Alle Ausgaben / 2005 Artikel von Wilfriede Neermann

Röschen! unser Schmuck veraltet

Von zarten Banden zwischen Mensch und Blume

Von Wilfriede Neermann

Sieh die zarten Blüten keimen,
Wie sie aus sich selbst erwachen,
Und wie Kinder aus den Träumen
Dir entgegen lieblich lachen.

Mit dieser Einladung, die Blumen betrachtend über das Werden und Vergehen der Menschen und der sie umgebenden Natur nachzudenken, beginnt ein Gedicht des Frühromantikers Ludwig Tieck, der Ende des 18. bis Mitte des 19. Jahrhunderts lebte. Eines von zahllosen Gedichten, in denen Poetinnen und Poeten aller Zeiten, vor allem aber in der Romantik die Formenvielfalt und Farbenpracht der Blumen in Worte fassen. Diese Worte wollen nicht einfach beschreiben, was die Augen sehen. Vielmehr sollen sie die Gefühle und Gedanken der Schreibenden ausdrücken und sie bei uns, den Lesenden und Hörenden, unmittelbar ansprechen. Wie kaum etwas anderes scheinen Blumengedichte „eine wunderbare Kraft auf das Herz des Menschen“ zu haben, wie Wilhelm Heinrich Wackenroder, Tiecks ebenfalls dichtender Freund aus gemeinsamen Schultagen in Berlin, es einmal ausdrückte.
Ein vielen bekanntes kleines Gedicht von Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848) zeigt besonders eindrück-lich auf, dass hier nicht Natur in Worten „abgezeichnet“ wird, sondern wie zwei – ein betrachtender Mensch und eine buchstäblich antwortende Blume -in eine Beziehung treten:

Ein Blümchen ist so wunderschön,
Gelobt von allen, die es sehn,
Es ist das Blümchen, welches spricht:
Vergißmeinnicht.
Dies Blümchen hab ich oft gepflückt,
Die Farbe hat mich stets entzückt,
Weil jedes Mal sie zu mir spricht:
Vergißmeinnicht.

Tatsächlich: Die Blume „spricht“! Und die aufmerksame, empfindsame Dichterin hört, versteht, dass sie ihr etwas sagen will. Ganz ähnlich empfindet der – zur selben Zeit lebende und schreibende – Friedrich Hölderlin. Nur geht das Gespräch hier anders herum, wendet sich der Dichter „An eine Rose“ und erzählt ihr, was ihn im Innersten bewegt:

Ewig trägt im Mutterschoße,
Süße Königin der Flur!
Dich und mich die stille, große,
Allbelebende Natur;
Röschen! unser Schmuck veraltet,
Stürm' entblättern dich und mich,
Doch der ew'ge Keim entfaltet
Bald zu neuer Blüte sich.

Romantische Gedichte dieser Art sind nicht jeder heutigen Frau Sache. Und doch rührt dies mich an. So ganz kann ich mich nicht gegen das Gefühl wehren, zumal der vom Leben arg gebeutelte Hölderlin den Text mit augenzwinkerndem Witz davor bewahrt, ganz und gar kitschig zu werden. „Röschen! unser Schmuck veraltet…“ – diese köstliche Zeile allein könnte mich dazu verleiten, das kleine Gedicht auswendig zu lernen oder es aufzuschreiben und an die Pinwand zu hängen.

Wenn Blumen sich so wunderbar als „Gesprächspartnerinnen“ von Menschen über starke Gefühle eignen, sollten dann neben Liebesfreud' und -leid nicht auch religiöse Gedanken und Empfindungen dort ihren Platz haben? Und in der Tat müssen wir nicht lange suchen. Zwei Verse aus einem Gedicht des zunächst als Pfarrer, später dann als Literaturlehrer tätigen Eduard Mörike „Auf eine Christblume“ mögen als Beispiel genügen:

In deines Busens goldner Fülle gründet
Ein Wohlgeruch, der sich nur kaum verkündet;
So duftete, berührt von Engelshand,
Der benedeiten Mutter Brautgewand.

Dich würden, mahnend an das heilge Leiden,
Fünf Purpurtropfen schön und einzig kleiden:
Doch kindlich zierst du um die Weihnachtszeit
Lichtgrün mit einem Hauch dein  weißes Kleid.

Mit und durch Blumen sprechen

Wir leben im 21. Jahrhundert, gut 150 Jahre später als unsere zitierten Dichterinnen und Dichter. Aber ganz abgesehen davon, dass die meisten von uns, selbst wenn sie wollten, nicht in so schönen Worten von und mit Blumen sprechen könnten: Würden wir, wenn wir denn könnten? Nein, würden wir wohl nicht. Oder vielleicht doch?

Ich kenne wenige Menschen, denen Blumen rein gar nichts bedeuten. Für die meisten von uns ist es eher so, dass wir im Verlauf unseres Lebens Vorlieben für bestimmte Blumen entwickeln. Abhängig von Alter, Lebenswirklichkeit und Stimmungen, beeinflusst durch Sinneswahrnehmungen wie Sehen, Riechen und Fühlen. Waren es in der Kindheit die liebevoll „gerupften“ Gänseblümchen oder Butterblumen, die wir der Mutter in die Hand drückten, so verzauberten uns in der Jugend die zarten, sehr empfindsamen Mimosen mit ihren leuchtend gelben Blütenknöpfchen. Später waren es vielleicht die Rosen, weil sie uns an die erste große Liebe erinnerten. Die auf einem großen Feld im Wind sich wiegenden Sonnenblumen, in Erinnerung an einen unvergessenen Urlaub, oder roter Mohn zwischen reifem Korn…
Und manchmal ist es auch eine Abneigung gegen bestimmte Blumen. Gegen die stinkenden Hyazinthen, weil sie immer auf der Fensterbank standen, wenn wir zum jährlichen Anstandsbesuch bei der langweiligen alten Tante mitkommen mussten. Oder gegen rote Nelken, weil der einfallslose und auch nicht gerade heiß begehrte Tanzpartner sie – welche Überraschung! – uns verehrte, als er uns zum „Schlussball“ der Tanzschule abholte. Oder gegen die Spinnenchrysanthemen, die schon die Oma nicht ausstehen konnte, weil sie sie immer an den Friedhof erinnerten… Kalt jedenfalls lassen auch uns moderne Menschen Blumen in der Regel nicht.

Und so legen auch die meisten von uns Wert darauf, immer Blumen um sich zu haben, seien es Schnittblumen oder Topfpflanzen, sei es im Wohnzimmer, im Büro, im Garten oder auf dem Balkon.
Gerne verwenden wir Zeit und Mühe darauf, sie zu hegen und zu pflegen. Wir achten darauf, ob sie Sonne und Wärme vertragen oder ob sie Schatten und Kühle brauchen, um zu gedeihen. Wir versuchen, ihnen durch richtiges Gießen und Düngen den Boden zum Blühen zu bereiten. Besonders stolz sind wir, wenn wir die Blumen nach blüteloser Ruhepause wieder zum Blühen gebracht haben.
Oft, ohne es selbst richtig zu merken, haben auch völlig „unromantische“ Menschen eine eigentümlich enge Verbindung zu Blumen. Manchmal verrät es schon der Sprachgebrauch. „Du musst ihr regelmäßig Wasser geben, aber nicht zu viel. Sie dankt es Dir mit vielen Blüten“, rät mir meine nüchterne, mit beiden Beinen im heutigen Leben stehende Freundin. „Sie müssen mit ihr reden, sonst nützt der beste Dünger nichts“, belehrt mich die Kollegin, der ich wirklich unrecht täte, wenn ich sie als „Romantikerin“ bezeichnen würde. Vielleicht hat es ja doch was auf sich mit den zarten und doch so starken Banden zwischen Mensch und Blume? Viele Dichterinnen und Dichter hatten daran nie den geringsten Zweifel. Am wenigsten der, den man gemeinhin für den größten Deutschlands hält, der „Dichterfürst“ aus Weimar, der zeitlebens leidenschaftliche Gefühle für Frauen hegte und seine gefühligen Erfahrungen in wohl gesetzte Worte fasste – vorzugsweise „durch die Blume“ sprechend:

Ein Veilchen auf der Wiese stand,
Gebückt in sich und unbekannt;
Es war ein herzig's Veilchen.
Da kam eine junge Schäferin,
Mit leichtem Schritt und munterm Sinn,
Daher, daher,
Die Wiese her, und sang.

Ach! denkt das Veilchen, wär' ich nur
Die schönste Blume der Natur,
Ach, nur ein kleines Weilchen,
Bis mich das Liebchen abgepflückt,
Und an dem Busen matt gedrückt!
Ach nur, ach nur,
Ein Viertelstündchen lang!

Ach! aber ach! das Mädchen kam
Und nicht in Acht das Veilchen nahm,
Ertrat das arme Veilchen.
Es sang und starb und freut sich noch;
Und sterb' ich denn, so sterb' ich doch
Durch sie, durch sie,
Zu ihren Füßen doch.

Für die Arbeit in der Gruppe

Ziel:
Die Frauen sollen erkennen, dass im Lauf unseres Lebens, in unseren sozialen Bezügen und „Behausungen“, die  Blumen einen wichtigen Platz einnehmen – auch wenn wir das nicht immer bewusst wahrnehmen.

Material:
Blumenstrauß oder Blumenschale;  Liederbücher;
für Variante 1: Blumenkarten in reicher Auswahl oder Karten, auf die eigenhändig Blumen aller Art gezeichnet oder Blumennamen geschrieben sind
für Variante 2: auf ein Blatt kopierte Gedichtverse (Kopiervorlage für Abonnentinnen unter Service/zum Herunterladen); evtl. leise Musik für den Hintergrund

Zeit: 1,5 – 2 Stunden

Ablauf:
Die Teilnehmerinnen sitzen in einem geräumigen Stuhlkreis. In der Mitte steht ein bunter Blumenstrauß. Die Karten liegen verteilt in der Runde

Lied: Geh aus mein Herz (EG 503,1)

Variante 1:
– kurze Einführung in das Thema „Die Blumen und wir – wir und unsere Blumen“.
– Die Leiterin weist (evtl. am Beispiel eines der zitierten Gedichte) darauf hin, dass die meisten Menschen eine Beziehung zu Blumen im Allgemeinen haben – und oft auch ausgesprochene „Lieblingsblumen“. Die Teilnehmerinnen werden eingeladen, sich aus den Karten ihre Lieblingsblume zu nehmen oder eine, zu denen ihnen ein Gedicht, eine Geschichte… einfällt. Anschließend erzählen diejenigen, die mögen, den anderen ihre Geschichte. Zur Auflockerung zwischendurch Liedverse singen (Vorschläge aus der Gruppe).
– Wenn Zeit genug ist und „die Stimmung danach“, lädt die Leiterin zu einer zweiten Runde „Blumenpflege“ ein, in der die Frauen ihre ganz persönlichen Erfolgsgeheimnisse um die richtige Pflege von Blumen teilen können.

Variante 2:
– Die Leiterin verteilt das Blatt mit den Gedichtauszügen und lädt die Teilnehmerinnen zu Nachdenken und Gespräch ein.
1. Schritt:
Die Leiterin liest die zwei Zeilen aus dem Gedicht von Ludwig Tieck vor:
„Sieh die zarten Blüten keimen,
Wie sie aus sich selbst erwachen…“
Sie lädt die Teilnehmerinnen ein, in einer kurzen Zeit der Stille ihre Gedanken um die Frage kreisen zu lassen: Was empfinde ich/was geht mir durch den Kopf, wenn ich im Garten oder beim Spaziergang Blumen aufblühen sehe?
Anschließend können diejenigen, die wollen, einen ihrer Gedanken laut aussprechen.
2. Schritt:
Die Leiterin liest die zweiten vier Zeilen („Dies Blümchen hab ich…“) des Gedichts von Annette von Droste-Hülshoff vor.
Impuls: Welche Blume habe ich oft gepflückt? Warum diese? Was „sagt“ sie mir?
Anschließend ein paar Minuten Zeit zum Austausch von eigenen Erinnerungen, die sich mit bestimmten Blumen verbinden, in Murmelgruppen.
3. Schritt:
Die Leiterin liest das Gedicht „Auf eine Christblume“ von Eduard Mörike vor.
Impuls: (1) Auf welche religiösen Gedanken bringt die Betrachtung der Christblume den Dichter? Können wir das nachvollziehen? (2) Welche Blumen regen uns an zu religiösen Gedanken?

Zum Schluss übergibt die Leiterin – wenn möglich – jeder Frau eine der  Blumen aus dem bunten Strauß und liest den Vers von Hölderlin vor.

Wilfriede Neermann, Jahrgang 1936, hat viele Jahre ehrenamtlich im Vorstand der Ev. Frauenhilfe in Westfalen mitgearbeitet, die meiste Zeit als Stellvertretende Vorsitzende sowie als Ehrenamtliche Referentin für Erwachsenenbildung. Sie war bis Ende 2004 Mitglied in der Arbeitsgruppe ahzw.

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