Ausgabe 2 / 2013 Material von Giovanni Maio

Reinen Wein einschenken

Von Giovanni Maio

Wenn wir von der Gleichsetzung des Hirntodes als Tod des Menschen abweichen, dann ist jede Explantation eines lebenswichtigen Organs nicht weniger als eine Tötung eines noch lebenden Sterbenden. Ohne Anerkennung des Hirntodes rückt also die Explantation in die Nähe der aktiven Sterbehilfe. Und das lässt sich auch bei einer noch so klaren Einwilligung nicht rechtfertigen. Deswegen hat die Infragestellung des Hirntodes als Todeskriterium natürlich sehr weitreichende Konsequenzen, aber man kann den Tod nicht nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten definieren, sondern muss hier absolut lauter und interessefrei sein. Es darf nicht ein Verdacht im Raume stehen, man würde eine Todesdefinition den praktischen Notwendigkeiten anpassen, weil dies das Grundvertrauen in die gesamte Medizin erschüttern würde.

Was bedeutet dies für die gegenwärtige Debatte? Die Spende eines Organs kann als Akt der Geschwisterlichkeit gesehen werden, der hoch zu schätzen ist und für den man Hochachtung empfinden sollte. Aber der Akt kann von keinem Menschen erwartet werden; er muss ein besonderer Akt bleiben, der, welche Kampagne man auch starten mag, nie wirklich zur Normalität werden kann. So muss alles getan werden, dass jede Organspende ausschließlich als Gabe betrachtet werden kann und dass kein Verdacht eines zweckorientierten Tausches je aufkommt. Dies sind wir den Spendern schuldig, die nicht in irgendeiner auch noch so subtilen Weise zur Spende gedrängt werden dürfen. Dies sind wir aber auch den Empfängern schuldig, weil jeder Empfänger mit seinem fremden Organ besser wird leben können, wenn er ganz sicher weiß, dass der Spender ihm das Organ vollkommen freiwillig und als ein Akt der Geschwisterlichkeit überlassen hat. Die Trennung der Spende von diesem Kontext der Barmherzigkeit wäre eine enorme Bürde für den Organempfänger. Dies darf in der Debatte nicht vergessen werden.

Mehr noch: Jeder Empfänger muss davon ausgehen können, dass der Spender sich nicht nur aus freien Stücken, sondern auch im Bewusstsein aller Implikationen für die Spende entschieden hat. Daher sind wir auch den Empfängern schuldig, dass keine Kampagnen gestartet werden, sondern eine absolut interessenfreie und offene Aufklärung erfolgt. Dazu gehört die Aufklärung über alle Unsicherheiten, die in Bezug auf den Hirntod nicht ausgeräumt werden können, unabdingbar dazu. Deswegen wäre es für die zukünftige Debatte ganz essenziell, dass die Sorgen, die diffusen Verunsicherungen, die offenen Fragen der Bevölkerung in Bezug auf die Organspende ernst genommen werden und dass den Bürgern reiner Wein eingeschenkt wird. Die Bevölkerung muss wissen, was es für die Angehörigen bedeutet, wenn man Spender ist, sie muss wissen, was für ein Opfer man erbringt, um mit der Spende einem anderen Menschen einen guten Dienst zu erweisen. So, wie jetzt die Debatten gelaufen sind, wird man den Argwohn, den viele haben, durch dieses bewusste Verschweigen und Ausblenden der belastenden Aspekte der Spende nicht abbauen können.

Insofern ist es selbst im Sinne der Intention des Gesetzes wichtig, dass eine offene Kultur des Ansprechens von Problemen etabliert und Schluss gemacht wird mit einer Verblendungspolitik, die die schwierigen Probleme bewusst verschweigt. Denn indem die Politik mit verdeckten moralischen Appellen nichts anderes zulässt als ein ständiges Bedrängen des Bürgers, wird sie ihrer ethischen Verantwortung im Umgang mit einem so sensiblen Thema am Ende nicht gerecht.

Giovanni Maio
aus:
Von der Gabe zur Bürgerpflicht?
Zur gesetzlichen Regelung der Organspende
in:
Herder Korrenspondenz 66, 6/2012, S. 306f

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