Da sprach Gott: „Die Wasser sollen nur so wimmeln von lebenden Wesen, und über die Erde sollen Flugtiere fliegen – angesichts des Himmelsgewölbes“. Da schuf Gott die großen Seeungeheuer und jedes sich bewegende Lebewesen, von denen das Wasser wimmelt nach ihren Arten, und alle geflügelten Tiere nach ihren Arten. Und Gott sah: Ja, es war gut. Da segnete Gott sie und sagte:
„Seid fruchtbar, vermehrt euch und füllt die Wasser der Meere. Die Flugtiere aber sollen sich auf der Erde vermehren.“ Es wurde Abend und wurde Morgen – ein fünfter Tag.
Da sprach Gott: „Die Erde soll lebende Wesen hervorbringen je nach ihrer Art, Vieh, Kriechtiere, das Wild nach seinen Arten.“ Und so geschah es: Gott machte das Wild der Erde nach seinen Arten, das Vieh nach seinen Arten und alle Kriechtiere auf dem Acker nach ihrer Art. Und Gott sah: Ja, es war gut.
Gen 1,20-25;
Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache
Lied
Auf, Seele, Gott zu loben
(EG 690,1-3+7)
Ein Auszug aus der Schöpfungsgeschichte soll uns heute nach Xanten an den Niederrhein entführen. Genauer in den Xantener Dom, der groß und mächtig das alles überragende Zentrum der Stadt ist, die, so sagt man, „sich um ihn schare, wie die Küken um die Henne“.
Im Krieg fast völlig zerstört, wurde er bis in die 1970er Jahre wieder aufgebaut und erweckt nun den Eindruck, als sei er niemals ins Wanken geraten. Welche Kraft!
In diesem Jahr jährt sich seine Grundsteinlegung zum 750sten Mal und gibt Anlass für ein reichhaltiges Festprogramm. Besondere Messen und Konzerte, Aufführungen und historisches Erinnern laden zum Mitfeiern ein. Die Menschen werden die Gelegenheit wahrnehmen, den Dom zu besuchen, sie werden an Führungen teilnehmen und tief in seine Geschichte eintauchen. Viele werden auch die Krypta besuchen mit den Gräbern zweier christlicher Märtyrer, die erst 1933 wieder entdeckt und zugänglich gemacht wurden und über denen seit dem 4. Jahrhundert ein sakraler Bau nach dem anderen und schließlich der Dom entstand.
Steigen auch wir zunächst in die Krypta hinab und lassen uns ein auf diesen Raum der Stille und des Erinnerns, der uns in bewegender Weise vor Augen führt, was Christinnen und Christen für ihren Glauben an Leid auf sich zu nehmen bereit sind – nicht nur in der Frühzeit des Christentums, sondern auch in unserer jüngsten Vergangenheit. Es wurden nämlich nach dem 2. Weltkrieg diesem Ort Gedenksteine hinzugefügt mit den Namen von Priestern dieser Region, die als Verfolgte des Naziregimes ums Leben kamen. Und ein namenloser Stein – als ständige Mahnung wachsam zu sein, auf dass er immer namenlos bleiben möge.
Lied
Von guten Mächten wunderbar
geborgen (EG 652,1-2+5-6)
Wir wollen innehalten und Gott bitten, sich derer anzunehmen, die um seines Namens willen heute weltweit verfolgt werden und unermessliches Leid erfahren.
Gebet
Gott, du Heilige, gib uns den Glauben der ersten Christinnen und Christen.
Lass uns auch dann singen,
wenn wir in Angst und Not sind.
Du richtest uns wieder auf
und gibst uns Kraft und Stärke.
Jeden Tag danken wir dir
für deine Liebe,
für deine Nähe,
für dein Wort
und für die Lieder, die unsere Seelen gesund werden lassen.
Amen
Während wir still geworden sind und bereit, unser Herz für Gottes Lieder zu öffnen, vernehmen wir mit einem Mal ein leises Zwitschern und Rascheln über uns. Neugierig blicken wir auf und entdecken direkt über uns eine runde, durchbrochene Bronzeplatte, die diesen Ort mit dem darüber liegenden Altarraum vor dem Lettner verbindet. Von dort kommen die Laute – was mag das sein?
Kommen Sie einfach mit mir zurück in den Kirchenraum – und schon nach wenigen Schritten stehen wir vor einem ganz besonderen Schatz des Domes: dem wunderbaren Bronzealtar des Künstlers Gernot Rumpf. Unter dem Altar hindurch verläuft ein breites Bronzeband mit eben jenem Oculus, durch den wir von unten hochsehen konnten, und das eine sichtbare Verbindung von Gemeinde, Altar, Märtyrerkrypta und Lettnerkreuz darstellt.
Und dieser Altartisch hat es wirklich in sich: Er wurde 1976 aufgestellt, dem 750. Todesjahr des heiligen Franz von Assisi, dessen „Vogelpredigt“ ein wichtiger Impuls für seine Gestaltung war. Hinzu kam der Wunsch, das alttestamentarische Motiv der Wurzel Jesse zu übernehmen, das im Xantener Dom noch häufiger anzutreffen ist, um, so Gernot Rumpf, „einerseits eine thematische Verankerung in das Bauwerk zu erreichen und andererseits im theologischen Sinne eine Fortführung der Wurzel Jesse in ein Rankenwerk des Neuen Testaments, den Weinstock aufzuweisen. Der Weinstock gilt von alters her als Zeichen des Segens, des Lebensbaumes und vor allem als Symbol Christi.“ Und so ist es dann gekommen.
Der Altar hat die Form eines Tisches, die Altarplatte ruht auf den Stämmen eines Weinstocks, von denen jeweils drei Rebäste mit Blättern und Trauben ausgehen, die sich rings um ein Zentrum zu einem Rankenwerk verschlingen.
Im Geäst wimmelt es nur so von Tieren – größere und kleinere Vögel, einzeln oder in beziehungsreichen Gruppen von zwei, drei oder auch mehr Tieren. Aber nicht nur „geflügelte Tiere nach ihren Arten“ bevölkern den Altar, auch Vierbeiner, Kriechtiere, Käfer und sogar Fische. Manche von ihnen sind der Natur nachgebildet. Andere sind mit menschlichen Attributen wie Brillen, Zöpfen oder Krawatten versehen, Geld quillt ihnen aus dem Kopf, oder sie tragen eine Ritterrüstung. Und dann sind da noch Fabelwesen, Mischungen aus Vogel und Fisch oder Vogel und Elefant.
Mitten im großen Dom loben und preisen sie bei den Gottesdiensten mit uns zusammen Gottes wunderbare Schöpfung und erinnern uns daran, dass wir alle unseren Ursprung in Gott haben und Geschöpfe Gottes mitten unter anderen Geschöpfen sind.
Voller Neugierde, was den Künstler wohl veranlasst hat, gerade diese Tiere für den Altar auszuwählen, sehen wir genauer hin und versuchen, die Symbolik zu verstehen. Denn das ist klar: Jedes Tier hat seinen wohl bedachten Platz, und auch die Ausrichtung der Vögel ist nicht zufällig. So können wir beim Künstler nachlesen: „Von den vielen Vögeln, die die Gemeindeglieder symbolisieren, schaut die Hälfte in Richtung Ambo, zum Priester hin, zum imaginären Franz von Assisi, während die rechte Hälfte nach Süden schaut und gerade im Begriff ist, die Flügel auszubreiten, um auftragsgemäß in die Welt zu fliegen, die Heilslehre zu verkünden. Und so ist es nicht mehr der Priester allein, der den Glauben verkündet, sondern die ganze Gemeinde und alle Kreatur.“
Lied
Ins Wasser fällt ein Stein (EG 659,1-3)
Mittelalterliche Symbolik in heutiger Zeit? Was will sie uns sagen?
Treffen sich hier womöglich das Mittelalter und unsere elektronische Welt,
in der das Lesen immer mehr von der Bilderflut in den Hintergrund gerückt wird?
Können wir noch „kreativ“ sehen – sozusagen „Fernsehen im Kopf“? Oder können wir nur noch konsumieren, was fix und fertig aufbereitet ist?
Hat eine neue Symbolik die alte abgelöst, so dass wir uns schwer tun mit dem Entziffern der Tierwelt des Altartischs?
Natürlich – das Ei im Zentrum des Weinstocks wissen wir zu deuten als Symbol für Auferstehung und neues Leben. Aber erkennen wir auch, dass das Wachtelpaar Eltern darstellen soll als die ersten Verkünder im Leben eines Menschen, indem sie ihre Kinder religiös erziehen? Oder den Kreuzschnabel, der seinen Jungen Nestwärme und damit Geborgenheit gibt, als Vorbild guter Eltern? Der Specht, der mit seinem eifrigen Klopfen der Inbegriff des unablässigen Beters ist, verweist darauf, dass zu einer guten religiösen Erziehung auch die Einübung in das Gebet gehört. Und nicht zuletzt die drei Tauben weisen nicht nur auf den friedlichen Charakter der christlichen Botschaft hin, sondern sind zugleich Symbol der heiligen Geistkraft, die auf uns kommt, wenn wir in die Gemeinschaft der Gläubigen aufgenommen werden.
Andere Tiere verkörpern Schwächen und Stärken, wie beispielsweise der Igel, der für Stärke steht als Vernichter von Schlangen, in unserer Tradition Symbol des Bösen; oder die Eule als Sinnbild der Weisheit, der Hase sowohl als Abbild der Auferstehung und Verwandlung, weil er sein Fell im Laufe des Jahres wechselt, aber auch als Feigling und Unzüchtiger wegen seines Flucht- und Zeugungsverhaltens. Der Hahn weckt die Menschen aus dem Schlaf und verkündet ihnen Christus, die aufgehende Sonne. Während die beiden Vögel mit Rüstung direkt neben ihm auf den heiligen Viktor und seine Gefährten hindeuten – gerüstet mit den „Waffen“ der Christin und des Christen: die Gerechtigkeit, die Bereitschaft für das Evangelium des Friedens zu käm-pfen, den Glauben, das Heil und das Wort Gottes als „Schwert des Geistes“ (Eph 6,14-20).
Bei den Figuren mit Attributen fallen zwei Vögel besonders auf, einer mit Mitra, der andere mit deutscher Kaiserkrone – Sinnbilder der geistlichen und weltlichen Macht: Die Geistlichkeit bricht auf, um das Wort Gottes auf dem Markt zu verkündigen, die weltliche Macht breitet schützend die Flügel aus. Nicht weit von ihnen, aber auf einem eigenen Ast, sitzen übrigens ein evangelischer Pfarrer, erkennbar an Beffchen und Barett, und seine Frau als deutlicher Hinweis auf ökumenische Bemühungen.
Unter den Fabeltieren finden wir den Vogel, dem das Geld aus Kopf und Bauch quillt, einen anderen mit einem Einhorn auf dem Kopf, dem Zeichen der Keuschheit und ehelichen Treue. Und auch den eitlen Vogel, der selbstgefällig in den Spiegel schaut und dem zum Zeichen seiner Selbsttäuschung Hörner gewachsen sind. Und schließlich den Vogel mit Elefantenkopf, der einerseits für keusche Sitten steht und andererseits – weil er Schlangen tötet – als Abbild Christi gilt, der die „alte Schlange“ vernichtet hat.
Eine Gruppe darf nicht unerwähnt bleiben: Da sitzt ein Vogel mit einem großen Pinienzapfen auf dem Kopf – die Pinie ist als immergrüner und ständig fruchttragender Baum mit wohlschmeckenden Samen in den großen Zapfen Symbol der Fruchtbarkeit und des Lebens – der an einen geistlichen Verkünder in Aktion denken lässt. Um ihn herum haben sich sehr weltliche Zuhörende versammelt – ein Vogel mit besonders großem Ohr, einer in der Gestalt einer Sirene, eine Diva, die für all jene steht, die das Gemeindeleben mit einer Bühne verwechseln, auf der sie ihre Auftritte haben, und der Vertreter der Schaustellerberufe, der Balljongleur.
Eine wahrhaft bunte Schar, die sich da versammelt hat, um Gott zu loben
und zu preisen. Wir wollen fröhlich einstimmen und mit ihnen singen …
Lied
Freuet euch der schönen Erde
(EG 510,1-5) oder: Alles was Odem hat, lobe den Herrn (EG 693,1-4)
Segen
Gott allen Lebens –
nachdem du alles sahst,
was du gemacht hast,
sagtest du:
Sieh hin, es ist sehr gut.
Segne uns
und unsere Mitgeschöpfe,
deine ganze geliebte Kreatur,
und halte deine mütterliche Hand
über uns.
Amen
Ilse Falk, geb. 1943, war die Vorsitzende der Evangelischen Frauen in Deutschland. (verstorben 2024)
Zum Weiterlesen
Paul Ley: „Ich bin der Weinstock und ihr seid die Reben“ – Bronzealtar und Ambo von Gernot Rumpf im Zentrum des St. Viktor-Domes zu Xanten, hgg. von der Kath. Propsteigemeinde St. Viktor Xanten
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