Ausgabe 2 / 2010 Material von Katharina Friebe

She died for love and he for glory?

Von Katharina Friebe


Die meisten bekannten Kulturen kannten und kennen die intensive Debatte über die Möglichkeit, sich selbst zu töten. Die Gründe für einen Suizid, die zu Beginn der christlichen Zeitrechnung als akzeptabel galten, unterschieden klar zwischen Männern und Frauen. Während Männer sich töteten, um der Gefangenennahme und anderer unehrenhafter Zustände zu entgehen, war die Selbsttötung von Frauen vor allem den Situationen vorbehalten, in denen ihr Körper geschändet zu werden drohte.
Unter den ersten Christinnen und Christen war ein Suizid als Ausweg aus einer Verfolgungssituation zumindest nicht verboten. Ungefähr mit Augustin (354-430) aber änderte sich die theologische Einschätzung. Menschen, die sich selbst töteten, waren nun die schlimmsten Sünder. Anders als ein Mörder, der „nur“ den Körper töte, töte ein „Selbstmörder“(1) seinen Körper und seine Seele und schließe sich damit selbst von der Gnade Gottes aus. Damit einher gingen kirchen- und landrechtliche Verwerfungen, als deren Ergebnis ein Mensch nach dem Tod durch die eigene Hand nicht mehr beerdigt, der Besitz gepfändet und die Leiche geschändet wurde. Überlebende eines Suizidversuchs wurden zum Tod durch Hängen oder Verbrennen verurteilt.
Erst die Erkenntnisse der Soziologie und Psychologie in der Mitte des 20. Jahrhunderts führten auch in der Theologie zu einer Entschuldung des Suizids, so dass er nicht mehr als bewusste Abwendung von Gott, sondern einzig als Ausdruck und Ergebnis einer krankhaften Entwicklung nicht mehr verantwortungsfähiger Personen betrachtet wurde. Diese Sicht ließ wieder eine kirchliche Beerdigung von Suizidenten zu, zugleich aber wurde die Verzweiflung, die zumindest in Abstufungen alle Menschen kennen und die in einer oft ungeahnten Tiefe einem Suizid zu Grunde liegt, pathologisiert und ausgegrenzt und so aus dem Alltag der Menschen entfernt. Demgegenüber zeigen soziologische und psychologische Untersuchungen auf, dass über 85 Prozent der Menschen in Krisensituationen schon einmal an eine Selbsttötung gedacht haben. Bei Menschen bis 50 Jahren ist Suizid eine der häufigsten Todesursachen (bei Jugendlichen häufiger als ein Tod durch Unfall), mit zunehmendem Alter steigen die absoluten Zahlen rapide an. Dabei ist der Anteil der Frauen am Suizid im Vergleich zu Männern sehr niedrig (Verhältnis 1 zu 3); sie vor allem vergiften sich im hohen Alter, wenn sie ihren Partner überlebt und Angst vor Abhängigkeit haben.
Auf einen „erfolgreichen“ Suizid kommen 10 bis 15 Suizidversuche – die Dunkelziffer ist sehr hoch. Bei den Suizidversuchen ist das Geschlechterverhältnis umgekehrt: auf fünf Versuche einer Frau entfällt ein Versuch eines Mannes. Dies liegt u.a. daran, dass Frauen häufiger „weiche“ Methoden nutzen und daher häufiger überleben. Die „küchenpsychologische“ Erklärung, dass viele Frauen einen Suizidversuch als starken Appell einsetzen und „eigentlich“ gar nicht sterben wollen, konnte bislang nicht belegt werden. Eine effektive Suizidprophylaxe weicht daher von den gängigen Erklärungsmustern ab, nach denen Frauen aufgrund von Beziehungsproblemen, die zudem noch auf weibliche Charaktereigenschaften wie Schwäche oder Abhängigkeit zurückgeführt werden, Männer aber aufgrund ernsthafter Probleme selbsttätig aus dem Leben scheiden.
Theologisch setzt sich zunehmend die Sicht durch, dass Gott sich gerade den Bedürftigen, Schwachen und Hilfesuchenden zuwendet und es eine Konterkarierung des Evangeliums wäre, Suizidentinnen und Suizidenten die Gnade Gottes zu verwehren. Gabriele Arnold hat in einer Beerdigungsansprache Gott mit Eltern erwachsener Kinder verglichen, die diesen in Krisensituationen immer einen Zufluchtsplatz bieten, auch wenn sie nicht unbedingt glücklich über einen solchen „Rückzug“ sind. Sie stellt sich vor, dass Gott bei einem Suizid auch diese Verstorbene mit weit geöffneten Armen empfängt und sagt: „Wenn du nicht mehr kannst, dann komm eben wieder nach Hause.“(2)

Anmerkungen:
1
Die Worte „Selbstmord“ und „Selbstmörder/in“ werden in der Fachdiskussion weitgehend vermieden, da der Begriff „Mord“ suggeriert, dass es sich um eine Tat aus niedrigen Beweggründen (vgl. §211 StGB) handelt.
2 Vgl. Gabriele Arnold, in: Sabine Bäuerle, Elisabeth Müller (Hrsg.): Der Kreis des Lebens hat sich geschlossen. Feministisch-theologischer Umgang mit Tod und Sterben in der Gemeindepraxis. Sonderausgabe 1 zur Schlangenbrut. Streitschrift für feministisch und religiös interessierte Frauen. Münster 1999, S. 19

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