Ausgabe 1 / 2019 Bibelarbeit von Urte Bejick

#SheToo – Vashti

Wie Weigerung zum Politikum wird

Von Urte Bejick

Das Buch Ester erzählt von einem üppigen Fest des Königspaares im alten Persien (Est 1,1-22). Es beginnt wie im Märchen: „Es war zur Zeit des Artaxerxes…“

Es war zur Zeit des Artaxerxes, jenes Artaxerxes, der von Indien bis Kusch über hundertsiebenundzwanzig Provinzen herrschte. Drei Jahre, nachdem König Artaxerxes in der Burg Susa den Thron seines Reiches bestiegen hatte, gab er ein Festmahl für alle seine Fürsten und Beamten… und er stellte viele Tage lang seinen ganzen Reichtum und seine königliche Pracht, seine Herrlichkeit und seinen ungeheuren Prunk zur Schau, hundertachtzig Tage lang.

Am Ende dieser Tage gab der König allen, die in der Burg Susa waren, vom Größten bis zum Geringsten, sieben Tage lang im Hofgarten des Palastes ein Festmahl. Weißes Leinen, violetter Purpurstoff und andere feine Gewebe waren mit weißen und roten Schnüren in silbernen Ringen an Alabastersäulen aufgehängt. Auf dem Mosaikboden aus Alabaster, weißem und buntem Marmor und Perlmuttsteinen standen goldene und silberne Ruhelager. Man trank aus goldenen Gefäßen, von denen keines den andern gleich war. Großzügig ließ der König seinen Wein ausschenken. … Auch Königin Vashti gab ein Festmahl für die Frauen, die im Palast des Königs Artaxerxes lebten.

Als König Artaxerxes am siebten Tag vom Wein angeheitert war, befahl er Mehuman, Biseta, Harbona, Bigta, Abagta, Setar und Karkas, den sieben Hofbeamten, die ihn persönlich bedienten, die Königin Vashti im königlichen Diadem vor ihn zu bringen, damit das Volk und die Fürsten ihre Schönheit bewunderten; denn sie war sehr schön.

Aber die Königin Vashti weigerte sich, dem Befehl des Königs, den die Hofbeamten überbracht hatten, zu folgen und zu kommen.

Eigentlich hätte alles so schön sein können. Die Männer feiern für sich, und die Frauen feiern in einem abgetrennten Bereich. Und dann, nach sieben Tagen, könnte diese Mauer endlich fallen. Reich und Gering dürfen zusammen feiern, soziale Unterschiede für ein paar Tage vergessen. Warum sollte da die strikte Trennung zwischen Männern und Frauen bestehen bleiben? Und dann weigert sich die Königin zu erscheinen! Sie will sich nicht zeigen, auch nicht mit den Insignien ihrer Macht.

Wo ist die oft so schmale Grenze zwischen dem bewundernden Blick und Besitzerstolz? Vashti muss es gespürt haben: Hier ist ein Mann nicht einfach nur stolz auf seine Gefährtin, bezaubert von ihrer Schönheit. Nein, hier soll sie vorgeführt werden wie der übrige reiche Besitz. „Potiche“, die „Schmuckvase“, werden in Frankreich Frauen genannt, die wohlhabende Männer „zum Vorzeigen“ geehelicht haben. Vashti wehrt sich. Ist das wirklich klug? Hätte sie sich nicht kurz zeigen können – wohl wissend, dass es unter dem Schutz „ihres“ Mannes niemand wagen würde, sie zu belästigen? Und sie hätte sich ja auch voller Stolz in ihrer Schönheit und dem königlichen Schmuck zeigen können. Manche Frau nimmt es ja bis heute als Kompliment, als Zeichen des Begehrens, wenn Männer und Jungen sie anstarren, ihnen hinterher rufen oder pfeifen. Mann nennt das „die Waffen einer Frau“. Wie armselig dieses Papp-Schwertchen gegen ein ganzes Arsenal ist, zeigt der Fortgang der Geschichte.

Da wurde der König erbost und es packte ihn großer Zorn.

Ja darf man denn als Mann nicht mal mehr stolz sein auf die eigene Frau? Ist das jetzt auch schon verboten? Soll es kein lockendes, flirrendes Augenspiel mehr geben, auch keine Mehrdeutigkeit zwischen den Geschlechtern? Dann gute Nacht! Jetzt will es der König wissen:

Er besprach sich mit den Weisen, die sich in der Geschichte auskennen. … Er fragte: Was soll man nach dem Gesetz mit der Königin Vashti tun, nachdem sie dem Befehl des Königs Artaxerxes, den ihr die Hofbeamten überbracht haben, nicht gefolgt ist?

Ach, darum geht es! Nicht einer freundlichen Einladung hat sich Vashti verweigert, sondern einem ehelichen Befehl. Auf Bayerisch: „Geh, Resi, jetzt kommst amal daher!“ So kann jedermann sich unter seinen Kumpels als König erweisen. Und eine Majestätsbeleidigung lässt die Männer sich in immer abstrusere Verschwörungstheorien versteigen:

Da sagte Memuchan zum König und zu den Fürsten: Nicht nur gegen den König, sondern auch gegen alle Fürsten und alle Völker, die in all den Provinzen des Königs Artaxerxes leben, hat sich Königin Vashti verfehlt.

Vashti, die Anstifterin! Vashti, die Verschwörerin gegen weiblichen Gehorsam in allen Provinzen des riesigen Perserreiches! Es geht nicht allein um persönliche Gekränktheit, sondern um das Ansehen des Königs unter den Männern. Durch das Vorzeigen seiner Frau will er zeigen, dass nicht nur Erbfolge und materieller Reichtum ihn über alle anderen erheben, sondern auch der „Besitz“ einer außerordentlich schönen Frau. Es geht nicht darum, die Frauen zum Fest zu laden, sondern um ein Machtspiel unter Männern. Ja, hätte sich die Königin gezeigt und sich als halb so schön erwiesen wie gedacht, man hätte unter der Hand gelacht. Aber dass die sich einfach weigert, das geht zu weit. Da müssen Männer zusammen halten!

Denn das Verhalten der Königin wird allen Frauen bekannt werden, und sie werden die Achtung vor ihren Ehemännern verlieren und sagen: König Artaxerxes befahl der Königin Vashti, vor ihm zu erscheinen; aber sie kam nicht. Von heute an werden alle Fürstinnen Persiens und Mediens, die vom Verhalten der Königin hören, dies allen Fürsten des Königs vorhalten, und es gibt viel Ärger und Verdruss.

Es geht jetzt nicht mehr um einen verkorksten Abend, es geht ums Ganze. Der König kann nicht mehr zurück, die Gruppe der ihn umgebenden Männer hat ihre eigene mächtige Dynamik entwickelt. Vom Alkohol befeuert, lassen die Männer ihrer Fantasie freien Lauf. Ein Vorschlag findet allgemeine Zustimmung:

Vashti darf dem König Artaxerxes nicht mehr unter die Augen treten. Der König aber verleihe den Rang der Königin einer anderen, die würdiger ist als sie. … Wenn die Anordnung, die der König erlässt, in seinem ganzen großen Reich bekannt wird, dann werden alle Frauen ihren Ehemännern, den vornehmsten wie den geringsten, die gebührende Achtung erweisen. Der Vorschlag gefiel dem König und den Fürsten, und der König handelte nach Memuchans Worten. Er sandte Schreiben an alle königlichen Provinzen, an jede Provinz in ihrer eigenen Schrift und an jedes Volk in seiner Sprache, damit alle Männer Herr in ihrem Haus blieben.

Die Würde der Frau ist ihr Gehorsam. Das hat schon was. Und so wird eine eheliche Unstimmigkeit zum Politikum. Vashtis Absetzung wird zum Exempel, das noch in der hintersten Provinz, im seltensten Dialekt verkündet wird. Andererseits: Wie labil muss die Macht des Königs gewesen sein, wenn sie so leicht zu gefährden war? Und was hätte aus Vashtis Anstiftung werden können, hätte sie nur genügend Freundinnen, Nachfolgerinnen und tapfere Gefährtinnen gehabt? Aber es ist ihr nicht gelungen, die Frauen zu mehr Stolz, zu offenem Widerstand gegen männliche Befehlsgewalt anzustiften. Jedenfalls erzählt die Bibel nichts dergleichen. Ihre Geschichte kann aber auch heute noch Frauen anstiften, als harmlos geltende „bewundernde“ Blicke kühl zu analysieren, anstatt sich nur darüber zu ärgern.

Alles beginnt eher harmlos: Der König will, dass seine schöne Frau sich zeigt. Bereits hier setzt Vashti eine Grenze. Das Folgende zeigt, dass es sich da nicht um überspannte Empfindlichkeit handelt – entscheidend ist, wie jetzt der König als Mann unter anderen Männern dasteht. Die Gruppe entfaltet eine rasant wachsende, unaufhaltsame Eigendynamik. Binnen kürzester Zeit wird Vashtis Weigerung zum Staatsakt, es droht, angestiftet durch ihr Verhalten, Verschwörung unter Frauen. Da wackelt nicht nur der Haussegen, sondern ein ganzes Weltreich. So werden Frauen in politisch instabilen oder sich rasch ändernden Zeiten weltweit zum Symbol – ihre „Ehre“ ist die Ehre des Staates, der Gesellschaft. Deshalb muss Mann ihren selbständigen Auftritt in der Öffentlichkeit einschränken: durch Anzüglichkeiten, durch sexuell getönte Übergriffe, durch häusliche Isolierung oder durch Erzeugung von Angst vor „Fremden“, vor denen nur die heimische Männerwelt schützen kann. Die Geschichte von Vashti macht die politische Dimension scheinbar privater Belästigungen deutlich. Stimmt schon: Vashti ist eine der Urmütter der #MeToo-Bewegung.

Für die Arbeit in der Gruppe

Zeit: 60 min

Lesen Sie die Bibelarbeit gemeinsam: Eine liest den Text der Bibelarbeit, eine andere die Zitate aus dem Buch Ester.

Vorschlag 1 von 3:

Tauschen Sie sich kurz aus: An welchen der Gedanken, die Ihnen beim Zuhören durch den Kopf gegangen sind, erinnern Sie sich gerade?

Probieren Sie Argumente aus: Wann beginnt Belästigung – und wie können Frauen darauf reagieren? Hat die #MeToo-Debatte nicht auch zu Überempfindlichkeiten geführt? Und ist manches an der ganzen Diskussion nicht sehr akademisch? Diese Einwände sind oft zu lesen oder zu hören. Vielleicht haben die Frauen, die mit Vashti feierten, sich ähnliches gefragt.

Fünf Frauen ziehen Zettel mit je einer der folgenden Rollen und tragen die unterschiedlichen Meinungen vor. Die Gruppe diskutiert die vorgetragenen Positionen.

Die Fürstin der Provinz Baktrien: Vashti, ich verstehe dich nicht. Also ich würde mich total freuen, wenn mein Mann so stolz auf mich wäre! Andere Männer sind eifersüchtig, sie sperren ihre Frauen in die hintersten Gemächer ein – und du darfst frei auftreten und dich zeigen. Sei doch froh, dass du so schön bist! Das hat dir immerhin die Mitregentschaft über ein Weltreich eingebracht!

Die Fürstin von Zilizien: Wenn du nicht gehst, schadest du uns allen! Ich weiß, das ist schon unangenehm, sich den angetrunkenen Männern zu zeigen. Aber da stehst du doch drüber. Du zeigst dich kurz, und dann gehst du wieder. Was die Männer sich denken, muss dich doch nicht interessieren. Der König ist zufrieden – und in einer stillen Stunde sagst du ihm, wie unangenehm dir dieser Auftritt in Wirklichkeit war. Mit Diplomatie kannst du viel mehr erreichen als mit Widerstand.

Die Fürstin von Parthien: Ja, mach das! Sag, du kommst nicht. Das Gesicht von meinem Mann, der dich abholen soll, möchte ich sehen! Vielleicht lernt der dann, dass auch ich einmal „Nein“ sagen könnte. Wir sind Fürstinnen! Und das Diadem ist kein Schmuckstück, sondern ein Zeichen, dass wir Macht haben. Das sollten wir immer bedenken und unsere Würde wahren.

Die Fürstin von Susa: Wenn du schon nicht an uns denkst, dann denk an dich. Du bist Königin! Und du kannst das alles verlieren – Einfluss, Reichtum, Sicherheit. Was heißt: Das ist es mir wert? Was wird denn aus deiner „inneren Freiheit“, wenn du in einem der düstersten Gemächer des Harems verschwindest? Nein, es lohnt sich nicht, sich deswegen zur Märtyrerin zu machen.

Die Dienerin: Die haben vielleicht Probleme! Die Königin ist mächtig, schön, reich und verwöhnt. Ich werde täglich von diesem widerlichen Verwalter bedrängt und betatscht. Denen von uns, die verheiratet sind, geht es auch nicht besser. Fast jede ist schon einmal von ihrem Mann geschlagen worden. Und die regt sich wegen ein paar anzüglicher Blicke auf! Wenn das für die schon eine Kränkung ist… – aber dass ich mit den anderen nach dem Fest hier tagelang sauber machen muss, darüber regt sich keine von den feinen Damen auf.

Überlegen Sie: Am Ende bezahlt Vashti ihren „Aufstand“ teuer. Sie verliert ihren Mann und ihre Position als Königin. Musste das so kommen? Was hätte vielleicht helfen können, damit ihr Widerstand erfolgreicher geworden wäre?

Vorschlag 2 von 3

Kennen Sie das? Das kleine Mädchen tanzt gerne selbstvergessen vor sich hin. „Jetzt zeig uns doch mal, wie schön du tanzen kannst“, fordern es die Eltern beim Verwandtenbesuch auf. Doch das Kind will nicht. Es hat die Lust am Tanzen und sich zeigen verloren. „Manchmal kann sie halt arg bockig sein…!“ „Sie / Er ist so gut im Rechnen! Sag doch mal: Was kommt nach 100?“ Auch hier mag ein kleines Mädchen, ein kleiner Junge sich unwohl fühlen. Die Eltern haben sicher nichts Böses im Sinn, wenn sie ihr Kind und seine Fähigkeiten „vorführen“ wollen. Und sicher kann das Kind auch nicht artikulieren, warum es jetzt nicht tanzen oder rechnen will. Es fühlt vielleicht nur, dass da irgendetwas nicht stimmt.

„Ist das jetzt schon Belästigung?“ Das fragen sich manche Frauen. „Der Mann hat mich ja nicht angefasst, nur geschaut. Ich mag es ehrlich gesagt ganz gerne, wenn Männer mich anschauen. Aber in dem Fall habe ich mich richtig unwohl gefühlt.“ – Kann ein bewundernder Blick unangenehm und anzüglich sein? Andererseits leben Menschen doch auch von Blicken – wohlwollenden, anerkennenden, bewundernden, ja, auch begehrlichen Blicken.

Tauschen Sie sich aus: Wo ist die Grenze zwischen einem aufmerksamen, anerkennenden und einem unangenehmen Blick? Wann fühlt es sich für mich gut an, angesehen zu werden? Wann fühlt es sich unangenehm an?

Und was ist „sexuelle Belästigung“? Geht es dabei um ein sexuelles Begehren, das einem anderen Menschen gegen dessen Willen aufgedrängt wird? Oder geht es um eine Machtdemonstration, die im Gewand sexuellen Begehrens verkleidet daherkommt? Was kann Vashtis Geschichte zur Klärung beitragen?

Vorschlag 3 von 3

Lassen Sie sich anstiften: Im Gedenken an Ester und ihren Pflegevater Mordechai und die Verhinderung eines Pogroms im Persischen Reich feiern Jüdinnen und Juden das Purimfest. Vashti hat keinen Gedenktag. Dabei kann sie durchaus als eine erste Anstifterin von #MeToo gelten. Vielleicht möchten Sie solch einen Vashti-Tag begehen oder ihre Geschichte zum Thema eines Gottesdienstes machen?
– Wo würden Sie den Tag oder Gottesdienst zeitlich ansiedeln?
– Welche Botschaft soll er übermitteln?
– Wie kann er gestaltet werden?
– Wer außer uns hätte vielleicht Lust mitzumachen?

Dr. Urte Bejick ist Theologin und war Referentin für Theologie und Seelsorge und Altenheimseelsorge im Diakonischen Werk Baden. Seit 2018 arbeitet sie als Referentin für Weltgebetstag und Ökumene bei den Evangelischen Frauen in Baden und ist zudem Bereichsleiterin Altenheimseelsorge im Evangelischen Oberkirchenrat Karlsruhe.

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