Ausgabe 1 / 2004 Artikel von Karin Nungeßer

Regenbogenfamilien

Von Müttern und Co-Müttern und Kindern

Von Karin Nungeßer

„Gut.“ So lautet Akiras selbstbewusst-fröhliche Antwort auf die Frage, wie es ist, zwei Mütter zu haben. Akira ist sechs und fasziniert von Pokémon. Fußball spielen? Klar, macht er auch gern. Und mit wem? „Na, mit Mutti, Mama mag keinen Fußball.“

Lesben und Kinder – in der allgemeinen Wahrnehmung war das lange ein Widerspruch. Dabei gibt es lesbische Mütter nicht erst seit gestern. Schon vor zehn Jahren hatte Schätzungen zufolge jede dritte Lesbe in Deutschland Kinder, die meisten von ihnen aus einer früheren heterosexuellen Beziehung. Das macht über eine halbe Million Kinder und Jugendliche, die bei ihren lesbischen Müttern aufwachsen, konservativ geschätzt. Genaue Zahlen existieren nicht.
Doch allen Realitäten zum Trotz – die herrschende Ideologie wandelt sich nur langsam. Familie, das meint im Alltag, in der Schule, im deutschen Familienrecht immer noch: Vater, Mutter, Kind. Bestenfalls sind allein erziehende Mütter plus Kind(er) heute mitgemeint. Aber Mutter, Freundin, Kind? Das ist für viele undenkbar. Und wenn sie damit konfrontiert werden: ein Problem.

Diese Erfahrung hat auch Jana Tschorn gemacht. Noch während der Schwangerschaft trennte sie sich vom Vater ihres Kindes. Vater und Sohn hätten sich dennoch regelmäßig gesehen, erzählt sie – bis Jana sieben Jahre später ihr Coming Out als Lesbe hatte und mit ihrer Freundin zusammenzog. „Danach hat sein Vater den Kontakt zu Wolfgang abrupt abgebrochen“, erinnert sich die 38-Jährige,  „und auch seine Großeltern väterlicherseits wollten ihn plötzlich nicht mehr bei sich haben.“ Auch sie selbst litt darunter, dass FreundInnen und Bekannte sich zurückzogen. Hart sei es vor allem für Wolfgang gewesen: „Wie soll ein Siebenjähriger verstehen, wenn ihm auf einen Schlag ein Großteil der Leute, die er mag, einfach wegbricht?“

Solche Reaktionen sind kein Einzelfall, wie Jana inzwischen aus vielen Gesprächen mit anderen lesbischen Müttern im Berliner Sonntags-Club weiß. Bei einer Umfrage unter Regenbogenfamilien1 im Herbst 2000 gab knapp ein Drittel der Befragten an, ihre Kinder hätten bereits negative Reaktionen auf die sexuelle Orientierung ihrer Eltern erlebt. Die Bandbreite an Diskriminierungen, über die lesbische Mütter und schwule Väter berichten, ist groß und reicht von Hänseleien über eher unterschwellige Ressentiments bis hin zu offener Ablehnung der Kinder. Homophobe Ansichten und Vorurteile bei LehrerInnen und ErzieherInnen sind offenbar immer noch verbreitet, auch wenn sie heute oft unter dem Deckmäntelchen der Pseudotoleranz vorgetragen werden. „Wissen Sie, wir haben auch Eltern mit anderen Krankheiten“, bekam beispielsweise ein lesbisches Paar von der Grundschullehrerin ihrer Tochter zu hören.

Heimlichkeiten sind Gift

Sollten lesbische Mütter also das eigene So-Sein besser verheimlichen? Verschweigen, wen und wie sie lieben, weil das „schließlich Privatsache“ ist, wie viele meinen? Auf keinen Fall, warnen PsychologInnen. Denn Heimlichkeiten sind Gift für jede Eltern-Kind-Beziehung. Und je früher ein Kind von der Homosexualität seiner Eltern erfährt, um so selbstverständlicher kann es damit umgehen.
Auch für Jana war es wichtig, ihrem Sohn gegenüber von Anfang an offen zu sein. „Kinder sind in diesen Dingen sehr aufgeschlossen“, hat sie festgestellt. Als ihr Sohn nach einigen negativen Reaktionen dazu überging, die Freundin seiner Mutter gegenüber Kumpeln als ihre Mitbewohnerin vorzustellen, war das für sie in Ordnung. „Kinder machen eben Entwicklungsphasen durch, darauf muss man Rücksicht nehmen.“ Mit dem Wechsel auf eine neue Schule im Prenzlauer Berg hat sich dieses Problem vor einigen Jahren von selbst erledigt: „Für die Leute dort ist es ganz normal, dass meine Mutter lesbisch ist“, erzählt der heute 15-Jährige stolz.

Auch Rita Pöschl und Sabina Battisti sind regelrecht erstaunt, wie unproblematisch sich das Leben als offen lesbisches Paar mit Kind für sie gestaltet. Vor eineinhalb Jahren haben sie Sophia bekommen. Und obwohl der beschauliche Ort Arheilgen, in dem sie wohnen, nicht eben als Hochburg schwul-lesbischer Emanzipation bekannt ist, bekommen die beiden Frauen von ihren NachbarInnen und Verwandten fast nur positives Resonanz. „`Das Kind hat´s aber gut, das hat zwei Mütter´, so was kriegen wir öfter zu hören“, erzählt Sabina, die sich als Co-Mutter von ihrer Umgebung vollkommen gleichberechtigt anerkannt fühlt. Einen Nachmittag in der Woche wird ihre Tochter von Sabinas Eltern betreut. „Sie betrachten Sophia als ihr Enkelkind und haben eine sehr herzliche Beziehung zu ihr“, hat sie festgestellt.
„Unsere Bedenken, dass wir hier nicht als vollwertige Familie angesehen werden, waren völlig unbegründet.“ Kann es für Sophia eine Bereicherung sein, von zwei Müttern aufgezogen zu werden? Absolut, findet Sabinas Lebensgefährtin Rita: „Wir haben es als Frauen viel leichter, uns Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit wirklich gerecht zu teilen. Bei uns macht jede die Hälfte – schon dadurch fallen viele Konflikte und Nervereien weg, mit denen sich Heteropaare herumschlagen müssen“, hat sie beobachtet.
Und auch vom eigenen partnerschaftlichen Umgang und der Offenheit miteinander profitiere ihre Tochter schon jetzt. Das bestätigen auch ExpertInnen. Ihre These: Gerade die Erschütterungen der Selbstwahrnehmung, die Ängste und Zweifel, aber auch die Selbstannahme und der Respekt vor der eigenen Lebensform, die mit einem Coming out meist einhergehen, machen viele der lesbischen Mütter und schwulen Väter zu besonders partnerschaftlichen ErzieherInnen ihrer Kinder. „Der Familienalltag in den Regenbogenfamilien“, schreibt Gabriele Kämper, Referentin für
Frauenpolitik in der Berliner Senatsverwaltung, „ist von einem hohen Grad an gegenseitigem Verständnis und Respekt und der Bereitschaft zu einem gleichberechtigten Aushandeln unterschiedlicher Interessen geprägt.“

Ökonomische Benachteiligung

Um so mehr ärgern sich lesbische Mütter über die rechtlichen Diskriminierungen, denen sie mit ihren Kindern immer noch ausgesetzt sind. „Das Lebenspartnerschaftsgesetz hat in dieser Hinsicht wenig gebracht“, kritisiert Elke Jansen vom Projekt Regenbogenfamilien des LSVD (Lesben- und Schwulenverband Deutschland). Denn das so genannte kleine Sorgerecht, das das Gesetz Co-Müttern und -Vätern zubilligt, betrifft lediglich alltägliche Befugnisse wie Kindergarten-Anmeldung oder Arztbesuche, die genauso gut über entsprechende Vollmachten geregelt werden können. „Die ökonomische Benachteiligung gegenüber verheirateten Paaren ist geblieben“, konstatiert Jansen. Die ideale Lösung ist aus ihrer Sicht das Recht zur Stiefkindadoption. So können Co-Mütter und -Väter in Dänemark seit drei Jahren die leiblichen Kinder ihrer PartnerInnen adoptieren und haben damit alle Rechte und Pflichten von heterosexuellen Eltern.

Ganz normale Familien

Systematische Forschung darüber, was die Kinder lesbischer Mütter und schwuler Väter von Gleichaltrigen unterscheidet, gibt es hierzulande kaum. Die Autoren einer vom nordrhein-westfälischen Frauenministerium herausgegebenen Studie über „Lesben, Schwule, Kinder“2 haben daher vor allem Ergebnisse amerikanischer Studien herangezogen und ausgewertet. Deren Resultate sind eindeutig: Bei der Untersuchung von Kindern, die bei ihren homosexuellen Müttern und Vätern aufwuchsen, fanden die WissenschaftlerInnen keinerlei spezifische Defizite – weder im Hinblick auf ihre Geschlechtsidentität noch, was ihre psychosoziale Entwicklung im Allgemeinen betrifft. Auch das Vorurteil, dass Kinder, die von Lesben und Schwulen großgezogen werden, später automatisch selbst lesbisch oder schwul werden, widerlegen die Forschungsergebnisse.
Dafür fanden die WissenschaftlerInnen heraus, dass lesbische Frauen offenbar stärker als allein erziehende heterosexuelle Frauen den Kontakt ihrer Kinder zum leiblichen Vater oder zu anderen männlichen Bezugspersonen fördern.

„Es wäre gut, wenn die Öffentlichkeit begreifen könnte, dass wir vor allem eins sind: ganz normale Familien“, fordert Jana. Und in der Tat klingt vieles, was die Frauen von sich und ihrem Alltag mit den Kindern erzählen, verblüffend
unspektakulär: Janas Sohn hatte gerade eine Zahn-OP. Akira kommt demnächst in die Schule. Sabina und Rita rechnen aus, ob eine dreißig-Stunden-Stelle reicht, um das Familieneinkommen fürs erste Jahr zu sichern. Denn nach den positiven Erfahrungen wünschen sie sich nun vor allem eines für ihre Familie: ein Geschwisterchen für Sophia.


Karin Nungeßer, 37, lebt zusammen mit ihrem Freund und dem gemeinsamen 11-jährigen Sohn in Berlin und arbeitet als freie Journalistin. Nachdruck (gekürzt) mit freundlicher Genehmigung aus FRAUENRAT 3/2003

 

Vorschläge für die Gruppenarbeit


Hinweis für die Leiterin: Die Themen rund um die „Regenbogenfamilien“ sorgen bei Diskussionen um gleichgeschlechtliche Lebensformen für Aufregung; schließlich geht es hier nicht „nur“ um Erwachsene, sondern auch um Kinder und um deren Wohl.
Die folgenden Vorschläge können einzeln oder kombiniert umgesetzt werden. Dringend zu warnen ist allerdings vor einer Diskussion des Adoptionsrechtes, ohne dass zuvor eine Auseinandersetzung mit gleichgeschlechtlichen Lebensformen auf der Erwachsenenebene stattgefunden hätte. Sonst werden Probleme, die Frauen eventuell mit der Lebensform haben, hinter dem vermeintlichen „Kindeswohl“ versteckt diskutiert. Die Leiterin sollte zur Vorbereitung mindestens den Beitrag zu Regenbogenfamilien gelesen haben und Informationen daraus beisteuern können
.

(1) Alles ganz normale Familien?

Ziel: „Familie ist da, wo Kinder sind“, sagen viele. Sind also auch die sog. Regenbogenfamilien, in denen zwei Frauen oder zwei Männer mit Kind(ern) zusammen leben, „ganz normale“ Familien? (ca. 1 Std.)

Material: 2 DIN-A-4 Blätter mit der Überschrift „VORHER“ bzw. „NACHHER“; ca. 20 weiße und 20 farbige Zettel, Stifte, evtl. 2 Plakate mit der Überschrift „GLEICHE FREUDEN – SORGEN – PROBLEME“ bzw. „SPEZIELLE FREUDEN…“

Ablauf: * Bitten Sie die Gruppe zunächst um ein spontanes Meinungsbild: Wie viele meinen „Ja“, wie viele „Nein“? Das Ergebnis wird nicht kommentiert, sondern lediglich groß auf das Blatt „VORHER“ geschrieben und aufgehängt.
(ca. 5  min)

* Bilden Sie zwei Gruppen. Gruppe (1) bekommt weiße Zettel und die Frage: Welche Freuden/Sorgen/Probleme prägen nach Ihrer Erfahrung oder Vermutung den Alltag von Familien, die aus Frau-Mann-Kind(ern) bestehen?
Gruppe (2) bekommt farbige Zettel und die Frage: … von Familien, die aus zwei Frauen und Kind(ern) bestehen? Beide sollen ihre Antworten stichwortartig (ein Thema pro Zettel) notieren. (ca. 20 min)

* Tragen Sie die Ergebnisse im Plenum zusammen und sortieren sie die Zettel auf die beiden Plakate: Gleiche/ spezielle Freuden, Sorgen, Probleme. Vermutlich werden sehr viele weiße und farbige Zettel auf dem einen Plakat, wenige auf dem anderen sein. Bitten Sie die Gruppe darüber nachzudenken, was dieses Ergebnis bedeutet. (ca. 20 min)

* Wiederholen Sie jetzt die Abstimmung vom Anfang und schreiben das Ergebnis auf das Blatt „NACHHER“. Hat sich etwas verändert? Wenn ja: Wodurch hat sich die Meinung einzelner Frauen verändert?
Besprechen Sie abschließend, ob die Gruppe in einem weiteren Treffen am Thema weiterarbeiten möchte. (ca. 15 min)

(2) Brauchen die Kinder nicht doch den Vater?

Ziel: Zweifel und Fragen in Bezug auf Regenbogenfamilien haben viele Frauen, selbst wenn sie kein Problem damit haben, dass Erwachsene in gleichgeschlechtlichen Beziehungen leben. Es ist wichtig, sich diese bewusst zu machen und sich mit möglichen Antworten auseinander zu setzen. (ca. 45 min)

Ablauf: * Geben Sie jeder Frau zwei Zettel und die Frage: Was halte ich für fragwürdig mit Blick auf Kinder, die in einer Familie mit zwei Frauen / Männern aufwachsen? Nur die beiden der Frau wichtigsten Fragen oder Bedenken aufschreiben lassen! (ca. 5 min)

* Tragen Sie die Fragen und Bedenken zusammen und sortieren sie. Lassen sich einige durch Wissen innerhalb der Gruppe klären? (ca. 30 min)

* Stellen Sie gemeinsam fest, welche Fragen offen bleiben. Sie können vereinbaren, dass sich Mitglieder der Gruppe bis zum nächsten Treffen näher informieren und die für sich gefundenen Antworten in die Gruppe geben bzw. dort zur Debatte stellen. (ca. 10 min) Besser wäre es, die Gruppe würde das direkte Gespräch mit Frauen suchen, die lesbisch und mit Kindern leben. Wenn Sie in Ihrem näheren Umfeld keine Frauen in dieser Lebensform kennen, können Sie Kontakte über Geschäftsstellen der evangelischen Frauenverbände oder über Lesben-Netzwerke (s.S. 82) herstellen.

(3) Adoptionsrecht für Lesben und Schwule?

Ziel: Wer Nachrichten hört oder Zeitungen liest, kennt die Forderung nach einem Adoptionsrecht für gleichgeschlechtlich liebende Frauen und Männer. Politische Entscheidungen dazu stehen an. (ca. 2 Std.)

Ablauf: * Kopieren Sie den Auszug aus einer Pressemitteilung des LSVD (Lesben- und Schwulenverband Deutschland) auf Seite 49 für jede Frau und lesen ihn gemeinsam. (ca. 5 min)

* Arbeiten Sie die für das Adoptionsrecht genannten Argumente des LSVD heraus und schreiben sie in einem Aussagesatz auf jeweils ein Plakat, z.B.: Ein Adoptionsrecht für lesbische und schwule Paare entspricht dem grundgesetzlich
garantierten Schutz der Familie. (ca. 20 min)

* Bilden Sie pro Plakat eine Gruppe mit dem Auftrag, Argumente für und gegen die Aussage zu sammeln. Die Gruppe bittet eine Frau, die Mehrheitsmeinung der Gruppe im Plenum zu vertreten. (ca. 30 min)

* Stellen Sie im Plenum Stühle im Halbkreis auf und moderieren Sie eine Talkshow zur Frage „Adoptionsrecht“ mit den Vertreterinnen der Kleingruppen. (ca. 30 min)

* Tauschen Sie sich danach in der gesamten Gruppe (ohne weitere Diskussion) aus zur Frage: Welches der genannten Argumente hat meine ursprüngliche Meinung zu diesem Thema ins Wanken gebracht oder verändert? (ca. 15 min)

* Besprechen Sie abschließend, ob Sie sich als Gruppe in dieser Frage öffentlich (z.B. in der Kirchengemeinde, in der Kommune, durch Leserinnenbriefe…) äußern wollen, um sich an der gesellschaftlichen Meinungsbildung aktiv zu beteiligen. Falls ja: Überlegen Sie, ob Sie dazu bereits genügend Informationen und Argumente haben. In jedem Falle empfiehlt es sich, vor dem Schritt in die Öffentlichkeit ein Gespräch mit Frauen oder Männern aus Regenbogenfamilien zu führen. (ca. 15 min)


Margot Papenheim, Redakteurin der Arbeitshilfe zum Weitergeben

 

Anmerkungen
1 Der Regenbogen als Symbol für die bunte Vielfalt der Lebensform ist das „Vereins-logo“ der Lesben- und Schwulenbewegung
2 Lesben – Schwule – Kinder. Eine Analyse zum Forschungsstand der schwul-lesbischen Forschungsgruppe München, hrsg. vom Ministerium für Frauen, Jugend,  Familie und Gesundheit des Landes Nordrhein- Westfalen, 77 Seiten, November 2000.

 

 

 

 

 

Ausgabenarchiv
Sie suchen eine Ausgabe?
Hier entlang
Suche
Sie suchen einen Artikel?
hier entlang