Ausgabe 2 / 2018 Artikel von Petra Schickert

Schweigen um des lieben Friedens willen?

Zur Auseinandersetzung mit rechten Positionen in Kirchengemeinden

Von Petra Schickert

Wir leben in angespannten Zeiten. Traditionelle Brücken in Gemeinden oder auch zwischen Generationen sind vielerorts eingerissen. Unterschiedliche Auffassungen von Gemeindemitgliedern zu politischen Themen – nicht zuletzt, wenn es um das Engagement für geflüchtete Menschen geht – erschweren den Dialog. Verfestigte Positionen prallen aufeinander, Konflikte spitzen sich bis hin zur Spaltung in Gemeinden zu. Andernorts werden streitträchtige Themen „um des lieben Friedens willen“ gemieden, damit die Harmonie nicht gestört wird. Aber ist sie das nicht längst?…

…In der Vollversammlung der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus, kurz BAGK+R, im Jahr 2017 schilderten Initiativen und Vereine, wie sich die Veränderungen in den gesellschaftlichen Debatten in den Gemeinden widerspiegeln. Teilnehmende beklagten, dass eine klare Positionierung in Kirchenleitungen fehle. Das führt zu Verunsicherung: Mit wem kann ich reden? Wie können wir miteinander sprechen, ohne dass dabei sogleich alle Brücken abgebrochen werden? In Sachsen stellen sich die Fragen noch deutlicher. Kirchliche Publikationen1 weisen darauf hin, dass sich inzwischen Menschen aus christlichen Gemeinden, und zwar durchaus auch Verantwortungsträger*innen in kirchlichen Gremien, in rechtspopulistischen Zusammenhängen wie der Ein-Prozent-Bewegung2 engagieren.

Die Veränderungen spiegeln sich auch in der Arbeit der Mobilen Beratung des Kulturbüros Sachsen wider. Lange ging es eher darum, das Engagement von Bürgerbündnissen, in denen Gemeinden und Pfarrer*innen mitarbeiteten, gegen Nazis zu unterstützen und sich an Protesten gegen neonazistische Aktivitäten zu beteiligen. Heute steht die Auseinandersetzung mit rechtspopulistischen Erscheinungen in Kirchgemeinden und deren Umfeld im Vordergrund. Neonazistische Positionen waren in Kirchengemeinden bei weitem nicht so anschlussfähig wie es rechtspopulistische Positionen aktuell sind. Drei Beispiele aus Dresden:

Ein ökumenischer Arbeitskreis lädt den evangelischen Theologen Gerhard Lindemann zum Thema „Christen auf der rechten Seite? Was wir heute aus den 1930er Jahren lernen können“ ein. Vergeblich fordern Gemeindemitglieder den Priester der katholischen Gemeinde auf, die Veranstaltung nicht stattfinden zu lassen. Der Referent zeigt auf, dass für konservative Christ*innen bei der AfD und der „Neuen Rechten“ Themen wie Familienbild, Lebensschutz, Genderkritik und die Angst vor dem Islam besonders anschlussfähig sind. In der Diskussion wird „der Kirche“ vorgeworfen, sie sei auf dem linken Auge blind und vertrete naiv linke Positionen. Es wird angeregt, über Judenmission nachzudenken und ergebnisoffen über die jüdischen Wurzeln des Christentums zu diskutieren.

Gemeindemitglieder beschreiben, wie sie wegen ihres politischen Engagements von anderen aus der Gemeinde gemieden, beschimpft oder diffamiert werden. Im Rahmen der Internationalen Wochen gegen Rassismus organisiert eine Frau ehrenamtlich die Aufführung des Stückes „RECHTS: EX und POP“ eines Mannheimer Theaters, in dem rechte Diskurse und Verschwörungstheorien thematisiert werden. Als Mitglied einer katholischen Gemeinde bewirbt sie die Aufführung auch dort und bekommt zu hören: „An derartigen Formen von Politpropaganda habe ich kein Interesse. Bitte nie wieder eine solche Einladung schicken.“ Und: „Was ist los? Kannst Du mir bitte sagen, warum Du so verbissen bist? Mit solchen Angeboten wirst Du nichts erreichen.“

Im Ehrenamtscafé, organisiert von der kirchlichen Beauftragten für Flüchtlingshilfe und Integration, berichtet ein Teilnehmer, der sich für geflüchtete Menschen engagiert, dass für ihn seine Gemeinde so etwas wie Heimat war. Zwei Gemeindemitglieder befanden, er würde „mit seiner Gastfreundschaft nerven“. Er müsse da ja nicht mehr hingehen, sagt er resigniert.

Die Gemeinden spaltet nicht mehr nur die Frage, wie sie mit Rechtspopulisten umgehen soll, sondern zunehmend der Umgang mit rechtspopulistischen Positionen in den eigenen Reihen. Manche stellen sich der Thematik, andere ignorieren rechtspopulistische Positionen und hoffen, dass sie sich von selbst erledigen. So berichten beispielsweise Mitglieder einer katholischen Gemeinde in Ostsachsen, dass Montag für Montag Menschen aus der Gemeinde zu den Pegida-Demonstrationen fahren. Sie nehmen dafür jedes Mal hin und zurück mindestens zwei Stunden Fahrzeit in Kauf. Eine Auseinandersetzung in der Gemeinde findet nicht statt.

In vielen Gemeinden gibt es das Bedürfnis, rassistische und rechtspopulistische Positionen nicht unwidersprochen hinzunehmen. Andererseits sollen Menschen, die an Pegida-Demonstrationen teilnehmen oder sich von der AfD oder „neurechten“ Ideen angezogen fühlen, nicht stigmatisiert oder gar ausgeschlossen werden.

Dieser Riss durch die Gemeinde war der Anlass für die erste Diskussionsveranstaltung in der Friedenskirchgemeinde Radebeul. Gemeindeglieder wollten wieder miteinander ins Gespräch kommen. Ihr Ziel: „die demokratische Diskussionskultur wiederzubeleben. Interessierte haben die Möglichkeit miteinander zu reden, dabei die Position des Gegenübers respektvoll anzuhören, auch wenn die Meinungen weit auseinander liegen. Es geht darum, einander zu verstehen, ohne zu bewerten“, schrieben sie in ihre Einladungen. Für die Vorbereitungsgruppe war klar: Die Gesprächsgrundlagen sind das christliche Menschenbild, Nächstenliebe, die Achtung der Menschenwürde und der Menschenrechte. Was können wir unter Beachtung dieser Grundlagen wie besprechen? Worauf ist im Umgang mit Rechtspopulisten zu achten? In der Vorbereitungsgruppe gab es keine Erfahrungen im Umgang mit Rechtspopulisten. Mit deren Erscheinen war aber zu rechnen, da führende Menschen der Pegida-Bewegung in Radebeul zu Hause sind.

Menschen aus der Vorbereitungsgruppe und die Pfarrerin wandten sich an die BAGK+R. „Mein Freund geht (nicht) zu Pegida. Können wir noch Freunde sein?“ war das Thema der ersten Veranstaltung. Wir sprachen über Ziele und Rahmenbedingungen (Veranstalter, Moderation, Format, Gesprächsregeln) für die Veranstaltung. Zudem waren Hintergrundinformationen zu rechtspopulistischen Gruppen gewünscht. Die erste Veranstaltung übertraf die Erwartungen vieler: Circa 60 Menschen haben sich auf das Thema und den angebotenen Gesprächsrahmen – moderierte Diskussion an runden Tischen – eingelassen. Der Auftakt für „Miteinander Reden in Kötzschenbroda“ war gemacht. Es folgten weitere erfolgreiche Veranstaltungen zu „Heimat. Was bleibt (noch)? Nachdenken über Heimat“, „Alles wird gut!? Unsere Gesellschaft verändert sich. Und ich?“ und „Jetzt wird’s mir zu bunt! – Grenzen sind notwendig!?“ Beim letzten Thema ging es nicht nur um gelingende persönliche Beziehungen, sondern auch um ein gutes Zusammenleben in der Gesellschaft. Die klare Positionierung der Pfarrerin und der Vorbereitungsgruppe haben gelingende Veranstaltungen ermöglicht. Sie finden seit 2016 regelmäßig in der Friedenskirche statt.

Im Sommer 2017 lädt ein Evangelischer Schulverein Hatune Dogan zu zwei Veranstaltungen ein – eine in der Schule, eine in der Kirche. Die syrisch-orthodoxe Ordensschwester setzt sich für verfolgte Christ*innen in Syrien und im Irak ein. Ihren Einsatz verbindet sie mit der Ablehnung von Muslimen und antimuslimischem Rassismus. Zu ihren Vorträgen gehören generelle Unterstellungen gegenüber geflüchteten Menschen mit muslimischem Hintergrund: 80 Prozent seien Wirtschaftsflüchtlinge, Deutschland hole sich die „Wölfe“ ins Land, die „Schafe“ lebten in den Lagern. Hatune Dogan wird von islamfeindlichen, rechtspopulistischen Kreisen hofiert und für deren Zwecke instrumentalisiert. Es verwundert nicht, dass die rechtspopulistische Initiative Wir sind Deutschland die Veranstaltung bewirbt und am Abend in der Kirche präsent ist. Die Unterstützer*innen für geflüchtete Menschen kommen kaum zu Wort. Im Nachgang sieht die Kirchgemeinde sich mit Klagen wegen nicht genehmigter Filmaufnahmen und deren Verbreitung im Internet konfrontiert.
Da die Beratung durch die BAGK+R kurzfristig angefragt wurde, konnte nur noch geschaut werden, dass menschenfeindliche Positionen und eine sehr begrenzte Auffassung von Nächstenliebe unter dem Dach der Kirche nicht unwidersprochen bleiben. Den geflüchteten Menschen war diese Rolle nicht zuzumuten. In der Auswertung wurde deutlich, dass die in der Kirche geäußerten Positionen von einigen Gemeindemitgliedern geteilt werden. Verständlich ist der Wunsch, als Kirche nicht mit rechtspopulistischen, menschen- und demokratiefeindlichen Positionen in Zusammenhang gebracht zu werden. Dennoch muss die inhaltliche Auseinandersetzung mit diesen Positionen in Kirchenvorständen und Gemeinden sein. Es gilt deutlich zu machen, dass das christliche Menschenbild mit Vorstellungen von Ungleichwertigkeit nicht vereinbar ist. Die Hoffnung, der Staat möge etwas Justiziables bieten, um einen Umgang in der Gemeinde zu finden, wird sich nicht erfüllen. Die Diskussion bleibt der Gemeinde nicht erspart.

Die Kirche steht im Umgang und in der Auseinandersetzung mit menschenfeindlichen Positionen nicht allein. In allen Regionen Deutschlands gibt es neben den Mobilen Beratungsteams zivilgesellschaftliche Initiativen und Vereine, die neonazistische und rechtspopulistische Erscheinungen analysieren und dieses Wissen und ihre Erfahrungen im Umgang damit zur Verfügung stellen.

Rassistische und menschenfeindliche Positionen dürfen in Gemeinden nicht unwidersprochen bleiben.Denn Schweigen wird als Zustimmung gedeutet. Dabei ist genaues Detailwissen gar nicht immer nötig. Oft reicht einfach ein „Stopp. Das sehe ich anders“ oder: „Das will ich hier nicht hören.“

Argumentationstrainings oder ein Erfahrungsaustausch über gelingende Gespräche in der Gemeinde vermitteln Sicherheit. Wir müssen auch nicht über jedes Stöckchen springen, das Rechtspopulisten und Neonazisten hinhalten. Besinnen sollten sich Gemeinden auf ihre eigenen Stärken wie das Engagement im sozialen Bereich, die Seelsorge oder die Mitarbeit in Willkommensinitiativen. Dazu gehört auch, dass Kirche ein Ort der Begegnung ist, in dem Menschen „andere“ Gruppen treffen und eigene Erfahrungen machen können – etwa im Rahmen des Interreligiösen Dialogs oder der Begegnung mit geflüchteten Menschen.

Anknüpfungspunkte für Gespräche in den Gemeinden kann die Beteiligung an den Internationalen Wochen gegen Rassismus oder den Interkulturellen Wochen sein. Viele Gemeindemitglieder wünschen sich von Verantwortung tragenden Personen in Kirchen- und Pfarrgemeinden eine klare Positionierung, eine klare Haltung gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit. Und sie wünschen sich den Raum, um über gesellschaftliche Probleme zu sprechen, auch über den zunehmenden Rechtspopulismus in unserem Land. Dafür eignen sich die bestehenden vertrauten Kreise. Wichtig ist dabei, die Perspektive Betroffener von rassistischer und neonazistischer Gewalt stark zu machen. Und übrigens: Die Auseinandersetzung mit rechtspopulistischen Positionen innerhalb der Gemeinde kann das Gemeindeleben lebendiger machen und Gemeinden stärken!

Die Mobile Beratung des Kulturbüros Sachsen e.V. sieht Kirchen als Partnerinnen in der Auseinandersetzung mit neonazistischen, rassistischen und anderen menschenfeindlichen Erscheinungen sowie in der Stärkung einer demokratischen Alltagskultur. Kolleg*innen des Kulturbüros arbeiten darum in der AG Kirche für Demokratie und Menschenrechte der Evangelischen Landeskirche Sachsen (EVLKS) mit. – mehr unter www.kulturbuero-sachsen.de.

Das Kulturbüro Sachsen hat 2010 die Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus – aktiv für Demokratie und Menschenrechte“ (BAGK+R) in Dresden mit gegründet: am Vorabend eines 13. Februar, dem Tag der Bombardierung der Stadt 1945. Die BAGK+R will gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit innerhalb und außerhalb der Kirchen benennen, ihr konstruktiv entgegentreten und sie überwinden. Darum sind auch die Evangelischen Frauen in Deutschland dieser Arbeitsgemeinschaft beigetreten.
Unter www.bagkr.de finden Sie – neben vielen anderen online zugänglichen Publikationen – „Impulse für den Umgang mit Rechtspopulismus im kirchlichen Raum“; am Ende dieser Broschüre sind Institutionen in verschiedenen Gegenden Deutschlands mit Kontaktdaten zusammengestellt, die zu Beratung und Begleitung empfohlen werden.

Quellenangaben
1) Vgl. „Gott und Vaterland“ in: Der Sonntag. Wochenzeitung für die Ev.-Lutherische Landeskirche Sachsens (10.01.2018); chrismon 07.2018
2) Mehr über „Deutschlands größtes patriotisches Bürgernetzwerk“ unter www.einprozent.de

Petra Schickert hat Soziale Arbeit an der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit Dresden (FH) studiert. Sie arbeitet im Kulturbüro Sachsen e.V. als Beraterin in einem der Mobilen Beratungsteams und ist Mitglied im Sprecher*innenrat der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus. – www.kulturbuero-sachsen.de / www.bagkr.de 

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