Alle Ausgaben / 2016 Artikel von Ipke Wachsmuth

Roboter mit Herz?

Herausforderungen in der Pflege

Von Ipke Wachsmuth

Wir werden älter – und weniger. Nicht für jeden Menschen wird bald noch jemand da sein, der sich um ihn kümmert, wenn Pflege nötig wird. Auch das Problem der Einsamkeit im Alter wird sich in Zukunft noch verschärfen. Könnten Roboter dabei eine Hilfe sein? Könnten sie die Zu­wendung eines Mitmenschen ersetzen?

Letztes Jahr hat in Japan ein Hotel eröffnet, das nur noch mit Robotern als Personal besetzt ist, an der Rezeption, im Service, als Kofferträger, an der Schließfachverwaltung und beim Putzen – so las man es in den Zeitungen. Auf lange Sicht sollen so Personalkosten in großem Umfang eingespart werden. Ein Hotel ganz ohne menschlichen Ansprechpartner mögen sich viele von uns erst gar nicht vorstellen. Auch dem steigenden Bedarf an Pflegedienstleistungen will man heute schon mit Robotern begegnen, auch da ist Japan ganz vorn dabei: In der japanischen Gesellschaft finden Roboter seit Langem eine hohe Akzeptanz in allen Lebensbereichen. Wie sieht es denn hierzulande damit aus?

Wie stehen wir zu Robotern?

In 27 EU-Ländern hat man vor vier Jahren eine Umfrage durchgeführt, um die Einstellungen der Öffentlichkeit zu Robotern in Erfahrung zu bringen („Spezial Eurobarometer 382″). Weit mehr als 26.000 Europäerinnen und Europäer wurden befragt: Ging es nur um die grundsätzliche Einstellung gegenüber Robotern, äußerten mehr als zwei Drittel davon eine positive und weniger als ein Viertel eine negative Meinung. Doch es wurde zum Beispiel auch gefragt: „In welchen Bereichen sollten Roboter Ihrer Meinung nach gesetzlich verboten sein?“ Beim Einsatz im Haushalt, für Reinigungsarbeiten etwa, waren nur 8 Prozent für ein solches Verbot, doch bei der Betreuung von Kindern, Senioren und Behinderten sprachen sich 60 Prozent der Befragten für ein Verbot aus.

Folgt man den Ergebnissen der Umfrage, lässt sich derzeit wenig Akzeptanz für Roboter in der Pflege erwarten. Dennoch wird sich unsere Gesellschaft damit auseinander setzen müssen, denn der demographische Wandel stellt immer größere Herausforderungen an die Betreuung älterer Menschen. In der Öffentlichkeit ist das wohl bekannt, doch mögen wir uns mit den Konsequenzen nicht gern befassen.

Immer mehr Pflegebedürftige

Wir werden älter – und weniger: Einerseits werden wir Menschen heutzutage älter, wir haben eine höhere Lebenserwartung. Andererseits werden wir durch rückläufige Geburtenraten in Deutschland und anderen EU-Ländern auch immer weniger. Dadurch steigen der Anteil älterer Menschen gegenüber den Jüngeren und so auch die Zahl der Pflegebedürftigen. Ein weiteres Problem ist die Alterseinsamkeit. Nach Angaben des Deutschen Zentrums für Altersfragen (Stand 2013) leben in Deutschland knapp zwei Millionen Menschen über 80 Jahre allein. Jeder vierte alte Mensch hat nur noch einmal im Monat Besuch von Freunden und Bekannten. Oft ist der Pflegedienst der einzige Kontakt zur Außenwelt.

Aber was tun wir, wenn nicht für jeden alten Menschen jemand da ist, der sich um ihn kümmern kann? Mehr junge Menschen in unser Land holen, die Einwanderungspolitik ändern, mehr Flücht­linge aufnehmen? Das wird leider auch wenig helfen. Selbst wenn die nach Deutschland zuziehenden ausländischen Personen im Durchschnitt jünger sind als die fortziehenden, kann das auf lange Sicht das Altern und Schrumpfen der Gesamtbevölkerung nicht aufhalten – allenfalls etwas hinausschieben.

Wären dann vielleicht Roboter als Altenhelfer eine Option? Für viele von uns schwer vorstellbar. „Etwas Lebendes ist mir lieber als alle Schätze der Welt“, sagte Rumpelstilzchen. Wer wollte dann wohl einen „Altenroboter“ in Kauf nehmen?

Altenroboter

Die Vision eines Altenroboters haben zwei amerikanische Autoren, Edward ­Feigenbaum und Pamela McCorduck, schon vor geraumer Zeit vorgestellt (in ihrem 1984 erschienenen Buch Die Fünfte Computer-Generation, S. 12): „Der Altenroboter ist eine wunderbare Sache. Er hält sich nicht deshalb im Hause auf, weil er hofft, einmal Ihr Geld zu erben – natürlich schüttet er Ihnen auch nicht eine Kleinigkeit ins Glas, um das Unausweichliche zu beschleunigen. Er lungert nicht herum, weil er gerade nichts zu tun hat. Er ist da, weil er Ihnen gehört. Er badet Sie nicht nur und füttert Sie und rollt Sie hinaus in die Sonne, wenn Sie Sehnsucht nach frischer Luft haben und einmal etwas anderes sehen wollen, obwohl er dies natürlich alles auch tut. Das Allerbeste am Altenroboter ist, daß er zuhört. ‚Erzählen Sie mir noch einmal, wie Sie '63 den tollen Erfolg hatten. Erzählen Sie …' Und er meint es ernst. Er wird nie müde werden, die Geschichten zu hören, so wie Sie nie müde werden, sie zu erzählen. Er kennt Ihre Lieblingsgeschichten, und es sind auch die seinen.“

Als ich das damals las, war ich erschrocken. Angenommen, diese Fiktion würde eines Tages Wirklichkeit. Wäre es ethisch vertretbar, alte Menschen mit einem Roboter abzuspeisen? Wo bliebe das Herz? Und wird ein solcher Roboter überhaupt jemals technisch möglich sein? Mehr als 30 Jahre sind seitdem vergangen. Wie sieht es heute mit dem Stand der Forschung und der Technik aus?

Roboter in der Pflege

In den 1990er-Jahren wurden erste Roboter für den Haushalt entwickelt, zum Beispiel Staubsaugerroboter, die selbsttätig Räume reinigen können. Auch in der Pflege kommen Roboter bereits zum Einsatz. Zwei Hauptbereiche lassen sich unterscheiden: Einmal Service-­Roboter, etwa Roboter für die Körperpflege, das Baden und Füttern von Hil­febedürf­tigen; Roboter, die Essen verteilen und schwere Betten hin und her rollen; ­Hebe-Roboter für das Umbetten von zu Pflegenden, oder auch Roboter für den Windelwechsel. Solche Roboter sind Werkzeuge, die den Pflegekräften anstrengende und zeitraubende Arbeit abnehmen oder erleichtern sollen, wodurch ihnen mehr Zeit für intensivere Zuwendung an die Senioren bleiben könnte.

Andererseits werden auch sogenannte „soziale“ Roboter mit künstlicher Intelligenz entwickelt, die als eigenständige Akteure auftreten, zum Beispiel als Gesundheitscoach für Ernährung oder ­Fitness-Training, oder als Unterhalter in einsamen Stunden dienen (etwa Neuigkeiten aus dem Internet vorlesen). Es gibt bereits Roboter, die in Begleitung durch Pflegekräfte Senioren im Pflegeheim aufmuntern – wie die lernende Roboterrobbe „Paro“ aus Japan, die auch schon in etlichen deutschen Heimen zum Einsatz kommt und Zeichen der Freude vorspielt, wenn man sie streichelt oder wenn sie jemanden am Gesicht wiedererkennt.

Das erklärte Ziel der Forschung – in ­Japan, Europa, USA – ist es, einen „einfühlsamen“ Roboter zu entwickeln, der sich den Intelligenzfähigkeiten des Menschen annähert und eines Tages unser „Partner“ sein soll. Seit 2006 arbeitet man auch in Südkorea für die „Generation Silber“ an Altenrobotern („Silver Robots“), die als Begleiter für Senioren dienen sollen. In Tokyo hat man bereits einen Roboter konstruiert, der im Ansatz eine Unterhaltung mit mehreren Teilnehmern führen kann. Nach den Worten des Direktors des dortigen Roboter-Forschungszentrums werden die zukünftigen Roboter zwar in gewissem Umfang so auf uns wirken, als ob sie sich in den Menschen einfühlten, aber nicht wirklich Maschinen mit Herz (japanisch kokoro) sein können.

Doch auch ohne das sind manche von uns – trotz der Sorge, dass menschenähnliche Roboter etwa verwirrte oder demente Menschen ängstigen könnten, – dem Pflegeroboter nicht ganz abgeneigt, wenn es um unsere Eigenständigkeit geht. Hier einige Äußerungen, die ich selbst so gehört habe: „Ich würde mir im Alter lieber von einem Roboter beim Anziehen helfen lassen, als mich vor einem fremden Pfleger nackt zu zeigen.“ Oder: „Einem Roboter würde ich nicht zur Last fallen.“ Da geht es auch um Würde. Im letzten Lebensjahr meiner alten Tante – sie ist 92 Jahre alt geworden – war sie im Pflegeheim bettlägerig geworden und musste Windeln tragen. Am Telefon sagte sie mir: „Jetzt haben sie mir die Würde genommen, ich muss warten, bis jemand kommt und mir die Windel wechselt.“ Das wird kein Einzelfall sein – im Gegenteil, es geht um die Not vieler Menschen. Könnte dann nicht ein Pflegeroboter den alten Menschen Würde und Eigenständigkeit erhalten helfen?
Aber das wären doch keine Roboter mit Herz? Dass Roboter mit künstlicher Intelligenz irgendwann den Eindruck einer Persönlichkeit vortäuschen werden, ist absehbar; daran wird in den Forschungslaboren intensiv gearbeitet. Schon jetzt gibt es Roboter, die nicht nur laufen, greifen und sprechen können, sie können auch unsere Gefühlsregungen deuten und selbst Emotionen simulieren. Doch könnten sie die Zuwendung eines Mitmenschen ersetzen?

Die ethische Frage

Vor einigen Jahren haben wir im Uni-Seminar diskutiert, inwieweit man älteren Menschen und Pflegebedürftigen mit der Hilfe von Robotern beistehen kann. Da entspann sich ein Disput zwischen zwei Studierenden. Der eine sagte, sehr erregt: „Ein noch so menschlich wirkender Roboter kann keine echte Zuwendung geben. Das ist Täuschung und somit unethisch.“ Darauf der andere: „Aber ist das wirklich so schlimm? Menschen lassen sich gern täuschen, zum Beispiel in einem spannenden Film.“ Und wieder der erste: „Es ist doch etwas anderes, ob man sich selbst täuschen lässt oder jemand anderen täuscht!“

Wir haben dann darüber diskutiert, dass selbst bei einem ausgefeilten Roboter, den es zukünftig einmal geben könnte und der mit uns kommuniziert wie ein Mensch, nach außen hin (zumal für einen demenzkranken Menschen) unklar bleiben würde, ob der Roboter tatsächlich etwas empfindet oder es nur simuliert, also den Anschein erweckt, „als ob“ er dem Menschen Zuwendung gäbe. „Aber ist es bei Ärzten und Pflegekräften nicht genauso?“, sagte ich schließlich. Zum professionellen Handeln gehört es doch, sich von den Leiden des Patienten zu trennen, aber den Eindruck der Zuwendung zu geben – also zu tun „als ob“. Wäre dann der Versuch, mit einem Roboter die Illusion eines Empfindungsvermögens zu erzeugen, unethisch? Die Angehörigen einer verwirrten alten Person, die glaubt, eine emotionale Beziehung mit einem Roboter zu haben, könnten das als Würdeverlust empfinden. Doch könnten sie dies vielleicht in Kauf nehmen, wenn es ihrem Verwandten dabei gut geht?

Eine Option für die Zukunft

Auch wenn Roboter mit Herz vielleicht für immer eine Fiktion bleiben werden, könnten Pflegeroboter zumindest für einen Teil der Betroffenen Hilfe im Alter bieten und die immer schmaler werdende Basis der Pflegekräfte entlasten helfen. Wir Menschen haben dabei durchaus unterschiedliche Wünsche: Die eine würde einen Pflegeroboter sofort in Kauf nehmen, solange sie sich nicht mit dem Roboter unterhalten muss, eine andere wünscht sich vielleicht, dass er eine schöne Stimme hat.

Vollkommen sind diese Roboter heute noch nicht. Doch sollten wir sie deshalb nicht als „Blechkumpel“ oder „Trottel“ verhöhnen (wie man es zuweilen in den Medien liest) – das schätzt auch die immense Arbeit in den Forschungs- und Entwicklungslaboren gering. Wir sollten sie als eine Option für die Zukunft begreifen, den Herausforderungen in der Pflege zu begegnen, wenn es mehr alte Menschen geben wird als junge. Und könnte sich dieser Zustand durch die Zuwanderung junger Menschen etwas hinausschieben lassen, wäre wertvolle Zeit für die Technikentwicklung gewonnen.

Für die Arbeit in der Gruppe

Diskutieren Sie: Wie würden Sie sich entscheiden, wenn es um die Betreuung eines pflegebedürftigen Angehörigen geht: Würden Sie einen Roboter zu Hilfe nehmen? Ausschließlich, oder nur in der Begleitung durch Pflegepersonal?
Würde es einen Unterschied machen, ob die alte Person geistig auf der Höhe oder dement ist?
Würden Sie es für sich selbst in Kauf nehmen, wenn es einmal so weit ist und niemand anders für Sie da ist?
Würden Sie sich dann einen Roboter wünschen, mit dem Sie sich unterhalten können und der Emotionen zeigt, oder würden Sie lieber einen neutral gestimmten und schweigsamen Roboter haben wollen?
Wie stellen Sie es sich für die jetzt noch junge Generation vor, die mit der neuen Technik aufwächst?

Ipke Wachsmuth, geb. 1950, hat an der Universität Bielefeld 25 Jahre Künstliche Intelligenz gelehrt und befasst sich dort jetzt am Exzellenzcluster Kognitive Interaktionstechnologie (CITEC) mit ethischen Fragen der Künstlichen Intelligenz und Robotik. Sein bei Springer Spektrum erschienenes populärwissenschaftliches Buch „Menschen, Tiere und Max – Natürliche Kommunikation und Künstliche Intelligenz“ führt auch in die Welt von Robotern und gibt mit „Max“ ein „lebendiges“ Beispiel dafür, wie die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine in Zukunft aussehen könnte.

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