(Auszug)
Das Neue Testament ist unter dem Blickwinkel „Jesus Christus“ erzählt. Schade, denke ich manchmal. Zum Beispiel bei unserer Geschichte um Martha und Maria.
Ich würde gern wissen: was machen die beiden Frauen, bevor Jesus die Szene betritt? Sitzen sie vor der Tür, lachen, erzählen, scherzen? Oder streiten sich die beiden gar jetzt schon? Leider erfahren wir es nicht. Denn, wie gesagt, das Interesse liegt auf der Gestalt Jesu. So leuchtet der Scheinwerfer erst dann das Haus aus, als Jesus eintritt.
In jedem Fall verändert sich durch das Auftreten des Mannes die Beziehung der beiden Schwestern. Spannungen treten auf und vor allem: der Mann wird als Richter angerufen. Sie merken, dass ich im Moment Jesus und Mann unbekümmert gleichsetze. Meine Vermutung geht dahin, dass die beiden Frauen sich bei einem beliebigen fremden Mann genauso verhalten hätten, wie es auch die Bibel berichtet. Nehmen wir einmal einen Moment an, bei der Gestalt Jesu wäre es nicht um einen Mann, sondern um eine Frau gegangen. Wäre die Geschichte genauso verlaufen? Nein, höre ich mich selber sagen und muss allein bei meiner Frage schmunzeln. Natürlich nicht!
Und leider wird auch nicht der Fortgang unserer Geschichte erzählt: was machen die beiden Frauen, nachdem Jesus das Haus verlassen hat? Steht Martha in der Küche und spült, im stolzen Wissen darum, dass das Kochen gelungen ist, dass das Essen geschmeckt hat – stolz und dennoch enttäuscht, mit dem Empfinden: ich habe etwas Wichtiges verpasst, und meine Arbeit wurde nicht gesehen und geehrt? Und Maria? Schleicht sie mit schlechtem Gewissen umher, weil sie ihre Schwester im Stich gelassen hat – weil sie nicht gesagt hat: die Arbeit in der Küche ist lebensnotwendig, genauso notwendig wie deine Worte, Jesus? Oder setzen sich beide Schwestern miteinander hin und reden, schimpfen und sagen, was beide gestört hat am gegenseitigen Verhalten?
Gerade das letzte ist mir ein kaum vorstellbares Bild: so sehe ich die beiden Frauen nicht. Was Männern scheinbar so gut gelingt – miteinander streiten, sich gegenseitig hart angehen und anschließend miteinander ein Bier trinken und scherzend reden –, da tun wir Frauen uns schwer. Viele Frauen gehen im Innersten davon aus: Jedes Missverständnis, jede andere Meinung und erst recht jeder richtige Konflikt und Streit stürzt uns sofort in eine tiefe Krise. Wenn ich einen Streit beginne, handele ich nicht eine konträre Meinung aus, sondern greife die Person an. Und wenn ich von dieser inneren Grundüberzeugung ausgehe, dann ist es natürlich richtig, als erstes immer zu fragen: Lohnt es denn? Ist dieser Anlass, ist diese Meinungsverschiedenheit wirklich so wichtig, dass ich deshalb die Beziehung zur anderen aufs Spiel setzen möchte? Sollte ich nicht lieber nachgeben und darüber hinweg gehen? Ich denke, das ist eine der Grundlagen, an denen wir Frauen rütteln müssen, wenn wir es denn lernen möchten, uns zu streiten, wenn wir unsere eigene Meinung so ernst nehmen wollen, dass wir uns dafür einsetzen. Es gilt die Idee zu erschüttern, jede Meinungsverschiedenheit wäre zugleich ein Angriff auf eine andere Person. Wir sollten davon ausgehen: wenn ich eine gute und lange und solide Beziehung zu einer anderen Frau habe, dann kann ich ruhig mit ihr streiten, dann kann ich ihr meinen Ärger zumuten – und ich weiß, die Beziehung hält es aus.
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