Alle Ausgaben / 2001 Bibelarbeit von Petra-Edith Pietz

Seht, ich mache alles neu.

Von Petra-Edith Pietz

(Auszug)

Die Offenbarung des Johannes ist wahrscheinlich gegen Ende des ersten Jahrhunderts entstanden. Es wird angenommen, dass Johannes auf die Insel Patmos, vor der Küste Kleinasiens gelegen, verbannt worden war. Von dort aus schreibt er an sieben Gemeinden in Kleinasien: Ephesus, Smyrna, Pergamon, Thyatira, Sardes, Philadelphia, Laodizea (s. Übersicht zu Offb 2-3 und Landkarte). Das Zentrum des jüdischen Glaubens – der Tempel in Jerusalem – war zerstört, der politische Widerstand gegen Rom fast gebrochen, der Kaiserkult etablierte sich und brachte Juden und Jüdinnen ebenso in lebensgefährliche Situationen wie Christen und Christinnen: das Bekenntnis zu Gott (Jahwe) bzw. zu Christus ließ eine göttliche Verehrung des Kaisers nicht zu. Verfolgung der Gottgläubigen bzw. Christusgläubigen in Form von körperlicher Züchtigung, Beschlagnahmung von Eigentum, Versklavung und Verbannung bis hin zur Tötung in den Kampfarenen verbreiteten Angst und Schrecken. Die Gemeinden sind in Gefahr, die Menschen haben Angst, sind eingeschüchtert. Für den Seher Johannes verdichteten sich diese Ereignisse zu Visionen, zu Zeichen des Kampfes zwischen den Mächten der Finsternis (Rom gleich Babylon) und den Mächten des Lichtes (Gott/Christus gleich das Lamm).
Johannes malt in seinen Sendschreiben die Ereignisse als Bilder, die verschlüsselt für die Feinde, aber sehr klar für die Verfolgten das erlebte Leid und die Anfechtung als kosmisches Ereignis deuten: das Böse wird besiegt, weil es dem Leben entgegensteht. Widerstand gegen das Böse ist nicht sinnlos, sondern dient dem Leben – gerade dann, wenn es mich etwas kostet.

 

Was höre ich heute?

 

In den Visionen des Johannes gerät die Welt aus den Fugen, der Kosmos wankt, Erde und Himmel stöhnen, Sonne, Mond und Sterne verlassen ihre Bahn, das Meer verwandelt sich in ein todbringendes Wasser – herbeigeführt durch die Anmaßung, die Maßlosigkeit der Menschen. Wenn wir heute von Globalisierung der Wirtschaft reden – und ihre Folgen zu spüren bekommen – entdecke ich Verbindungen zu dem, was Johannes vor 2000 Jahren beschrieben hat. Wenn die Vermehrung des Geldes, die Maximierung von Gewinnen zum Gott gemacht wird und alles und jede/r diesem Gott dienen soll, dann gerät unsere Welt immer weiter aus den Fugen. Die Krisen der letzten Monate und Jahre sind Ergebnis eines maßlosen Wirtschaftens über Jahrzehnte hinweg: Menschen, Tiere, Pflanzen, Wälder, Flüsse und Meere, Erde und Luft wurden und werden als Mittel zum Zweck (der Gewinnmaximierung) benutzt. Und das rächt sich. Zeichnet sich darin so etwas wie das Gericht Gottes an unserer Maßlosigkeit ab? Vielleicht meinen manche, dass wir als „kleine Leute“ dafür ja nichts könnten. Die große Politik wird doch ganz woanders gemacht. Und das Rad des Kapitals kann doch niemand von uns aufhalten… Die Möglichkeit der kleinen Schritte ist den „kleinen Leuten“ ganz gewiss gegeben – und die setzt ein bei der Frage nach dem, was Leben fördert – und zwar nicht allein mein Leben, sondern auch das meiner Nachbarin, das Leben der Blumen auf der Wiese vor meinem Haus, der Bäume am Straßenrand einer Autobahn, der Hühner auf dem Geflügelhof, der Asylbewerberin im Heim, des Straßenkindes in der Großstadt. Verstehen, was um mich herum geschieht und sich nicht zurückziehen aus der Verantwortung für das mir Anvertraute – das ist ein guter Weg, den Götzen „Geldvermehrung“ vom Thron zu stoßen.

Das 21. Kapitel der Apokalypse entfaltet in wunderschönen Bildern die neue Stadt Jerusalem. Und ganz sicher stellen sich bei der einen oder anderen die Erinnerung ein an die Liedverse aus dem Evangelischen Gesangbuch, die zum Ende jeden Kirchenjahres gesungen werden: Jerusalem, du hoch gebaute Stadt, Herzlich tut mich erfreuen die liebe Sommerzeit, Wachet auf, ruft uns die Stimme, Ermuntert euch, ihr Frommen. Und auch diesen Liedern eignet der Trost für die Bedrängten, Unterdrückten, an der Ungerechtigkeit in der Welt Leidenden. Das ist kein billiger Trost. Die so gedichtet haben, wussten, wie stark die Bilder von der neuen Welt das Widerstehen in der alten Welt ermöglichen. Das sind keine Durchhalteparolen, sondern Widerstandslieder, die von durchgehaltener Menschlichkeit und der Sehnsucht nach Befreiung und Erlösung singen.

Wenn wir die Offenbarung des Johannes und besonders das 21. Kapitel als ein poetisches, kraftvolles, zu erschütternden Empfindungen und mutigen Schritten ermunterndes, befreiendes Buch lesen können, das das Böse nicht verschweigt und nicht schön redet, zum Widerstand gegen jeglichen gewaltsamen, unmenschlichen Tod aufruft und die Sehnsucht nach der neuen Welt nährt, dann ist das doch eine „gute Nachricht“.

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