Ausgabe 1 / 2008 Material von Inge Lux

Semmelbaba

Von Inge Lux


Omama in der Küche, an dem alten Tisch. Ein Haufen geschnippelter Äpfel auf gesprenkeltem Linoleum. Mutti hatte das Fallobst im Rucksack immer wieder von ihren Hamstertouren aus der Umgebung von Berlin mitgebracht. Der Herbst vor dem bitteren Blockadewinter 1948 überschüttete uns mit einem wahren Apfelsegen. Die besten Äpfel lagerte Mutti im Keller auf flachen Horden. Doch der Berg in der Küche wollte nicht kleiner werden. Omama schnippelte und erzählte Geschichten aus ihrer Kindheit im Sudetenland. Ab und zu verwandelte sie einen besonders schönen Apfel mit wenigen Stichen ins Fruchtfleisch in einen „Zauberapfel“, der uns immer wieder entzückte.

Manchmal, wenn Vati von der Arbeit in Siemensstadt ein paar alte Semmeln mitbrachte und Mutti von der Fürsorge in Lichtenrade Milch geholt hatte, machte Omama für uns alle Semmelbaba. Sie schnitt die trockenen Semmeln sorgsam in Scheiben und weichte sie in Milch ein. In einer sparsam mit Margarine ausgefetteten Kasserolle schichtete sie sorgsam die weichen Semmelscheiben und geschnittenen Äpfel aufeinander. Zum Schluss eine Schicht Apfel. Omama erzählte jedes Mal, wenn sie die Kasserolle in die „Röhre“ schob, dass früher eine Hand voll Rosinen unter die Schichten gemischt und obenauf ein wenig Zucker gestreut wurde. Ja, einige Flöckchen Butter gehörten auch noch darauf. Rosinen und Butter schienen uns eine paradiesische Köstlichkeit, die wir Kinder nicht kannten. Zucker gab es selten. Doch schon stieg ein wunderbarer Apfelgeruch, vermischt mit milchigem Dunst und einem Hauch frischer Semmeln, vom Herd auf. Wenn die Kasserolle nach einer halben Stunde aus der Röhre gezogen wurde, erfüllte der anheimelnde Duft die ganze Küche. Knusprig gebräunt und dampfend stand die Semmelbaba auf dem Herd. Sie sollte unsere ganze Familie für einen Tag satt und glücklich machen. Semmelbaba!

leicht gekürzt aus:
Evas Apfelbüchlein
hg. von: Evas Arche, Berlin
© bei der Autorin

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