Ausgabe 1 / 2014 Material von Anna Dünnebier, Ursula Scheu

Reichlich Grund zu schlechter Laune

Von Anna Dünnebier, Ursula Scheu


Es gab reichlich Grund zu schlechter Laune. Anfang des Jahres sollte ein internationaler Stimmrechtskongress in Washington stattfinden, und von der gesamten internationalen Frauenbewegung waren es nur die Deutschen, die es noch nicht einmal geschafft hatten, einen Stimmrechtsverein zu gründen. Keine deutsche Delegierte in Washington – wie blamabel. Dann hatte Augspurg eine so simple wie geniale Idee. Sie war ja auf dem Weg nach Hamburg – dort gab es kein Vereinsverbot für politische Frauen. Nirgendwo in Deutschland gab es ein Gesetz, das Frauen verbot, in Vereinen anderer Länder des Reiches Mitglied zu werden. Mit einigen Berliner Unterschriften in der Tasche kam sie in Hamburg an, freudestrahlend über ihre gute Idee …

Eine knappe Woche später organisierten sie die erste öffentliche Veranstaltung in Hamburg, einen Monat später in Berlin. Anschließend reisten sie durch die Provinz, hielten Vorträge, warben Mitglieder und gründeten weitere Wahlrechtsvereine, vom Bodensee bis Königsberg, von Oldenburg bis Breslau. Das Deutsche Reich hatte wieder etwas zu diskutieren. Ob nun die Kinder demnächst an den Bäumen wachsen würden, wenn die Frauen mit Politik beschäftigt seien, fragte sich die Tat, und der Pfälzische Kurier sorgte sich, dass die Teilnahme am öffentlichen Leben ein Ziel sei, das „die Natur dem Weibe versagt hat“. …

Die Anträge auf Mitgliedschaft strömten nur so, selbst aus kleinsten, völlig unbekannten Orten – als ob unzählige Frauen nur auf den Anstoß gewartet hätten, so schätzte es Heymann ein … Und was würden die Parteien für die Frauen tun? 1903 stand die nächste Wahl für den Reichstag an. Der Verein für Frauenstimmrecht schickte an alle Mitglieder einen Aufruf, sich als aktive Wahlhelferinnen zur Verfügung zu stellen „für solche Kandidaten, welche sich verpflichten, als Reichstagsabgeordnete für die Forderungen der Frauenbewegung prinzipiell einzutreten“. Als Wahlprüfsteine galten die „vorläufig realisierbaren Forderungen“: Mädchenschulen und Frauenstudium; Reform der Gemeindeordnung und des Arbeiterinnenschutzes; gleiche Bezahlung für männliche und weibliche Beamte; und schließlich als Wichtigstes die Änderung der Vereinsgesetze. Das Frauenwahlrecht war nicht dabei, „da dessen Verwirklichung in der Entscheidung des Reichstages unterstehender Form noch nicht in Betracht kommt.“ Unterzeichnet: Heymann und Augspurg. Da legten sie nun die gleiche taktische Vorsicht an, die sie sonst immer so heftig kritisierten.

Bisher gab es nur eine Partei, die in ihrem Programm das Frauenwahlrecht verankert und sich mehrfach im Reichstag dafür ausgesprochen hatte: die SPD. Doch von ihr rückten Augspurg und Heymann nicht nur wegen der Kräche mit Zetkin ab. … Augspurgs und Heymanns Sympathie war bei den Liberalen – obwohl doch deren süddeutscher Ableger Augspurg einen Korb gegeben hatte. In Hamburg hatten sie mehr Erfolg. Tatsächlich beschloss dort die freisinnige Volkspartei, nunmehr auch Frauen zuzulassen. …Die „aufgeschlossenen Arbeiter“ hatten bis zu dieser Wahl eher angenommen, die radikale Frauenbewegung gehöre zur SPD und waren enttäuscht, dass Heymann, die noch vor kurzem den Hafenarbeiter-Streik unterstützt und einen Arbeiterinnen-Club gegründet hatte, nun zu den Liberalen übergelaufen war. …

Liberale oder SPD – darüber legte sich Augspurg erbittert mit Lily Braun an. … Viele Frauen lehnten es überhaupt ab, sich für Parteien zu engagieren. „Es kann unsere Aufgabe nicht sein, uns als Parteisklaven der Männer in den politischen Kampf zu stürzen. Sollen wir nun auch in der Politik des Mannes Werkzeug werden?“ so schrieb eine Kritikerin in der Frauenbewegung. Mit der leidenschaftlichen Ausschließlichkeit, mit der Augspurg ihre Überzeugung vertrat, bezeichnete sie alle Frauen als „politisch unreif“, die sich nicht auch ins Parteiengetrümmel und den Wahlkampf stürzten. Aber es dauerte nur ein paar Jahre, bis sie selbst überzeugt war, dass dieser Weg der richtige nicht war.


aus:
Die Rebellion ist eine Frau – Anita Augspurg und Lida G. Heymann:
Das schillerndste Paar der Frauenbewegung
Kreuzlingen/München 2002
© bei den Autorinnen

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