Ausgabe 2 / 2007 Artikel von Jutta Geißler-Hehlke

Sex kaufen und verkaufen?

Denkanstößigkeiten

Von Jutta Geißler-Hehlke

Prostitution ist das Angebot und die Ausführung sexueller Dienstleistungen gegen Entgelt. Anlass zur Aufnahme der Tätigkeit als Prostituierte/r sind zumeist finanzielle und/oder emotionale Probleme, für die eine Lösungsmöglichkeit unter Zuhilfenahme des Prostitutionslohnes angestrebt wird.

Meistens haben Prostituierte den festen Vorsatz, diese Tätigkeit nur vorübergehend auszuüben – bis die Probleme geklärt sind.

Prostituierte

Obwohl Prostitution eine stark nachgefragte Dienstleistung ist, in der jährlich allein in der Bundesrepublik Milliarden umgesetzt werden, gehören Prostituierte zu einer gesellschaftlich tabuisierten Randgruppe. Sie werden von vielen Glaubensgemeinschaften verachtet. Vor Gericht werden Vergewaltigungen von Prostituierten häufig noch als minderschwerer Fall angesehen. Bei Offenlegung ihrer Erwerbstätigkeit sind Prostituierte vom Verlust der Achtung ihnen nahe stehender Personen bedroht: Es kommt vor, dass Partner sich von ihnen abwenden, Eltern ihre Töchter verstoßen, oder Kinder in schwere Identitätskrisen geraten, wenn sie von der Prostitutionstätigkeit ihrer Mütter erfahren. Prostituierte sind daher meist um Geheimhaltung bemüht und sehen sich gezwungen ein Doppelleben zu führen. So geraten sie schnell in Isolation und Abhängigkeit von Personen aus dem Milieu (z.B. Zuhälter).

Abgesehen von Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen wagt es kaum eine/r, offen Solidarität, Akzeptanz und Respekt für Prostituierte einzufordern. „Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt.“ Diesen oberflächlichen Satz sagen Männer oft, wenn sie versuchen, vor sich selbst oder anderen ihre Bordellgänge zu beschönigen. Frauen sagen ihn manchmal, um ihr heimliches Mitgefühl mit Prostituierten zu zeigen und sie ein wenig vor der Verachtung und Ausgrenzung zu schützen.

Frauen, die sich prostituieren, sind „schlechte Frauen“. Männer, die Sex kaufen, „sind nun mal so“, „die brauchen das eben“: Diese verbreitete Einstellung lebt von der Vorstellung, dass Frauen ihre Sexualität nur in einer engen, möglichst verbindlichen und monogamen Beziehung erleben möchten. Männer glauben das gerne. Möglicherweise trifft das auch auf viele Frauen zu – Bordelle, die versuchsweise mit dem Angebot von sexuellen Dienstleistungen an weibliche Kundschaft herangetreten sind, mussten einen Rückzieher machen: Es hat sich nicht gelohnt. Anscheinend können Kundinnen nicht das kaufen, was sie sich wünschen. Ein gut gebauter Körper und ausdauernde Potenz allein sind ihnen offensichtlich nicht genug. Ist anzunehmen, dass eine Frau, die über 300 Euro verfügt, um sich zu vergnügen, lieber zum Einkaufen geht als zu einem Prostituierten? Und wenn es ihr tatsächlich einmal ausschließlich um schnellen, unverbindlichen Sex geht, ist es nicht allzu schwierig, den kostenlos zu bekommen. Wenn sie klug ist, behält sie das allerdings für sich – sonst ist sie in den Augen anderer „ein Flittchen“ …

Prostitutionskunden

Prostitutionskunden werden seltsam losgelöst von der gekauften Dienstleistung gesehen. Männern billigt man zu, dass sie „Abwechslung brauchen“, von Natur aus polygam sind und gelegentlich „Druck ablassen“ müssen. Ihre Freunde – und auch Freundinnen – denken oft heimlich, dass es die Schuld der Partnerin sei, die zu prüde ist und ihn nicht „genug ranlässt“. Eigentlich seien sie ja bemitleidenswert, weil sie Sex kaufen müssen… So wird der Mann entlastet und weniger der Verachtung preisgegeben als die Prostituierte.

In Zweierbeziehungen wird „die Schuldfrage“ individuell geklärt. Ist ein Bordellbesuch nicht mehr zu leugnen, wird auch hier der Mann mit ähnlichen Ausflüchten kommen: „Du willst ja nicht so oft wie ich“, oder: „Du willst diese oder jene Praktik, die ich mir wünsche, nicht mit mir versuchen.“ Also ganz klar: die Partnerin hat versagt, der Bordellgänger „konnte gar nicht anders“. Tatsächlich aber heiraten Männer die Frauen, mit denen sie verheiratet sein wollen. Sie möchten gar nicht mit einer Frau verheiratet sein, die sie zweimal im Monat nackt an eine Heizung bindet und sie mit dem Kochlöffel verhaut. Sie wollen weder ihre Partnerin mit besonderen Forderungen erschrecken noch sich selbst herabwürdigen. Schon das Eingeständnis, dass ihnen hin und wieder eine außergewöhnliche Praktik oder ein Experiment große Freude machen könnte, würde die Beziehung verändern und das Machtgefüge in der Beziehung verschieben.

Was aber „bringt“ Prostitution den Kunden? Sexuelle Befriedigung wird sicher von den meisten Kunden erreicht. Abbau von Frustrationen und Wut kann auch gelingen. Die Prostituierte kann für einen Aufpreis stellvertretend „hart rangenommen“ und sogar beschimpft werden. Sie wird vorgeben Lust zu haben, abstrusen Behauptungen wahrscheinlich nicht widersprechen und kaum Verbesserungsvorschläge machen wie z.B. „Du musst aber mal zum Friseur“. Bezahlter Sex entbindet von Verpflichtungen wie Zärtlichkeiten vor und nach dem Akt, Eingehen auf die Bedürfnisse der Partnerin, mögliche feste Bindungen. Der Kunde kann sich völlig auf die eigene Befriedigung konzentrieren. Das ist entlastend und entspannt.

Hinzu kommt: Viele Männer können sich danach besser auf ihre Familienangehörigen, ihre Partnerin, ihre Kollegen einstellen. Sie sind toleranter zu ihren Schwiegereltern, lesen den Kindern vor und sind ausgeglichener in schwierigen Situationen. Ob das an der körperlichen Entspanntheit liegt oder an einem leisen Schuldgefühl, ist sicher individuell verschieden. Unbestreitbar ist, dass der Gang zu Prostituierten sich auch beruhigend auf ein Beziehungsgefüge auswirken kann. Dennoch ist es der überwiegenden Mehrheit der Prostitutionskunden nicht möglich, sich offen dazu zu bekennen. Auch in Männerkreisen ist es oft schwierig zuzugeben, dass man Sex kauft. Wenn ein Mann in der Partnerschaft zugibt Prostituierte aufzusuchen, muss er mit Sanktionen rechnen. Zumindest hat er kein Argument mehr, um die Treue der Partnerin einzufordern. Darauf legt er aber Wert, denn sonst ist sie „keine gute Frau“. „Du alte Hure“ ist immer noch eines der schlimmsten Schimpfwörter, die ein Mann einer Frau sagen kann. Das ist schon etwas lächerlich, wenn man bedenkt, wie viel Geld er möglicherweise ausgegeben hat, um „die Huren“ aufzusuchen, welche Ausreden und Lügen er sich ausgedacht hat, um Abwesenheit und erhöhte Ausgaben zu erklären…

Prostitution und Gewalt

Gewalt an Prostituierten wird ausgeübt durch Prostitutionskunden und durch Menschen, die vom Prostitutionslohn profitieren. Da ist zunächst physische Gewalt – etwa Vergewaltigungen, Nötigungen, unnötige Grobheit beim sexuellen Akt oder Prügel bis hin zu Tötungsversuchen. Hinzu kommt psychische Gewalt, etwa Demütigungen und Drohungen. Ursachen für solche Gewalt sind, neben der Verachtung der Frauen, deren mangelnder Schutz und die Vermutung, dass Prostituierte selten Anzeigen bei der Polizei erstatten und, wenn doch, Delikte an ihnen nicht besonders hart geahndet werden.

Häufig wird die These aufgestellt, dass es Prostituierte geben müsse, weil die Vergewaltigungen sonst zunähmen. Dahinter steht die so genannte „Dampfkesseltheorie“, die davon ausgeht, dass sich bei Männern ein sexueller Druck aufbaut, der zur Explosion (z.B. Vergewaltigungen) führen kann, wenn er nicht auf andere Art abgebaut wird. Das ist allerdings nicht bewiesen. Generell stimmt, dass bei sexueller Gewalt nicht das Ausleben der Sexualität, sondern die Machtausübung über eine Person und deren Demütigung zur (auch sexuellen) Befriedigung führt. Wenn solche Gewalt an einer Frau ausgeübt wird, die man dafür bezahlen muss, wird der Gewalttäter sicher nicht den Grad der Befriedigung erreichen, wie bei einem erschrockenen und ängstlichen Opfer. Es ist eine erschreckende Vorstellung, dass Frauen sich ständig in der Gegenwart eines anderen Geschlechts befinden könnten, das völlig unvorhersehbar plötzlich explodiert und sexuell gewalttätig wird. Dass dafür aber andere Frauen bereitgestellt werden, die gegen Bezahlung diesen „Druck“ abfangen, ist eine höchst perverse Überlegung, die auch der männlichen Sexualität nicht wirklich gerecht wird.

Sexuelle Bedürfnisse und Prostitution

Prostituierte unterscheiden sich in ihren Bedürfnissen nicht von anderen Frauen. Obwohl sie ihre Kunden gerne glauben lassen, dass sie sexuell von ihnen erregt und befriedigt werden, ist das fast nie der Fall. Natürlich wird ein gesunder Körper in einer sexuell aufgeladenen Atmosphäre und bei sexuellen Handlungen auch manchmal zum Orgasmus kommen. Die Regel ist es nicht. Die Liebe von Prostituierten ist nicht käuflich. Prostituierte lieben – wie andere Menschen – ihre Partner, ihre Eltern und Kinder, ihre Freundinnen und Freunde und ihre Haustiere. Sie üben ihre Tätigkeit nicht aus sexueller Geilheit aus, sondern sie verdienen mit Prostitution ihren Lebensunterhalt.

Bleibt die Frage: Ist Prostitution eine legitime Möglichkeit, sexuelle Bedürfnisse zu befriedigen, Sehnsüchte zu erfüllen oder empfundene Defizite wie Einsamkeit, mangelnde Attraktivität oder körperliche und seelische Behinderungen auszugleichen? Sofern zwei erwachsene Partner eine freiwillige Übereinkunft über Leistung und Bezahlung treffen, kann diese Frage nur individuell gestellt und beantwortet werden. Welche/r Außenstehende will entscheiden, ob ein Behinderter seine Sexualität gegen Bezahlung ausleben und so versuchen darf, seine Träume zu verwirklichen? Wer will einen Witwer oder einen verlassenen Mann verdammen, der hier Trost und Ablenkung zu finden versucht? Wer will ernsthaft den Mann belehren, der seine Frau nicht mit seinen, von ihr als pervers empfundenen, sexuellen Wünschen belästigen will und zu einer Prostituierten geht? Oder den jungen Mann verachten, der dort Erfahrung sammeln möchte, um seiner Liebsten beim ersten Mal nicht weh zu tun? Jede/r Einzelne mit ihren oder seinen persönlichen Gründen muss diese Frage für sich beantworten – und sie vor sich, vor dem/der PartnerIn und letztlich vor Gott verantworten.

Für die Arbeit in der Gruppe:

Ziel: Die Teilnehmerinnen werden sich über ihre persönliche Einstellung zu Prostitution klar und werden motiviert, Stellung zum Thema zu nehmen.

Material:
– Papier, Kugelschreiber, einige dickere Filzstifte
– Plakat mit der Überschrift: „Warum gehen Männer zu Prostituierten?“
– Sexhefte, z.B. „Rhein-Ruhr-intim“, „Happy Weekend“ oder, ästhetischer,
   „Playboy“ (mindestens eins pro 2-3 Teilnehmerinnen)
– Bilder, z.B. aus Zeitschriften, die romantische Szenen / (für die Gruppe
   verträgliche) sexuelle Motive zeigen (mindestens in der Anzahl der
   Teilnehmerinnen, besser mehr)
– evtl. CD mit romantischer Musik

Zeit: möglichst zwei Treffen je 2 Stunden

Ablauf:

Einführung: Die Leiterin führt kurz in das Thema „Sexualität und Prostitution“ ein – etwa mit dem Hinweis, dass „das älteste Gewerbe der Welt“ offenkundig ein sehr weit verbreitetes Phänomen ist, über das jede/r sich so seine Gedanken macht, über das man/frau in der Regel aber nicht miteinander redet.

Sexualität und Prostitution

1 Die Leiterin legt die Bilder mit den „romantischen Motiven“ in die Mitte. Sie gibt die Frage in den Raum: Was ist für mich schön, wichtig und anregend in der Sexualität? Die Teilnehmerinnen werden gebeten, sich je ein Bild auszusuchen, das etwas von dem zeigt, was für sie persönlich schön, wichtig, anregend in der Sexualität ist. Während im Hintergrund evtl. leise Musik läuft, können die Frauen ihren Gedanken nachhängen und sie, wenn sie wollen, auf den bereitliegenden Zetteln notieren. Nach ca. 10 Minuten werden die Frauen eingeladen (nicht gedrängt!), so viel, wie sie mögen, von ihren Gedanken mitzuteilen.

2 Die Leiterin gibt die Sexhefte zum Durchblättern in die Runde mit der Frage: Warum gehen Männer zu Prostituierten? Nach einigen Minuten bittet die Leiterin die Teilnehmerinnen, ihre Vermutungen zu äußern – die werden (unkommentiert) in Stichworten auf dem Plakat notiert. In das anschließende Gespräch bringt die Leiterin Aspekte aus dem Text oben ein.

3 Dieser Schritt sollte nur angeboten werden, wenn die Leiterin ihre Gruppe sehr gut kennt und sich in der Lage fühlt, eventuelle heftige Reaktionen aufzufangen: Denke ich, dass mein Mann / Partner auch zu Prostituierten geht? Und was macht das mit mir?

4 Die Leiterin lädt die Frauen ein, für einige Minuten alles bisher Gelernte und Gedachte „aus dem Kopf zu tun“ und sich zu fragen: Könnte ich mir vorstellen, selber eine sexuelle Dienstleistung zu kaufen? Was wünsche ich mir? Wie müsste der Ablauf sein? Evtl. leise Musik im Hintergrund; Zettel und Stifte anbieten, auf denen die Frauen Gedanken notieren können. In den meisten Gruppen werden die Frauen auf keinen Fall bereit sein, solche Vorstellungen zu äußern und miteinander zu besprechen; ggf. müsste die Leiterin vorab klarstellen, dass sich an diesen Schritt kein Austausch anschließt, bzw. ein Gespräch über diese Fragen nur auf ausdrücklichen Wunsch der Gruppe zustande kommen wird.

Als Prostituierte arbeiten

1 Die Leiterin gibt die Frage in die Runde: Wie stelle ich mir das Leben einer Prostituierten vor: Welche Sorgen hat sie? Was macht ihr Freude? Die Frauen denken in 3er- oder 4er-Gruppen nach und notieren ihre Antworten auf verschieden farbigen Zetteln (z.B. Sorgen auf „rot“, Freuden auf „grün“). Nach ca. 20 Minuten werden die Ergebnisse zusammengetragen. Die Leiterin ergänzt evtl. aus dem Text oben und aus dem Beitrag „Familie, Freunde, Kirche, Beruf“ (Printausgabe S. 56ff).

2 Wenn die Gruppe sich intensiver mit dieser Frage auseinandersetzen möchte, sollte für ein weiteres Treffen z.B. eine Frau aus einer Beratungsstelle eingeladen werden. (Liste von Fachberatungsstellen können AbonnentInnen unter „Service“ herunterladen; siehe auch: www.kok-buero.de)

3 Die Leiterin gibt die Frage in die Runde: Unter welchen Umständen könnte ich mir vorstellen, selbst als Prostituierte zu arbeiten? Sie legt ein Plakat in die Mitte, auf dem mit Spiegelstrichen bereits einige denkbare Antworten stehen, z.B.: aus Neugier und Abenteuerlust / zur Erfüllung von ansonsten unerfüllbar erscheinenden materiellen Wünschen / in Notlagen, etwa im Krieg, damit die Kinder nicht verhungern / um zu überleben, weil ich in der Gewalt von anderen Personen bin… Die Leiterin bittet die Frauen, zunächst (ca. 10 Minuten) über die auf dem Plakat genannten und mögliche andere Gründe nachzudenken. Anschließend werden weitere Spiegelstriche gesammelt – dann werden die Frauen gebeten zu diskutieren. Die Leiterin achtet strikt darauf, dass unterschiedliche Meinungen geäußert werden können.

Die Leiterin bittet die Teilnehmerinnen, sich in Kleingruppen mit folgenden Fragen auseinanderzusetzen (pro Frage 1 Gruppe): Wenn ich der Prostitution nachgehen würde:
– Welche Arbeitsbedingungen würde ich mir wünschen?
– Welchen gesetzlichen Schutz  würde ich mir wünschen?
– Welche gesellschaftliche Akzeptanz würde ich fordern?
– Welche Reaktionen meines persönlichen Umfeldes (Familie, Nachbarschaft,
   Gemeinde) würde ich erwarten bzw. erhoffen?

Nach dem Zusammentragen im Plenum entwickelt die Gruppe Forderungen zum Schutz und für menschenwürdige Arbeitsbedingungen von Prostituierten. Hat sich die Gruppe entschlossen, für die Weiterarbeit am Thema eine Referentin einzuladen, sollte diese Aufstellung auf jeden Fall mit ihr besprochen werden.

Jutta Geißler-Hehlke, 59 Jahre, ist Sozialarbeiterin. Sie ist die Leiterin der Dortmunder Mitternachtsmission, einer Beratungsstelle für Prostituierte, ehemalige Prostituierte und Opfer von Menschenhandel. Die Beratungsstelle hatte in 2006 über 1.500 Klientinnen.

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