Lied: Alles auf Erden hat seine Zeit (EG 605, Württ. Regionalteil) oder: Ausgang und Eingang (EG 175)
Kopien des Bildes austeilen und einladen, das Bild in Ruhe anzuschauen und eigene Beobachtungen, Gedanken, Gefühle auszusprechen. – Kopiervorlage unter www.ahzw-online.de
Das Foto stammt von einer Reise nach Kuba anlässlich des Weltgebetstags 2016. In Kuba sieht man auf dem Land überall Schaukelstühle, selbst vor den einfachsten Hütten steht mindestens einer, auch wenn es sonst wenig Mobiliar im Haus gibt. Abends sitzen vor allem die Älteren dort, es wird geredet oder Domino gespielt oder einfach Zigarre geraucht.
Neben Liegestuhl und Hängematte ist der Schaukelstuhl das Möbel der Muße schlechthin. Er bietet Bewegung, Ventilation, Rhythmus, Unterbrechung des Alltags, Kommunikation und Gemeinschaft. Aus dem Schaukelstuhl heraus können wir das Leben in der Umgebung betrachten. Die beruhigende Wirkung des Schaukelns ist bekannt; überall auf der Welt werden kleine Kinder auf unterschiedliche Weisen in den Schlaf gewiegt. Und mit der sogenannten Schaukelstuhltherapie wird eine ähnlich beruhigende Wirkung auch auf demenzkranke Menschen erreicht. – Weckt das Bild Sehnsüchte in uns? Wonach? Endlich einmal sitzen können und sich um nichts mehr kümmern müssen? Würde so eine Schaukelstuhlkultur nicht auch uns gut tun?
Der Schaukelstuhl auf dem Foto ist leer. Jemand hat seine Zeit dort schon beendet oder kommt erst noch hierher. Die Zeit im Schaukelstuhl ist begrenzt. Irgendwann wird es zu dunkel oder zu kühl. Vielleicht ist auch etwas zu erledigen. Die Zeit im Schaukelstuhl wird dadurch so wertvoll, dass es auch andere Zeiten gibt: Zeiten anstrengender Arbeit, Zeiten der Einsamkeit oder Krankheit.
In der Bibel finden wir den Rhythmus von Arbeit und Muße immer wieder abgebildet. Besonders deutlich wird das beim Sabbat. Er ist eine heilsame Unterbrechung. In Dtn 5,12 wird klar, dass der Sabbat nicht nur für die freien Israelitinnen und Israeliten galt, sondern auch für Mägde und Knechte. Und auch für die Tiere – ja sogar für das Ackerland, das alle sieben Jahre brach liegen soll (Lev 25). Dabei ist es nicht das Nichtstun an sich, das frei macht, es ist der Rhythmus. Der Rhythmus befreit. Wir haben heute viele Freiheiten – aber wie oft fühlen wir uns geknechtet von der Arbeit und dem damit verbundenen Stress. Nutzen wir den Sonntag wirklich als heilsame Unterbrechung?
Ein bestimmter Rhythmus wird im Buch Prediger angesprochen. „Alles hat seine Zeit“, so lesen wir in Kapitel 3. Und zwar seine feste, von Gott bestimmte Zeit: lachen, weinen, geboren werden, sterben, pflanzen – wir könnten ergänzen: im Schaukelstuhl sitzen hat seine Zeit, und nicht im Schaukelstuhl sitzen hat seine Zeit. Die Menschen verfügen nicht über die Zeit. Gott ist der Herr der Zeit. Aufgabe der Menschen ist im Buch Prediger vor allem, Gott in Ehrfurcht gegenüberzutreten. Und im Übrigen sollen sie es sich gut gehen lassen und fröhlich sein bei ihrer Arbeit.
Rhythmen sind auf vielerlei Weise heilsam für Menschen. Wir wissen zum Beispiel, dass Nachtarbeit die Gesundheit beeinträchtigt. Trotzdem machen wir die Nacht zum Tag. Zunehmend rückt diese Problematik ins Bewusstsein. Immer weniger Menschen kaufen Erdbeeren im Dezember oder laufen im Sommer Ski. Der feste Rhythmus entlastet auch bei Entscheidungen. Fulbert Steffensky sagt: „In allen spirituellen Entwürfen hat man sich der Zeit und ihrem Wechsel angefügt. Man hat den Morgen und den Abend, den Rhythmus der Wochen, Monate und Jahre, den Wechsel der Jahreszeiten beachtet. Zu bestimmten Zeiten besann man sich, machte seine Meditation, ging beichten, suchte seinen Lehrer auf, fastete oder schwieg. […] Man schützte sich vor Unnötigem und den eigenen Willen zerfressenden existenziellen Entscheidungen. Man fragte sich also nicht täglich in zweifelnder Ungewissheit, ob man an diesem Tag fasten, an diesem Tag seinen Schweigetag haben oder zu dieser Stunde beten sollte. Man tat dies alles, wenn es Zeit war.“
F. Steffensky, Vom Umgang mit der Zeit, Vortrag am 1. Februar 2000 in Offenbach
Es gibt aber nicht nur bestimmte Zeiten, sondern auch Orte, die förderlich sind für den Müßiggang. In Joh 1 wird berichtet, wie die ersten Jünger zu Jesus kamen. Philippus bringt Nathanael mit, obwohl dieser eher skeptisch ist. Da lesen wir:
Nathanael sagte: „Nazareth? Was kann aus Nazareth schon Gutes kommen?“ „Auf, Nathanael“, sagte Philippus, „sieh selbst, wenn du nicht glaubst.“ Und Nathanael ging hin zu Jesus. Der schaute ihn an und sagte: „Da steht ein Mann aus Israel vor mir, der ohne Falsch ist und ehrlich in seinem Herzen.“ „Woher kennst du mich?“ wollte Nathanael wissen.
Dahinter steht ja wohl die Frage: Du kennst mich doch gar nicht – wie kannst du so etwas über mich sagen? Die Antwort Jesu fällt kurz aus: Ich habe dich von weitem unter dem Feigenbaum gesehen, bevor Philippus dich rief. Was für eine merkwürdige Antwort: „Ich habe dich unter dem Feigenbaum gesehen.“ Feigenbäume haben große Blätter und spenden einen wunderbaren Schatten. Unter Feigenbäumen wurde in Israel ausgeruht, meditiert und die Tora studiert.1 Was genau Nathanael in dem Moment unter dem Feigenbaum gemacht hat, ob er überhaupt etwas gemacht hat und wie lange er dort war, wird nicht gesagt. Der Feigenbaum als Symbol reicht aus. Jesus hat ihn unter dem Feigenbaum gesehen, vermutlich entspannt, in einem Augenblick der Muße. Nathanael hat vielleicht erwartet, dass Jesus sein wertschätzendes Urteil über ihn noch weiter ausführt. Darauf geht Jesus aber nicht ein. Es reicht, dass er diesen Menschen „unter dem Feigenbaum“ gesehen hat.
Von Jesus wird an vielen Stellen erzählt, wie wichtig einsame Orte für ihn waren: Er geht in die Einsamkeit, auf einen Berg, in einen Garten, ans andere Ufer des Sees, in eine völlig andere Gegend, um unerkannt zu bleiben. Er nutzt besonderen Orte, um zu beten oder um in Ruhe mit seinen Jüngerinnen und Jüngern zu sprechen. Er achtet auch bei ihnen darauf, dass sie sich an einem einsamen Ort ausruhen können. Es braucht räumliche Distanz, um innerlich Abstand zu gewinnen und aus einer anderen Perspektive auf die eigene Situation zu schauen. Es braucht besondere Orte, die Orte des „Bei-sich-seins“, wenn Leben gelingen soll. Für Eugen Drewermann ist es eine „Erfahrung nicht nur des Lebens Jesu, sondern unseres eigenen und jedes menschlichen Lebens: dass etwas Wahres sich nur formen kann in den Stunden, da wir bei uns selber sind und im Alleinsein mit uns selbst nahe bei Gott.“2 Es braucht zugleich das „Wieder-heraustreten“ aus diesen Orten. Nathanael verlässt den Feigenbaumplatz und wandert mit Jesus. Es geht um einen heilsamen Rhythmus von Orten des Seins und Orten des Handelns. Beides ergänzen sich harmonisch.
Im „Müßiggang“ steckt das Wort „gehen“. Das Anregende am Müßiggang ist wohl das Gehen an einen anderen Ort, die freie Bewegung in einer Landschaft. Auf Pilgerwanderungen spüren Menschen dies. Das ist einmal die bestimmte Zeit, die sich vom Alltag unterscheidet. Das ist aber auch der besondere Ort – nicht unbedingt der Zielort des Pilgerns, es kann ganz einfach das Unterwegssein an sich sein. Wie gut, dass das Wissen und die Erfahrungen mit solch heilsamen Zeiten und Orten erhalten geblieben sind und unter anderem in Kommunitäten und Klöstern oder bei Pilgerwanderungen weitergegeben werden. Es lohnt sich, für bestimmte Zeiten der Muße zu fragen: Wo ist ein guter Ort für mich?
Wenn in Mt 20 der Weinbergbesitzer die Tagelöhner fragt: „Warum steht ihr hier den ganzen Tag müßig?“, dann ist das kein Vorwurf, dass sie hier an diesem Marktplatz so lange herumhängen. Es ist eher eine Schilderung der sozialen Situation, der Arbeitslosigkeit, des erzwungenen Nichtstuns. Auf Dauer müßig gehen müssen, nichts tun können, ist nicht gut für Menschen. Langzeitarbeitslose leiden besonders darunter, dass sie den Rhythmus von Arbeit und Muße eingebüßt haben; ihre Tage sind geprägt von Eintönigkeit. Viele der Flüchtlinge, die jetzt bei uns aufgenommen werden, sagen: Das Schlimmste ist, dass sie nicht arbeiten dürfen. Müßiggang hört auf Muße zu sein, wenn der Zustand des Nichtstuns andauert und es keinen Rhythmus von Arbeit und Muße mehr gibt.
„Müßiggang ist aller Laster Anfang“, sagt der Volksmund. Sirach 33 sagt gar: „Zu viel Bösem verführt der Müßiggang.“ Søren Kierkegaard hingegen meint: „An sich ist Müßiggang durchaus nicht eine Wurzel allen Übels, sondern im Gegenteil ein geradezu göttliches Leben, solange man sich nicht langweilt.“ Aber hinter beiden, scheinbar völlig gegensätzlichen Aussagen steht die weisheitliche Erfahrung, dass zu langes Verbleiben im „Ruhemodus“ nicht förderlich ist. Es ist heilsam für uns Menschen, wenn die Zeiten des Tuns begrenzt werden, aber auch die Zeiten des Nichtstuns. Es ist heilsam, wenn dieser Rhythmus mit bestimmten Orten verbunden ist. Erst am Ende aller Tage wird der Rhythmus zwischen Tun und Nichtstun aufgehoben werden, wenn es keine Geburt und kein Sterben mehr gibt, wenn Frieden und Gerechtigkeit herrschen. Und dabei spielt dann wieder der Feigenbaum eine Rolle:
Am Ende der Tage wird es geschehen:
Der Berg mit dem Haus des Herrn / steht fest gegründet als höchster der Berge; er überragt alle Hügel. / Zu ihm strömen die Völker […]
Dann schmieden sie Pflugscharen aus ihren Schwertern / und Winzermesser aus ihren Lanzen.
Man zieht nicht mehr das Schwert, Volk gegen Volk, / und übt nicht mehr für den Krieg.
Jeder sitzt unter seinem Weinstock / und unter seinem Feigenbaum und niemand schreckt ihn auf. (Micha 4)
Die endzeitliche Vision ist aber nicht nur Zukunftsmusik. So wird in 1 Kön 5,5 über die weise Politik Salomos berichtet, und das Fazit lautet, dass Juda und Israel sicher wohnten, jeder unter seinem Weinstock und unter seinem Feigenbaum, von Dan bis Beerscheba, solange Salomo lebte.
Segen:
Gott segne dich, dich und deine Orte,
deine Feigenbaum-Orte und die anderen, die leichten Schritte des Müßigganges und die schweren steilen Wege.
Gott segne dich, dich und deine Zeit,
die Schaukelstuhl-Momente und die
anderen, die glücklichen Zeiten und die schweren.
Gott begleite dich mit seinem Segen.
Amen
Lied:
Unsern Ausgang segne Gott (EG 163)
Bärbel Haug unterrichtet Ev. Religion an einem Wirtschaftsgymnasium und ist Mitglied der Württembergischen Arbeitsgemeinschaft christlicher Frauen für den Weltgebetstag.
Anmerkungen
1) Chr. Dietzfelbinger, Das Evangelium nach Johannes, Band I, S. 60
2) E. Drewermann, Das Markusevangelium I, S. 425
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