Ausgabe 2 / 2003 Artikel von Sabine Kriechhammer-Yagmur

Rassistisch? Ich doch nicht!

Übungen zum Erkennen und Handeln

Von Sabine Kriechhammer-Yagmur

(Auszug)

Dass es Diskriminierung und Rassismus in Deutschland gibt, darüber können sich viele Menschen rasch und problemlos einigen. Darüber, dass jede/jeder Einzelne Anteil daran hat, wenn rassistische Klischees reproduziert werden und der Alltagsrassismus zunimmt, eher nicht. Und rassistisch sind ohnehin immer die anderen. Wer dieses emotional besetzte Thema in einer (Frauen)gruppe angehen will, sollte wissen, dass es Konfliktpotential beinhaltet. Die beste Vorbereitung wird nicht verhindern, dass mit der Thematisierung von Rassismus latente Konflikte in Gruppen verstärkt werden und zum Vorschein kommen – und dass diese Konflikte nicht immer zu lösen sein werden. Denn es geht um den Erhalt von Herrschaftsstrukturen, auf die nicht jede verzichten will.

Für die Arbeit in der Gruppe

Die Übung ist geeignet, Alltagsrassismus zu thematisieren und dabei eigene Haltungen zu erkunden und zu überprüfen. Sie ist für Gruppen gedacht, die sich in einer Veranstaltung oder einem Studientage dem Thema “Rassismus” nähern wollen. Für eine weiterführende Beschäftigung, zum Beispiel mit institutionellem Rassismus, wäre sie lediglich ein Sprungbrett. Es ist unabdingbar, dass die Leiterin sich bereits theoretisch mit dem Thema Rassismus befasst und eine eigene Haltung dazu entwickelt hat. Schon in der Einladung sollte deutlich werden, dass es darum geht, den eigenen Rassismus erfahrbar und sichtbar zu machen, um Ideen zu dessen Überwindung zu entwickeln. So werden jene abgeschreckt, die nicht bereit sind, sich auf das Thema einzulassen und (hoffentlich) jene, die lediglich einen Ort für die Widergabe rassistischer Haltungen suchen. Die Diskussion zum Thema sollte nach der Übung stattfinden, auf keinen Fall vorher. Um Abwehrreaktionen vorzubeugen und Ängsten zu begegnen, sollte zu Beginn deutlich werden, dass wir alle Produkte einer Erziehung sind, die bewusst und/oder unbewusst rassistische Haltungen und Einstellungen vermittelt. Es geht nicht darum, einzelne an den Pranger zu stellen, sondern darum, sich selbst besser kennen zu lernen und Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln. Die Übung beinhaltet Elemente der Selbsterfahrung. Die Leiterin sollte daher mit der Gruppe Vertraulichkeit vereinbaren. Je nach Alter, Vertrautheit, Haltungen und Schichtzugehörigkeit der Mitglieder werden Ablauf und Ergebnisse variieren.

RASSISMUS ERKENNEN

Wortassoziationen
Ziel: Sensibilisierung für Rassismus in der Sprache, Nachdenken über Alternativen und deren Umsetzbarkeit (geeignet für Gruppen zwischen 5 und max. 20 TN) Zeit: 90 bis 120 Minuten, je nach Gruppengröße. Die Übung kann nach der dritten Runde unterbrochen und in einem weiteren Termin fortgeführt werden, wenn die Zeit knapp werden sollte.

Material: Papier für Wandzeitungen, je zwei dicke Filzstifte in rot und blau

(a) Einführung durch die Leiterin: Die Leiterin befestigt die Wandzeitungen und legt dicke Filzstifte bereit. Die Wandzeitung wird mit einem senkrechten Strich in zwei gleiche Hälften geteilt. Die Leiterin erklärt der Gruppe, dass es sich um ein Assoziationsspiel handelt, das rasch gespielt wird und in dem nicht überlegt sondern spontan reagiert werden soll. Die Auswertung erfolgt später.

(b) Die erste Runde: Die Leiterin schreibt in die erste Spalte der Wandzeitung das Wort “Afrika” mit blauem Filzstift und bittet die Teilnehmerinnen, alle Begriffe zuzurufen, die ihnen spontan dazu einfallen. Diese notiert sie unter dem Begriff. Anschließend schreibt sie in die zweite Spalte das Wort “Europa”. Wieder assoziieren die Teilnehmerinnen spontan, die Ergebnisse werden notiert. In der ersten Spalte folgt jetzt der Begriff “Afrikanerin”, in der zweiten “Europäerin”. Wieder werden die assoziierten Begriffe notiert. (10 Minuten)

(c) Die zweite Runde: Die Leiterin fordert jetzt dazu auf, sich anzuschauen, was auf jeder Seite der Wandzeitung steht und bittet die Teilnehmerinnen darum, sich zu den Ergebnissen zu äußern. Was fällt auf? Wo gibt es Unterschiede, z.B. in der Bewertung? Wird ein Begriff als rassistisch identifiziert? Die Begriffe, um die es geht, werden mit einem dicken Filzstift in rot umkringelt. Wenn die Gruppe nicht sehr vertraut miteinander ist, kann es sinnvoll sein, dass die Leiterin den Anfang macht und ihre Beobachtungen formuliert, z.B.: Afrika wird als Land, Europa als Kontinent wahrgenommen, Afrikanerinnen werden als “exotisch”, Europäerinnen als “emanzipiert“ wahrgenommen, Die “zehn kleinen Negerlein”, der “Negerkuss” oder das Wort “Neger” taucht auf. (bis zu 20 Minuten)

(d) Die dritte Runde: Wie geht es jeder Einzelnen nach diesen ersten beiden Runden? Gefühle dürfen und sollen ausgesprochen werden. Dies ist möglich in Form eines “Blitzlichts”, in dem jede reihum kurz sagt, wie sie sich fühlt und warum. Bei Gruppen, die sich gut kennen, muss es nicht reihum gehen. Es ist jedoch sicherzustellen, dass alle zum Zuge kommen. (bis zu 15 Minuten)

(e) Die vierte Runde: Jetzt ist die Kreativität der Gruppe gefordert. Für die rot eingekringelten Begriffe werden alternative Worte gesucht, die nicht diskriminierend oder rassistisch sind. Diese werden in rot daneben geschrieben. Diskutieren Sie die Vor- und Nachteile der neuen Begriffe. (bis zu 15 Minuten)

(f) Die fünfte Runde: Hier geht es darum nachzudenken, was jede Einzelne tun kann, um die “neuen” Begriffe bekannt zu machen und dafür zu sorgen, dass die “alten” nicht weiter verwendet werden. Die Ideen werden zunächst gesammelt und anschließend zwei davon im Rollenspiel erprobt, zum Beispiel: beim Bäcker verlange ich künftig Schokoküsse. Was tun, wenn die Verkäuferin sagt: “Ach so, Sie meinen Negerküsse!?”. Hier ist es wichtig, dass die Leiterin im Rollenspiel die Frau so unterstützt, dass sie eine individuelle Lösung für sich finden kann. Es gilt, deutlich zu machen, dass solche Lösungen immer auf persönlichen Stärken beruhen und daher sehr unterschiedlich aussehen können und müssen. (bis zu 45 Minuten)

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