„Weinende Traaaauuubeeeeen! Weieinende Traauubeeen!“ Wenn Serpil Pak diese Sprechgesänge hört, weiß sie, dass ihr Gemüsehändler an der Ecke Liebeskummer hat.
Allerdings muss man dazu sagen: Serpil Pak lebt zwar in Berlin-Neukölln, wo solche Verkaufsgesänge durchaus zu hören sind, sie selbst bringt diese aber als Kabarettistin auf die Bühne.
Das Zusammenleben von Deutschen und Türken nimmt Serpil Pak in ihrem Programm besonders gerne aufs Korn. Und Stoff dafür findet sie reichlich. Bis heute ist sie aber eine der wenigen türkisch-stämmigen Comedians in Deutschland, die sich damit einen Namen gemacht hat. Für ihr Programm schlüpft sie in die Rollen der Orientwalküre, Berufstürkin oder Sexkoryphäe. Serpil Pak spielt mit Klischees, passt aber selbst in keine Schublade. Sie ist nicht nur Wortakrobatin mit türkischen Wurzeln, sondern auch studierte Psychologin. Beide Karrieren wurden ihr so sicherlich nicht in die Wiege gelegt.
Wie sie zu der wurde, die sie heute ist, erzählt Serpil Pak in einem Café am Heinrichsplatz in Berlin-Kreuzberg. Im Gegensatz zu vielen anderen Kabarettistinnen, die bereits in der Schule als Klassenclownin auftraten, hatte Serpil Pak in ihrer Kindheit nicht so viel Raum für Spaß oder, wie sie es ausdrückt, „für Kartoffelsalat und Spiele“. Ihre Eltern wanderten in den 1960-er Jahren kurz nach ihrer Geburt nach Deutschland aus, und sie wuchs als so genanntes „Kofferkind“ bei ihren Großeltern auf. Auch die Schulzeit war kein Zuckerschlecken: In der Türkei waren Stockstrafen noch an der Tagesordnung. Im Ruhrgebiet war sie eine Außenseiterin in der Klasse, die an den langen Haaren gezogen wurde und, da sie zunächst noch kein Deutsch sprach, sich nicht wehren konnte. Doch „irgendwann konnte ich besser Deutsch als meine Eltern. So wurde ich dann mit zwölf Jahren Sozialarbeiterin. Ich begleitete nicht nur meine Eltern, sondern auch sämtliche Nachbarn und deren Freunde zu Behörden oder Anwälten. Und alle Nachbarinnen zum Frauenarzt, um zu übersetzen.“
Wenn Pak erzählt, benennt sie die schwierigen Seiten, setzt aber immer wieder lustige Pointen. „Ich bin am Schwarzen Meer geboren. Dort leben die türkischen Ostfriesen. Es gibt viele Witze über uns. Mein Vater war ein typischer Türken-Ostfriese. Vielleicht habe ich von ihm etwas geerbt“, überlegt sie. Ihr Humor ist eine Fähigkeit, von der sie heute beruflich lebt, der sie aber auch dorthin brachte, wo sie heute ist. Denn die Startbedingungen waren nicht einfach. Nach der neunten Klasse in der Hauptschule wollte sie die zehnte nicht anschließen. Sie hätte dann zugeben müssen, dass sie bei der Klassenfahrt nicht mitfahren darf. Nicht aus religiösen Gründen: „Meine Eltern waren einfache und konservative Türken, und in diesen Kreisen war eine Klassenfahrt nicht angesagt“, erzählt Pak. Deshalb bewarb sich die siebzehnjährige Serpil um eine Ausbildung im Groß- und Außenhandel.
Serpil Pak weiß noch heute, dass sie sich damals ihre Zukunft als unglückliche Mutter mit mehreren Kindern an der Hand vorstellte. Aus ihrer heutigen Sicht war es Zufall, wie ihr Lebens- und Bildungsweg weiter verlief. Als ihr die Ausbildungsstelle zugesagt wurde, sagte sie ab. Plötzlich war ihr klar geworden, dass sie dann die gleichen Arbeitszeiten wie ihre Eltern hätte, die in einer Schuhfabrik arbeiteten. Damit wäre ihr kleiner Freiraum, der in der Zeit zwischen Schulende und dem Heimkommen ihrer Eltern aus der Fabrik lag, dahin gewesen. So meldete sie sich auf der Handelsschule an, danach folgte die Höhere Handelsschule, und in der Abiturklasse war sie plötzlich Klassenbeste. „Ich war die einzige Türkin, die immer eine Eins in Deutsch hatte“, sagt die Kabarettistin, und es ist auch heute der virtuose Umgang mit Sprache, der ihr Comedy-Programm kennzeichnet.
Trotz der einfachen Verhältnisse, aus denen die Eltern stammten, war ihnen Bildung wichtig: „Meine Eltern haben das immer unterstützt. Die wollten ja, dass wir es einmal besser haben als sie, deshalb fanden sie Schule immer gut.“ In ihrem Dorf in der Nähe von Dortmund zeigten andere auf sie, weil sie die erste Türkin war, die Abitur machte. „Heute ist das völlig normal, dass Türkinnen Abitur machen. Bei uns war das noch etwas Neues“, erklärt die Wahl-Berlinerin. Dass Serpil Pak sich damit einen Zugang zu Hochschule und Studium schaffte, wusste sie nicht. Es war ihr Lehrer, der sie darauf aufmerksam machte, dass sie mit ihrem Notendurchschnitt sogar ein Numerus-Clausus-Fach studieren könne. „Etwas studieren zu können, was viele möchten, aber nicht alle können – das weckte meinen Ehrgeiz“, erzählt Pak und lacht. Sie wollte nun statt Germanistik und Philosophie den Menschen „als Ganzes“ erfassen und Medizin und Psychologie studieren. Letztendlich wurde sie Psychologiestudentin in Münster.
Mit Abschluss des Studiums übernahm Pak eine Leitungsfunktion in einer Einrichtung, die mit traumatisierten Frauen arbeitete. Kein leichtes Brot. Gleichzeitig tat sie sich mit Freundinnen zu einer Kabarettgruppe namens „Die Bodenkosmetikerinnen“ zusammen. Zwei von ihnen waren bereits Schauspielerinnen, die sich mit ihrem Theaterdirektor überworfen hatten, der meinte, er könne die besseren Stücke für Frauen schreiben. Die Gruppe schrieb nun ihre eigenen Geschichten. Mit ihrem Namen persiflierten sie das Klischee von der putzenden Türkin. „Wenn Sie als Ausländerin merken, Sie sind der deutschen Sprache mächtig und können damit auch noch spielen – und die Leute verstehen, um was es einem geht, dann ist das schon eine Befriedigung“, erklärt Pak.
Serpil Pak vollzog damit auch einen Perspektivwechsel: Sie war nun nicht mehr „die Ausländerin“ und damit Objekt von Zuschreibungen, sondern sie beschrieb ihre eigene Sichtweise – und hatte damit Erfolg. Auch hier erlangte die junge Sprachkünstlerin einen Zugewinn an Freiheit, denn sie konnte sich sowohl über Türken als auch über Deutsche lustig machen. „Die Deutschen sind ein sehr politisch korrektes Volk, aber dadurch gerät auch einiges unter die Räder. Political correctness lässt sich nicht immer mit Komik vereinbaren. Aber da hat sich die letzten Jahre auch viel getan“, erläutert Pak, die sich in ihrem Programm als „Passdeutsche mit Migrationshintergrund“ bezeichnet.
Serpil Pak ist immer froh, wenn auch Türken im Publikum sitzen, denn: „Es ist einfacher, Türken zum Lachen zu bringen. Die sind nicht politisch korrekt. Wenn die irgendwas hören, was sie komisch finden, dann lachen die sich tot. Auch über sich selbst. Deutsche zögern immer etwas und fragen sich, ob sie darüber lachen dürfen. Deshalb ist es immer einfacher, wenn in einer Vorstellung wenigstens drei Türken mit dabei sind. Sobald die Deutschen sehen, ok, die lachen auch, dann werden sie auch entspannter.“
Grundsätzlich schreibt Pak dem Lachen eine befreiende Wirkung zu – sei es in einer Therapie oder im Kabarett: „Humor ist ein Bewältigungsmechanismus, auf jeden Fall. Ich selbst habe auch schlimme Sachen erlebt. Mein Humor hat mir immer geholfen, das zu bewältigen. Auch in der Arbeit mit den Klientinnen habe ich immer versucht, auch die komischen Elemente zu integrieren.“
Heute empfindet Serpil Pak es als großen Reichtum, sowohl mit der deutschen als auch mit der türkischen Kultur so vertraut zu sein. Und sie empfiehlt jedem, eine weitere Sprache zu lernen und dadurch eine andere Kultur kennenzulernen. „Es ist das Doppelte an Verständnis, das man miteinander teilen und das man auch vermischen kann. Ich selbst mache viele Witze, die über die jeweilige Sprache laufen. Und ich liebe die deutsche Sprache, weil sie so präzise ist. Auch kann man unendlich viele Wortneuschöpfungen machen. Etwa ‚Preis-Leistungs-Verhältnis', so ein Wort gibt es in keiner anderen Sprache, das so kompakt ausdrückt, was gemeint ist.“ In Bezug auf die Integrationsdebatte verfolgt sie somit folgenden Ansatz: Es geht nicht um Anpassung, sondern darum, sich neue Welten zu erschließen. Ihre interkulturellen Kompetenzen gibt sie in Trainings weiter – in ihren Kursen sitzen nicht nur Jugendliche, sondern auch PolizistInnen oder RichterInnen.
Dass sich Serpil Pak ihr eigenes Universum geschaffen hat und damit sowohl bei sich als auch beim Publikum angekommen ist, realisierte sie erst spät. Als sie 2007 bei einer Preisverleihung hinter der Bühne stand und aufs Publikum schaute, wurde ihr klar, dass sie erfolgreich ist: „Da war ich schon 20 Jahre mit dem Kabarett unterwegs“, sagt Pak und lacht einmal mehr.
Dieser Erfolg war hart erarbeitet. Zunächst empfand die junge Psychologin ihre Arbeit als Therapeutin und Kabarettistin als Bereicherungen, die sich gegenseitig befruchteten: „Ich hatte eine volle Stelle, und jedes Wochenende bin ich zu irgendwelchen Auftritten gefahren. Beides hat sich gegenseitig gut getan. Ich war ja auch noch recht jung – was Sie da alles hören und sehen! Die Bühne hat mir da geholfen, einer gewissen Leichtigkeit Raum zu geben. Andererseits habe ich so gelernt, dass man auch mit schweren Themen nicht nur bierernst umgehen muss. Das war beides wichtig. Es gibt natürlich auch Themen, über die kann man nicht lachen, darüber kann man keine Witze machen.“ Nach elf Jahren war die Doppelbelastung zu viel: „Diese Jahre meines Lebens lesen sich wie das Tagebuch einer Workaholic. Wie ich das gemacht habe, weiß ich nicht mehr“, erinnert sie sich heute. Trotzdem bereut sie keinesfalls, diese Wege gegangen zu sein: „Wenn ich nicht Psychologin wäre, könnte ich nicht so gut auf die Bühne gehen und das machen, was ich jetzt mache. Sowohl im Psychologiestudium als auch im Schauspielstudium lernt man sich selbst kennen – wenn auch unter jeweils anderen Vorzeichen.“
Serpil Pak. Ein Name, den man sich merken sollte. Für alle, die Schwierigkeiten damit haben, hat Frau Pak noch einen Tipp aus ihrem Programm parat: Mein Name ist Serpil. Die Hauptsache ist, dass ihr wisst, dass ich eine Frau bin. Vielleicht könnt ihr euch meinen Namen nicht merken, aber ihr könnt einfach mal das „P“ und das „S“ vertauschen – aha, merkt ihr was? Heraus kommt „Persil“, euer bestes: nicht nur sauber, sondern rein. Und da sind wir praktischerweise auch schon bei meinem Nachnamen. „Pak“ heißt auf Türkisch „rein“.
Christine Müller, Jahrgang 1973, hat Literatur- und Medienwissenschaften, Soziologie und Grafik & Malerei studiert. Während des Studiums und danach war sie im Büro der Frauenbeauftragten der Philipps-Universität Marburg in der Öffentlichkeitsarbeit tätig. Seit 2002 arbeitet Christine Müller als Print- und Radiojournalistin in Berlin, besonders gerne zu feministischen Themen. Zudem bietet sie Medienworkshops für Kinder und Jugendliche an und übernimmt Aufträge als Bild- und Textredakteurin. Humor hat für Christine Müller viel mit Sprache und Wortwitz zu tun. Comedians, die sie immer zum Lachen bringen, sind etwa Helene Mierscheid oder auch Hape Kerkeling.
Mehr zur Autorin finden Sie unter:
www.cmuellerberlin.de; die Internetseite von Serpil Pak ist: www.serpil-pak.de.
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