Wie geht es mir an diesem Morgen/Mittag/Abend?
Wohin wandern meine Gedanken?
Was bewegt mich? Was treibt mich um?
Wonach sehnt sich mein Herz?
Franz von Sales sagte einst:
Wenn dein Herz wandert oder leidet, / bring es behutsam zurück an seinen
Platz und versetze es sanft in die Gegenwart des Herrn. / Und selbst, wenn du in deinem Leben nichts getan hast, / außer dein Herz zurückzubringen und es wieder in die Gegenwart Gottes zu versetzen, / obwohl es jedes Mal wieder fortlief, nachdem du es zurückgeholt hattest; / dann hast du dein Leben wohl erfüllt.
So lasst nun auch uns unser Herz zurückbringen und es sanft in die Gegenwart Gottes versetzen.
Lied
Schweige und höre,
neige deines Herzens Ohr,
suche den Frieden.
Ja, unser Herz wandert. Unser Herz leidet. Obwohl die meisten von uns ein Dach über dem Kopf haben, fühlen wir uns manchmal wie ausgesetzt und irren orientierungslos umher. Nehmen wir uns einen Moment Zeit, um darüber nachzudenken, wie es derzeit um unsere innere und äußere Heimat bestellt ist. Bin ich dort, wo ich bin, zu Hause? Wo ist meine innere Heimat? Wann habe ich mich das letzte Mal rundum wohl gefühlt? Ganz ich. Ganz da. Ganz eins.
Wenn Sie mögen, erzählen Sie einander von einem solchen Moment (paarweise oder in kleiner Runde im Kreis).
[Abbildung Jahreslosungskarte Schwalbenfrau]
Ich habe Ihnen ein Bild mitgebracht. Nehmen wir uns einen Moment, um es in Ruhe zu betrachten.Was sehen Sie auf dem Bild?
[ggf. als Leiterin darauf achten, dass erstmal nur beschrieben und nicht gedeutet wird.]
Auf dem Bild von Nuvolanevicata1 ist mittig eine Frau zu sehen. Sie hält die Augen geschlossen, den Kopf geneigt. Die Arme sind zu einer zärtlichen Umarmung erhoben. Ihr Kleid ist licht und durchscheinend. Doch durch das Kleid hindurch ist nicht ihre eigene Silhouette zu sehen. Durch ihr Kleid hindurch wird der Hintergrund sichtbar und erscheint wie in Licht getaucht: der Himmel, die Bäume, das Blattgrün. Es scheint, als sei ihr Unterleib mit der Umgebung verschmolzen. Gleichzeitig überragt sie die Reihe der Baumwipfel und verbindet so Himmel und Erde. Rechts über ihr erscheint der Mond, rund und sichelförmig zugleich, und deutet den Wandel der Zeiten an. Schwalben ziehen durch das Bild, der rechten Bildseite entgegen. Jede bewegt sich anders, einzigartig. Auf ihrem Weg streifen sie die Frau, fliegen durch die geöffneten Arme hindurch. Es ist, als drücke sie eine von ihnen gerade sanft an ihr Herz, mitten im Flug…
Instrumentalmusik
Schwalben sind Zugvögel, die schon im Altertum und auch im Mittelalter als Glücksbringer und Frühlingsboten angesehen wurden. Eine badische Bauernregel sagt: „Am Tage von Maria Geburt fliegen die Schwalben furt“ (8. September) und an Mariä Verkündigung (25. März) kehrten die Muttergottesvögel wieder. Eine Verbindung zwischen dem inneren Kompass der Zugvögel, die spüren, wann es Zeit ist aufzubrechen und heimzukehren, und den Gezeiten des Mondes scheint mir in unserem Bilde angelegt. Und mir scheint auch, die Frau hat ihren Frieden gemacht mit diesen Gezeiten des Lebens. Vielleicht, weil sie weiß und darauf vertraut, dass die Schwalben wiederkehren werden, wenn ihre Zeit gekommen ist?
Instrumentalmusik
Ist es so gewiss, dass die Schwalben wiederkehren? Sie kommen eigentlich auf allen Kontinenten, abgesehen von der Antarktis, vor und ernähren sich von vielerlei Insekten, die sie im Flug erbeuten. Doch auch Schwalben sind vom gegenwärtigen Massenaussterben bedroht. Ihre natürlichen Lebensräume schrumpfen und das Aufkommen an Fluginsekten in Nord- und Mitteleuropa sinkt immer mehr. Gegenwärtig gelten weltweit über 10 % aller Vogelarten als gefährdet. Es braucht unsere offenen Arme und unsere tätigen Hände, damit unsere Kinder noch ihren Flug sehen, ihre Schreie hören, ihren Nestbau beobachten und sich an ihrer Gesellschaft erfreuen können.
Instrumentalmusik
Kehren wir zum Ausgangspunkt dieser Andacht zurück. Auch unsere Seele wandert, schweift und zieht umher wie die Zugvögel in diesem Bilde. Auch wir spüren den Ruf des Aufbruchs, gleichzeitig sehnen wir uns nach Geborgenheit, wünschen uns willkommen und angenommen zu sein, aufgehoben in einem größeren Ganzen. Drückt dieses Bild mit der Überschrift „Willkommen“ nicht genau das aus? Christine Sassermann schreibt dazu: „Für mich ist diese Frau wie Mutter Erde, die alles in die Arme nimmt, annimmt, wie es ist, weil es ein Teil von ihr ist.“
Lied
Du bist die Eine,
die alles umfasst,
du bist die Weisheit,
die Lebenskraft,
du bist die Lieb,
erfülle mich.
Öffne mein Herz.
Ich rufe dich.
Lasst uns beten:
Gott, wir stehen an der Schwelle zu einem neuen Jahr/Tag / oder am
Anfang eines Aufbruchs/einer Reise/eines Neubeginns/eines Überganges. / Lass uns mutig aufbrechen und unserem Herzen folgen, / in der Gewissheit, dass Deine Arme uns erwarten. / Lass uns darin üben, / alle, die zu uns kommen, willkommen zu hei?en, / Umwelt und Natur als Teil von dir zu begreifen, / und uns mit ihr zu verbinden, wie auch du mit ihr verbunden bist. // Als Teil deiner Schöpfungsgemeinschaft kann unsere Seele atmen, / dein Geist uns beflügeln / und Dein Wort Gestalt gewinnen: / „Alle, die zu mir kommen, werde ich nicht abweisen.“
So sei es, Amen.
Anmerkungen
1 Die Malerin hinter dem Pseudonym Nuvolanevicata stammt aus Italien und war 28 Jahre Buchillustratorin, bevor sie 2010 mit der Malerei anfing. Der Titel des Bildes lautet „Willkommen“.
Simone Kluge ist evangelische Theologin, Mediatorin und Krisenberaterin auf Grundlage der klient*innen- zentrierten Gesprächsführung nach C. Rogers. Sie arbeitet als Referentin bei den Evangelischen Frauen in Mitteldeutschland und ist Mitglied im Redaktions- beirat leicht & SINN.
Die letzte Ausgabe der leicht&SINN zum
Thema „Bauen“ ist Mitte April 2024
erschienen. Der Abschluss eines Abonnements
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