Ausgabe 2 / 2016 Andacht von Urte Bejick

Schwester Phoebe

Andacht für die Gastfreundschaft

Von Urte Bejick

Vorschlag für die Leiterin: Die Andacht kann von zwei Leserinnen vorgetragen werden, zum Beispiel so: Eine liest das den Andachtstext, die andere das ­Votum, die längeren biblischen Texte (blaue Schrift), Gebet und Segen. Den Psalm lesen beide gemeinsam im Wechsel mit der Gruppe. – Kopiervorlage für AbonnentInnen unter www.ahzw-online.de / Service zum Herunterladen vorbereitet

Votum
Horcht auf und erhebt eure Herzen und Sinne zu Gott,
denn wir halten Andacht
im Namen Gottes, der uns auf neue Wege ruft,
im Namen Jesu Christi, Weg der Gerechtigkeit,
im Namen Heiliger Geistkraft, die uns stärkt und leitet.

Lied:
Damit aus Fremden Freunde werden, Strophen 1.3-4.6 (EG, landeskirchliche Teile) oder Du hast uns, Herr, gerufen (EG 168,1-6)

Psalm 37
Wir lesen aus Psalm 37 im Wechsel:

Überlass dem Ewigen deinen Weg,
vertraue auf ihn, er wird handeln.
Er wird deine Gerechtigkeit wie das Licht aufgehen lassen,
dein Recht leuchten lassen wie den Mittag.
Warte still auf den Ewigen, warte auf ihn.
Beende den Zorn, nimm Abschied von der Wut.
Ärgere dich nicht, es führt ins
Unheil.

Achte auf die Vertrauenswürdigen, sieht auf die Aufrechten, die Zukunft dieser Menschen ist Frieden.
Die Rettung der Gerechten kommt vom Ewigen,
ihr Schutz in der Zeit der Not.
Ps 37,5-7a.8.37.39 – hier in der Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache; Luther-Übersetzung: EG 719.

„Mit freundlichen Grüßen aus dem sonnigen Korinth“ – nein, so lapidar beendet ein Apostel Paulus keinen Brief. Erst grüßt er noch alle, die ihn kennen und mögen. Hinter all den Namen stehen Menschen, die wirklich gelebt haben, alle mit ihren eigenen Geschichten und Schicksalen. Sie bilden die ersten christlichen Gemeinden. Eine unter ihnen ist Phoebe. Jene Phoebe, ohne die der Römerbrief nicht nach Rom gelangt wäre.

Ich empfehle euch unsere Schwester Phoebe, die das Diakonenamt der Kirche in Kenchreä innehat, damit ihr sie aufnehmt im Herrn, wie es Heiliger würdig ist, und damit ihr ihr in allen Angelegenheiten beisteht, in denen sie eure Hilfe braucht. Denn sie war Vorsteherin vieler und auch für mich.
Röm 16,1-2, Übersetzung UB

Phoebe. Viel mehr als ihre Amtsbezeichnungen und den Namen wissen wir nicht. Aber was für ein Anfang, wenn eine den Namen Phoebe erhält! Wer „die Strahlende, Leuchtende“ genannt wird, ist willkommen geheißen von der Welt. Haben die Eltern ihrem Kind eine leuch­tende Zukunft gewünscht, oder hat das kleine Mädchen sie so angestrahlt, dass der Name sich geradezu aufdrängte? An Selbstbewusstsein man­gelte es den beiden jedenfalls offensichtlich nicht. Die namensgebende Phoebe ist eine Gestalt aus der griechischen Mythologie. Ihr Vater ist Uranos, der Himmel, ihre Mutter Gaia, die Erde. Aus solch einer Verbindung geht eine Titanin hervor, ein Prototyp Mensch, gleich den biblischen Riesen der Urzeit, den wir Sterblichen nie erreichen werden. Wie entwickelt sich ein Mädchen, dem es aufgegeben ist, eine Leuchtende zu werden? Was macht eine Frau als „Phoebe“, mit einer Bestimmung zur Titanin?

Sie schließt sich einer Gemeinschaft an, in der das alles nicht zählt. In der kein Halbgott der Maßstab ist, sondern ein Mensch – ein gebrochener, gefolterter, verlassener, ermordeter Mensch. Ihr Name legt nahe, dass Phoebe wohl weder aus einem jüdischen noch einem christlichen Elternhaus stammt. Sie wird sich aus eigener Entscheidung der Gemeinde in Kenchreä, der Hafenvorstadt von Korinth, angeschlossen haben. Warum? Weil ihr die christliche Botschaft ans Herz ging? Weil sie genug davon hatte, immer die Strahlende, Starke, Kämpfende zu sein, und einmal in ihrer Bedürftigkeit und Sehnsucht angenommen sein wollte? Ihren „heidnischen“ Namen hat sie aber nicht abgelegt, und auch im neuen Leben scheint sich die innere Titanin Bahn gebrochen zu haben: „Vorsteherin der Gemeinde“ nennt Paulus sie. Und „Diakonin“. Und nein, das heißt nicht „Dienerin“, sondern war eine Funktion, die finanzielle Verantwortung, praktische Hilfe und Lehrtätigkeit verband. Vielleicht war Phoebe – wie Lydia – eine vermögende Frau, die die Armen der Gemeinde und auch den Apostel Paulus finanziell unterstützte? Das war nicht selbstverständlich; aus den Briefen an die Gemeinde in Korinth wissen wir, dass Paulus ein Apostel unter vielen war, noch nicht einmal der angesehenste. Prostatis nennt Paulus Phoebe auf Griechisch – das heißt Vorsteherin oder Beschützerin, auch wenn es in Bibelübersetzungen hartnäckig mit „nur“ Hilfs- oder Dienstleistungen verbunden wird.

Phoebe war also wohl eine willensstarke, sich durchsetzende Frau, die, bei aller Demut, ihr Leuchten nicht unter den Scheffel stellte. Diese Frau nun soll den Brief, der Paulus so am Herzen liegt, an die römische Gemeinde überbringen. Eine große Verantwortung. Ist Phoebe in geschäftlichen Angelegenheiten unterwegs nach Italien? War sie Händlerin wie Lydia? Und wie ist sie überhaupt dahin gelangt? Auf der Militärstraße Via Egnatia die Adria entlang? Zu Fuß, wie die meisten Reisenden? Oder konnte sie sich wenigstens ein Maultier leisten? Ist sie vielleicht auf ein Schiff nach Brundisium gestiegen – allein, in Begleitung, vielleicht gar als Mann verkleidet? Was in christlichen Gruppenreisen „Auf den Spuren des Paulus“ erwandert oder erfahren werden kann, entspricht manchmal den Wegen, die Flüchtlinge aus Nahost über das Meer, über Griechenland und den Balkan nehmen. Paulus beschreibt seine Wege so:

Dreimal wurde ich mit Stöcken geschlagen, einmal gesteinigt, dreimal erlitt ich Schiffbruch, eine Nacht und einen Tag trieb ich auf dem tiefen Meer dahin. Auf vielen Reisen zu Fuß war ich in Gefahr durch Flüsse, in Gefahr durch Kriminelle, in Gefahr durch Angehörige meines Volkes, in Gefahr durch Menschen anderer Völker, in Gefahr in Städten, in ­Gefahr in der Wüste, in Gefahr auf dem Meer, in Gefahr unter falschen Geschwistern. Ich hatte schwere Arbeit und Anstrengungen, oft schlaflose Nächte, Hunger und Durst, häufiges Fasten, ­Kälte und Nacktheit zu ertragen. Und dazuz bedrängt mich, abgesehen von allem anderen, die tägliche Sorge um sämtliche Gemeinden.
2 Kor 11,25-28 BigS

So beschreibt Paulus seine Wandertätigkeit, die mit seiner Flucht aus Damaskus begann. Jetzt übernimmt Phoebe seine Mission. Was für Paulus schon anstrengend war, war für sie als Frau noch viel gefährlicher. Was mag sie erlebt haben – Übernachten in lausigen Herbergen oder unter freiem Himmel, Belästigung durch andere Reisende, Matrosen, Wirte, Soldaten? Wenn eine sich solchen Gefahren aussetzt, die müsste eine christliche Gemeinde doch mit offenen Armen aufnehmen, und sei es nur deshalb, um eine aufregende Reisegeschichte zu hören. Paulus scheint da Bedenken zu haben. Er empfiehlt die Überbringerin ausdrücklich, bittet um deren Unterstützung. Rechnet er mit Misstrauen und Ablehnung gegenüber der Fremden, der Frau, die da müde und schmutzig von der Reise vor der Tür steht – nur einen Brief als Ausweis? Da kommen Fragen auf. Man wird es ja wohl noch sagen dürfen: Eine Frau allein auf Reisen? Mit dem Schiff, allein unter lauter Matrosen, also da kann man sich doch so einiges denken! Hat die keine Familie? Oder hat sie etwa ihre Kinder zurückgelassen? „Geschäftsfrau“ – was das wohl für Geschäfte sind? Jedenfalls, wenn die aus wirtschaftlichen Gründen hier ist, können wir die nicht wochenlang beherbergen und ernähren. Und wer weiß, ob das wirklich die Unterschrift des Paulus ist? Sowas lässt sich doch leicht fälschen.

So mögen die Männer diskutiert haben. Und die Frauen der Gemeinde? Von dreien, Maria und Tryphona und Tryphosa, wird gesagt, dass sie sich bis zum Überdruss abgemüht und hart gearbeitet hätten. Wie nahmen die wohl eine selbstbewusste Gemeindevorsteherin auf? Eine, die von Griechenland hierher kommt und die Meinung irgendeines Paulus kundtun will? Und dann Junia, „groß unter den Aposteln“: Freute sie sich über den Austausch mit Phoebe, oder sah sie die Fremde als Konkurrenz? Wir wissen das alles nicht. Wir wissen nur, dass der Brief an die römische Gemeinde dort sicher angekommen ist. Und so hat diese Gemeinde sie wohl zuvorkommend aufgenommen, die „Schwester“ Phoebe.

„Schwestern und Brüder“ – das scheint uns manchmal eine etwas zu fromme Anrede zu sein. Was heißt es aber wirklich, wenn jemand Wildfremdes uns Bruder oder Schwester sein soll? Wer in der Antike reiste, war zum Überleben auf Gastfreundschaft angewiesen, brauchte abends ein Dach über dem Kopf, etwas Sicherheit, eine kleine Mahlzeit. Wer keine Verwandten, keine Geschäftspartner, keine Freundinnen und Freunde hatte, war besonders gefährdet. Eine Schwester aber lässt man ein. Einer Schwester bietet man Schutz. Eine Schwester betatscht mann nicht. Und auch den Bruder lässt man nicht im Regen stehen. Gastlichkeit ist eine Frage der Ehre, sagt Paulus. Er spricht von Philoxenia, von der Zuneigung zu Fremden (Röm 12,13), die nicht zur Familie, zur Verwandtschaft gehören. Das ist mehr als ideelle Pflicht, mehr als Toleranz. Das ist Zuwendung, Unterstützung und Wohlwollen. Keine Angst vor den Fremden, sondern Neugier und der Mut, voneinander zu lernen und sich wandeln zu lassen. Philoxenia, die hat nicht allein die römische Gemeinde geübt, die begegnete Phoebe auch bei vielen unbekannten Menschen, die sie auf ihrem Weg getroffen haben mag. Sie ­gaben Obdach, eine Mahlzeit, einen Schlafplatz – und vielleicht hat Phoebe sich revanchiert, indem sie aus dem aufregenden neuen Brief des Paulus vorlas.

Wie liest sich der Brief an die römische Gemeinde fernab der Kanzel, auf der Straße, am Feuer, unter fremden Dächern? In der bangen Erwartung, wie der heutige Tag wird, und in Dankbarkeit nach einer warmen Suppe? Ich stelle mir vor, wie Phoebe abends in der kleinen Bauernhütte dankbar am Feuer saß und ihren Gastgebern vorlas: „So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung“ (Röm 13,10), und das alte Bauernpaar lächelte und stieß sich mit den Ellenbogen an. Wenn sie keine Herberge fand und mit anderen, fürchterlich auf die engherzigen Einheimischen schimpfenden Wandernden Schutz im Wald fand, zitierte sie vielleicht aus dem Gedächtnis: „Soweit es geht, haltet mit allen Menschen Frieden. Rächt euch nicht!“ (Röm 12,18). Vielleicht verstand sie erst beim Anblick der entsetzlich mageren Straßenhunde an der Via Appia, was das meinte: „das Seufzen der Kreatur“, das sich mit dem menschlichen Seufzen vereint. Vielleicht hat sie es sogar gewagt, den rudernden Sklaven auf dem Schiff zuzuflüstern:

Alle Kreatur wird frei werden von der Knechtschaft des vergänglichen Wesens zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Röm 8,21

„Ein täglich Brot für die Seele“ hat Martin Luther den Römerbrief genannt. Dieses Brot fehlte uns, hätte die römische Gemeinde Phoebe nicht aufgenommen, hätten nicht viele unbekannte Menschen der Frau auf ihrer Reise beigestanden. Ohne Gastfreundschaft für Phoebe vermutlich keine Überlieferung des Römerbriefs. Und ohne Gastfreundschaft für Paulus, diesen kleingewachsenen, doch etwas merkwürdigen, kränkelnden Mann, der immerhin schon einige Haftstrafen aufzuweisen hatte, kein Christentum in Europa.

Gebet
Gastfreundliche Weisheit,
du lädst alle in dein Haus.
Wir danken dir für den Mut der
Schwester Phoebe,
die sich vor fast 2000 Jahren auf den Weg machte,
um die Verkündigung von Vergebung, Freiheit und Erlösung
nach Rom zu tragen:
zu den Sklavinnen, Gladiatoren,
Bäckerinnen, Prostituierten,
den Soldaten und Matrosen,
den reichen Männern und Frauen,
den hart Arbeitenden und hartnäckig Träumenden,
auch zu den Hunden, Katzen und
Vögeln von Rom.

Wir danken dir für die Menschen,
die ihr auf dem Weg beigestanden und ihr geholfen haben.
Wir danken dir für die alten und ­jungen Frauen, die es wagen, ihren ­eigenen Weg zu gehen.

Wir bitten für die Menschen, die heute auf der Flucht, unfreiwillig auf dem Weg nach Europa sind.
Besonders bitten wir für die Frauen und Kinder, die nicht nur einen anstrengenden Weg bewältigen müssen, sondern von Belästigung, Entführung, Übergriffen und Gewalt bedroht sind.
Wir denken an die Menschen, deren Flucht an Grenzzäunen endet, an die, die zu schwach, zu alt, zu krank, zu arm sind, um zu fliehen, an die Menschen, die voll Hunger und Angst ausharren müssen.

Wir bitten dich, lass uns teilhaben an deiner Großzügigkeit.
Schenk uns die Großherzigkeit der ­unbekannten Christinnen und Christen, die Menschen wie Phoebe aufnahmen und Paulus, der sagte, dass wir einander nichts schuldig seien, außer der Liebe.

Wir beten gemeinsam:

Vater unser

Lied:
Ich steh vor dir mit leeren Händen
EG 382, 3. Strophe:

Sprich du das Wort, das tröstet und
befreit und das mich führt zu deinem großen Frieden.
Schließ auf das Land,
das keine Grenzen kennt, und lass mich unter deinen Kindern leben.
Sei du mein täglich Brot, so wahr du lebst. Du bist mein Atem, wenn ich zu dir bete.

Segen
Gott segne und behüte uns auf allen unseren Wegen, damit sie münden in Seinen großen Frieden.

Dr. Urte Bejick, geb. 1958, ist Theologin und arbeitet als Referentin für Theologie und Seelsorge und Altenheimseelsorge im Diakonischen Werk Baden.

Ausgabenarchiv
Sie suchen eine Ausgabe?
Hier entlang
Suche
Sie suchen einen Artikel?
hier entlang