht den Kräften nach, die für den Kampf gegen Rassismus nötig sind.

„Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“, hat Bertolt Brecht beobachtet. Aber was ist „das“, der Rassismus, eigentlich genau? Welche Wurzeln in der Vergangenheit, welche Formen in der Gegenwart hat Rassismus? Grundlegende Fragen dieser Art klärt Susanne Lipka.
Dass kirchliche Traditionen, insbesondere im Zusammenhang christlicher Missionstätigkeit, Teil des rassistischen Wurzelwerks sind, ist – leider – nicht zu bestreiten, aber auch entscheidende Impulse zur Überwindung von Rassismus gingen hiervon aus. Die „alte Missionarin“ Marie Dilger stellt sich der heiklen Frage, ob Mission und Rassismus eher Gegner oder doch eher Komplizen waren. Kirchlich oder säkular geprägt: gemeinsam ist den meisten Menschen, dass sie sich schwer tun im Umgang mit Fremdem und Fremden. Dies (besser) zu lernen, dazu leitet Brigitte Horneber-Denzer an.

Spektakulär und medienwirksam sichtbar wird Rassismus in neonazistischen Aufmärschen, brennenden AsylbewerberInnen-Unterkünften oder jeden halbwegs anständigen Menschen erschütternden Bildern von gejagten und zu Tode geprügelten Schwarzen. Aber solche Auswüchse entstehen nicht im luftleeren gesellschaftlichen Raum. Sie setzen einen rassistischen Nährboden voraus. Und den bildet – gewollt oder ungewollt, bewusst oder unbewusst – jede(r) von uns mit. Also gilt es, die „zehn kleinen Negerlein“ und sonstige Erscheinungsformen des ganz alltäglichen Rassismus aufzuspüren. Waltraud Liekefett schlägt vor, dass Frauengruppen sich selbst und ihre Gemeinden damit beschäftigen.
In der Theorie so bewandert wie in der Praxis erprobt, lädt Sabine Kriechhammer-Yagmur zu einer ganzen Serie von Übungen zum Erkennen von / Handeln gegen Rassismus ein.

Evangelische Frauen fangen in ihrem Engagement gegen Rassismus nicht bei Null an, schon lange vor der „Wende“ wurden – in Ost und West – Erfahrungsschätze gesammelt, auf die wir heute zurückgreifen können. Hildegard Zumach erinnert an die Boykott-Aktion „Kauft keine Früchte der Apartheid“ der Evangelischen Frauenarbeit in Deutschland, Renate Salinger an das Engagement evangelischer Frauenarbeit im Bund der Kirchen in der DDR für Mosambik.

„Wenn Rassismus drauf steht, muss auch Rassismus drin sein!“ Diesen Wunsch gab mir eine Kollegin bei einer gemeinsamen Tagung von Ev. Frauenarbeit und Ev. Frauenhilfe zu Rassismus, bei der diese Arbeitshilfe geplant wurde, mit auf den Weg. Und nicht, so hat sie es wohl gemeint, „Drumherumgerede“. Rassismus, auch den in mir selbst, auch den in meiner Gesellschaft zu erkennen, nicht klein zu reden oder als harmlos zu beschönigen, sondern klar und unmissverständlich zu reagieren, ist keine leichte Herausforderung. Sie anzunehmen und zu bestehen wäre ein elementarer Beitrag zur DEKADE ZUR ÜBERWINDUNG VON GEWALT des Ökumenischen Rates der Kirchen. Die vielfältigen Beiträge dieser Arbeitshilfe können, so hoffe ich, dabei unterstützen.

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