Russisch-Brot ist die süß-gedörrte Spielart der Buchstabensuppe; nach korrekter DKR-Definition „eine rösche Dauerbackware aus einer schaumigen, dickflüssigen Teigmasse ohne Fett, in Form von Ziffern, Buchstaben oder Ornamenten“ (TGL 8513)…
Der Ziffernkeks ist keine Erfindung der Deutschen Kulinarischen Republik, sondern soll bereits 1814/15 von zwei französischen Backkünstlern auf Geheiß eines russischen Großfürsten erschaffen worden sein. Die führende Rolle des Russisch-Brots in der DKR resultierte nicht nur aus seiner stimulierenden Wirkung auf die Geschmacksknospen, sondern auch auf Phantasie und Konspiration: Mit Hilfe des Buchstaben-Gebäcks formulierte Gedanken, wie aufsässig auch immer, hinterließen keinerlei Spuren.
Ende 1976 kam es zum Eklat, als die Russisch-Brot-Fertigung im VEB Nahrungsmittelkombinat „Albert Kuntz“ Wurzen wegen total ausgenudelter Maschinen eingestellt werden musste. Im Vorfeld hatte es viermal gewaltig gebrannt; das Backfett fing andauernd Feuer. Folge: immer längerer Stillstand der seit über fünfzehn Jahren auf Hochtouren laufenden Apparatur. Feuerwehr und Arbeitsschutzinspektion erteilten Auflagen, die nicht mehr einzuhalten waren. Es hagelte Eingaben von Produktionskollektiven und TKO. Zum 1. Oktober 1976 entzog das ASMW dem Wurzener Russisch-Brot das Gütezeichen „1″: die Produktproben wiesen Flecken auf und schmeckten brandig. Das Ministerium für Handel und Versorgung lehnte den Produktionsstop brüsk ab. Betriebsdirektor Gerngroß steckte in der Zwickmühle. Die Direktive von oben hieß: auf Teufel komm raus weiter backen, praktisch bis zum völligen Zusammenbruch der Anlage. Leib und Leben der Arbeiter wogen für ihn jedoch schwerer. Er ließ die marode Maschinerie kurzerhand demontieren, verschrotten und durch eine normale Gebäcklinie (Butter-Keks, Marie-Keks, Spekulatius) ersetzen. Damit kursierten 1977 über eine Million „Klotzbodenbeutel“ Russisch-Brot weniger im Lande; der VEB Dauerbackwaren Elite Dresden rückte zum Alleinhersteller auf. Das Backwerk, auch die Jahre vorher schon rar, mutierte zur „Bückware“, die nur noch für gute Bekannte unter dem Ladentisch hervorgeholt wurde.
aus:
Deutsche Kulinarische Republik.
Szenen, Berichte und Rezepte aus dem Osten
© Eichborn Verlag
Frankfurt/M. 1998
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