Gefahren im Internet – die gibt es sicher. Aber wer gut informiert ist, kann notfalls gegensteuern.
Wer den folgenden Satz verstanden hat, hat auch vom Internet schon viel verstanden: Wir sind nicht die Kundinnen, wir sind das Produkt. Viele Inhalte und Dienste im Netz sind auf den ersten Blick kostenlos, Googles Suchmaschine ebenso wie die Mitgliedschaft bei Facebook. Skypen und E-mailen kostet nichts, tausende Apps1 kriegt man geschenkt. Sogar journalistische Inhalte kann man fast unbegrenzt umsonst lesen. Bloß – wer zahlt das alles?
Die Währung des Internets sind Daten. Fast alle funktionierenden Geschäftsmodelle im Netz haben mit Werbung zu tun. Die Unternehmen möchten daher so viel wie möglich von ihren NutzerInnen wissen, um sie noch besser und gezielter ansprechen zu können. Oder um ihre Profile an Werbetreibende weiter zu verkaufen. Frei nach dem Motto: weiblich, ledig, jung sucht …
In ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen sichern sich viele amerikanische Unternehmen daher weitreichende Rechte zu, oft treten sie dabei den europäischen Verbraucher- und Datenschutz mit Füßen. Sie erlauben sich, in Adressbüchern zu schnüffeln, E-Mails mitzulesen, Kauf- und Surfverhalten auszuwerten. Generell gilt: Die Plattform macht die Spielregeln. Wer damit nicht einverstanden ist, dem bleibt nur die Verweigerung. Facebook zum Beispiel ändert alle paar Jahre seine Nutzungsbedingungen, meist zu Ungunsten des Datenschutzes oder der Privatsphäre der NutzerInnen. Erst kürzlich hat das soziale Netzwerk beschlossen, noch mehr sensible persönliche Daten seiner Mitglieder (darunter auch den geografischen Standort) zu erfassen und auszuwerten. Üblich ist auch, dass Plattformen sich langfristige Nutzungsrechte an Inhalten oder Fotos sichern. Was gespeichert wird, wo es gespeichert wird oder ob die Daten jemals wirklich gelöscht werden – darauf hat die einzelne Nutzerin im Zweifel keinen Einfluss.
Bei ihrer Speicherwut geht es den Unternehmen vor allem ums Sammeln und Auswerten der täglichen Datenströme. Big Data heißt das Schlagwort, das spätestens seit den Enthüllungen von Edward Snowden in den öffentlichen Sprachgebrauch übergangen ist – Datenmengen, die so groß sind oder sich so schnell verändern, dass ihnen mit den klassischen Methoden der Datenverarbeitung nicht beizukommen ist. Gegenwehr ist kaum möglich, schon gar nicht bei den Späh-Attacken der Geheimdienste, die gänzlich im Verborgenen stattfinden. Trotzdem sollte man gelegentlich kurz innehalten, bevor man auf „Akzeptieren“ klickt. Denn manchmal ist der Preis für einen vermeintlich kostenlosen Dienst wirklich unverschämt hoch.
Neulich auf einer Party, anwesend waren Singles und Akademiker mit Niveau. Gegenstand des Gesprächs: immer Ärger mit der Waschmaschine. „Da hab' ich einfach ‚Wäsche riecht muffig' gegoogelt.“ Die Umstehenden nicken verständnisvoll. Es folgen Anekdoten zum Thema Kühlschrankwasser, Kleidermotten, Fliesen schneiden. Tenor: Was wären wir ohne die Hilfe des großen Orakels?
Die Suchmaschine Google hat in Deutschland einen Marktanteil von rund 96 Prozent. Google, 1998 im Silicon Valley erfunden, hat es geschafft, sich innerhalb weniger Jahre mit einer bis dato völlig unbekannten Dienstleistung tief in die kulturelle Praxis unserer Gesellschaft einzugraben. Die Google-Gesellschaft zeichnet sich aus durch eine Mischung aus Neugier und Ungeduld. Gegoogelt wird dauernd, überall und nach allem. Nach Fakten und Gerüchten, nach Waren und Dienstleistungen, nach Rechtschreibung, Adressen, Zitaten. Die Antworten erwarten wir binnen Sekundenbruchteilen und in möglichst übersichtlichen, einfach rezipierbaren Formaten. Hat Google uns dieses Verhalten anerzogen? Oder haben umgekehrt Millionen begeisterter Nutzer die Differenzierung und Weiterentwicklung der Plattform erst vorangetrieben? Wer hat da wen dressiert?
Die Frage lässt sich nicht mehr beantworten. Aber die Auswirkungen sind überall sichtbar. Googles Ergebnislisten entscheiden längst über das Wohl und Wehe ganzer Wirtschaftszweige. Online-Shops, Versandhäuser, Handwerksbetriebe, Reiseanbieter sind empfindlich abhängig vom amerikanischen Marktführer. Denn wer bei den entscheidenden Suchbegriffen nicht unter den ersten Treffern ist, wird von potentiellen KundInnen schlicht nicht mehr wahrgenommen. Und selbst die, die nichts verkaufen wollen, schielen auf ihre Google-Rankings. Nicht nur PolitikerInnen und Prominente googlen ängstlich ihren eigenen Namen – immer in Sorge um ihre digitale Reputation, die wiederum deckungsgleich ist mit dem, was Google für die besten fünf bis zehn Treffer hält. Es ist so banal wie dramatisch: Wo alle alles googeln, sind alle auf die eine oder andere Weise von Google abhängig.
Sie suchten doch braune Wanderschuhe? Oder vielleicht einen passenden Rucksack? Eine praktische Regenjacke? – Kaum hat man ein wenig in einem Online-Shop gestöbert, schon scheint das ganze Internet aus persönlichen Werbebannern zu bestehen. Und die zeigen komischerweise immer genau die Produkte, für die man sich kurz vorher interessiert hatte.
„Re-Targeting“ heißt das Verfahren im Fachjargon der Werbebranche, wörtlich übersetzt in etwa „Wieder-zielen“. Gemeint ist, dass der potenziellen Kundin nach einer bereits erfolgten Suche immer wieder das vermeintliche Objekt ihrer Begierde unter die Nase gehalten wird. Es funktioniert, indem Shops und Suchmaschinen sogenannte Cookies in den Browser der NutzerInnen einschleusen. Cookies, zu Deutsch: Kekse, sind kleine Datenkrümel, anhand derer die Kundin später wiedererkannt werden kann. Cookies fängt man sich im Internet überall ein. Schon nach einer halben Stunde normalem Alltags-Surfen hat man Dutzende von ihnen auf dem Rechner. Einige stammen von Facebook oder Google, andere von Werbedienstleistern und Marketingfirmen wie Webtrekk oder nugg.ad, ein Unternehmen, das zu DHL gehört. Was wollen die alle?
Manche Cookies dienen der Wiedererkennung. Sie sorgen dafür, dass man KundInnendaten oder E-Mailadressen nicht immer wieder neu eintragen muss. Andere Cookies sind nötig, damit bestimmte Inhalte einer Webseite richtig dargestellt werden. Wieder andere dienen der personalisierten Werbung. Und dann gibt es auch noch Cookies, die Daten ausspähen sollen – indem sie beispielsweise dokumentieren, auf welchen Seiten im Internet sich eine Nutzerin bewegt und was sie dort tut. Wer seine Privatsphäre gegen solche Tracking-Cookies2 schützen will, kann in den Browser-Einstellungen3 ein Häkchen bei „Do not track“ („Verfolg mich nicht“) setzen. Die besuchten Webseiten erhalten dann einen Hinweis, dass die Nutzerin es nicht schätzt, beobachtet zu werden. Ob die Webseitenbetreiber sich allerdings daran halten, lässt sich schwer kontrollieren.
VerbraucherInnen, die großen Wert auf anonymes Surfen legen, bleibt daher nur der aktive Selbstschutz. Möglichkeiten gibt es einige: Man kann eine Software wie Ghostery (kostenlos im Netz erhältlich) installieren, um unnötige Cookies zu blockieren. Kostenlose Säuberungsprogramme wie BetterPrivacy helfen außerdem, auch gut getarnte Cookies aus dem eigenen System zu löschen.
Der Hinweis „Das könnte Ihnen auch gefallen“ ist zu einem der wichtigsten Wegweiser durchs Internet geworden. Ihre persönlichen Präferenzen muss die Nutzerin dazu gar nicht mitteilen. Es reicht, wenn sie Konten eröffnet oder Cookies zulässt. Den Rest besorgen Statistiken und Datenbanken. Bei Amazon funktioniert das immer noch lächerlich simpel nach dem Motto: einmal Interesse an einem Kochbuch, immer Interesse an einem Kochbuch. Auf anderen Plattformen verläuft die Vorauswahl eleganter, manchmal sogar weitgehend unbemerkt. Facebook zum Beispiel gewichtet Nachrichten von Freunden nach „Relevanz“. Das funktioniert so: Klickt man nie auf die Mitteilungen von Freundin A, kann es sein, dass diese irgendwann aus dem eigenen Nachrichtenstrom verschwindet. So innig kann die Freundschaft wohl nicht sein, scheint der Algorithmus zu schlussfolgern.
Wo Aufmerksamkeit wertvoll und knapp ist, spricht eigentlich nichts gegen solche personalisierten Feinjustierungen. Warum soll mir ein Online-Shop nicht eine passende Bluse zur Hose anbieten? Oder der Buchhändler mich auf andere beliebte Titel eines bestimmten Genres aufmerksam machen? Gute Empfehlungen oder passende Links versprechen hohe Durchklickraten, lange Verweildauer, breite Zufriedenheit. Trotzdem mehrten sich in den vergangenen Jahren die kritischen Stimmen, die vor der sogenannten filter bubble („Filterblase“) warnten. Die Sorge galt nicht dem Datenschutz sondern der Vielseitigkeit. Was, wenn Google entscheidet, mir bestimmte Nachrichten gänzlich vorzuenthalten, weil ich ähnliche Themen in der Vergangenheit zu selten angeklickt habe? Oder wenn Facebook Bekanntschaften unterschlägt, weil sie offensichtlich nicht meiner politischen Meinung sind? Kurz: wenn ungewöhnliche Inhalte oder abweichende Perspektiven immer weiter aus meinem Blickfeld rücken? Weil alles, was das Internet mir vorsetzt, immer schon auf meine Interessensgebiete zugeschnitten ist. Klingt furchtbar langweilig – und wäre es vermutlich auch.
„Shitstorm“, wörtlich „Scheiße-Sturm“, war der Anglizismus des Jahres 2011. Gemeint ist die spontane Wutbürgerwelle im Internet. Und davon gibt es mittlerweile fast täglich eine neue. Meist trifft der Shitstorm die, die ohnehin im Rampenlicht stehen. Fast immer geschieht es unvorhersehbar. Bei PolitikerInnen oder Prominenten reicht manchmal schon ein Nebensatz in einem Interview, eine verrutschte Formulierung, ein einzelnes Reizwort – schon ist die Empörung auf allen Kanälen groß.
Die Gegenrede, die zum Shitstorm wird, lässt die argumentative Auseinandersetzung meist schnell hinter sich und mutiert zur wüsten Beschimpfung, zur persönlichen Diffamierung. Die Standardvorwürfe: keine Ahnung, selbst schuld, dumm, blöd, hässlich. Die Geschwindigkeit des Echtzeitmediums leistet der Entsachlichung Vorschub: Keiner will der letzte sein, der sich zu einem „Skandal“ äußert. Und wer sich dabei umgeben von Gleichgesinnten glaubt, die alle einen gemeinsamen Feind im Blick haben, schreit gleich noch ein bisschen lauter.
Die gute Nachricht: So schnell, wie der Sturm aufgezogen ist, legt er sich meist wieder. Im besten Falle setzt anschließend eine differenzierte Diskussion über den Grund der Empörung ein. Leider ist das nicht immer der Fall. Manchmal führen die gegenseitigen Unterstellungen lediglich zur Verhärtung der Fronten; alle fühlen sich in ihren jeweiligen Vorurteilen bestätigt. „Mit Gleichmut“, hat der Autor Sascha Lobo mal gesagt, überlebe man einen Shitstorm am besten. Für den einzelnen Betroffenen ist das vermutlich ein guter Rat. Für die demokratische Streitkultur allerdings ist es tödlich, wenn eine Seite nur noch schrill brüllt – und die andere sich pfeifend die Ohren zuhält.
„Cyberbullying“,4 in Deutschland eher unter dem Begriff „Cybermobbing“ bekannt, ist ein eher junges Phänomen. Seit Smartphones und Laptops die Kinderzimmer erobert haben, ist Kommunikation mit Gleichaltrigen immer und überall möglich. Das hat nicht nur Vorteile. Streitereien, Machtkämpfe und Hänseleien, wie sie in jeder Clique und auf jedem Schulhof vorkommen, können nun jederzeit ins Netz verlagert werden. Dort nehmen sie mitunter dramatische Ausmaße an – auch weil das Publikum größer ist und die technischen Möglichkeiten vielfältiger sind. Cybermobbing kennt viele Variationen: Belästigungen, Beschimpfungen, das Verbreiten von Gerüchten, das Hacken von Nutzerprofilen, die Androhung von Gewalt. Das Phänomen ist an keine Plattform gebunden, es kann bei Facebook ebenso passieren wie per WhatsApp – eben überall, wo gequatscht, gepostet5 und kommentiert wird.
Laut der Studie Jugend, Information, Multimedia 2013, die die Mediennutzung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 12 und 19 Jahren untersucht hat, haben zwölf Prozent aller Befragten bereits die Erfahrung gemacht, dass Unwahrheiten über sie im Netz verbreitet wurden. Rund 20 Prozent geben an, dass gegen ihren Willen peinliche Fotos von ihnen veröffentlicht wurden. Und fast ein Drittel bestätigte, dass in ihrem Bekanntenkreis schon einmal jemand per Handy oder Internet „fertiggemacht“ wurde.
Nur wenige Eltern fühlen sich ausreichend informiert und unterstützt. Vor allem seitens der Schulen wünschen sie sich mehr Aufklärung. Dabei ist in den vergangenen Jahren viel passiert. Dutzende Pilotprojekte wurden ins Leben gerufen, an zahlreichen Schulen haben Workshops und Projekttage stattgefunden, die die soziale Medienkompetenz der SchülerInnen fördern sollen. Doch die Nachfrage ist überall größer als das Angebot. Und viele Projekte werden nur über kurze Zeiträume finanziert.
Neben den Tipps und Informationen, die im Internet verfügbar sind, gibt es mittlerweile einen weiteren Baustein in der Präventionsarbeit. Die Jugendlichen selbst werden zu HelferInnen ausgebildet. Denn oft ist die Hemmschwelle bei den Opfern groß, sich an Erwachsene zu wenden. Sie fürchten, dass alles noch peinlicher wird. Oder dass die panischen Eltern sofort Kontakt zu den Eltern der TäterInnen suchen. In Hessen etwa werden Jugendliche zu „Digitalen Helden“ geschult, die an ihren Schulen als MentorInnen tätig werden. In anderen Bundesländern finanzieren die Landesmedienanstalten so genannte „Medienscout“-Programme. Ältere SchülerInnen, die eine Weiterbildung durchlaufen haben, sollen die jüngeren sensibilisieren. Erst nachdenken, dann posten – das ist dabei ihre wichtigste Botschaft.
Dr. Astrid Herbold, geb. 1973, hat Germanistik und Geschichte studiert. Die freie Journalistin schreibt Bücher und Beiträge für verschiedene große Zeitungen. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin. – mehr unter: www.astrid-herbold.de
Anmerkungen
1) Eine App („Applikation“) ist ein zusätzlicher kleiner Programm-Baustein für internetfähige Mobilgeräte wie Smartphones und Tablet-Computer, mit dessen Hilfe z.B. eine Verbindung zum Fahrplan der Bahn hergestellt werden kann – und zur Information, wie viel Verspätung der Zug gerade hat.
2) wörtlich: tracking, von engl. track = Spur, steht hier für „Spur verfolgen“, „verfolgt werden“
3) Browser (von engl. to browse – stöbern, schmökern, auch ‚abgrasen') sind Computerprogramme zur Darstellung von Webseiten im Netz.
4) engl. bully bedeutet schikanieren, einschüchtern. Was hingegen Cyber heißt, weiß niemand so genau. Die Süddeutsche Zeitung schreibt: „Wer sich auf die Suche nach dem Ursprung des Begriffes Cyber macht, sollte hartnäckig sein. Eine genaue und eindeutige Erklärung liefern weder der Duden noch das ach so cybermäßige Google. Und das, obwohl der Begriff ziemlich häufig auftaucht, wenn es um Phänomene geht, die mit dem Internet zusammenhängen.“– spannend weiterzulesen unter jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/539102/Wort-ohne-Bedeutung
5) engl. to post, mit der Post verschicken; hier: mit Fragen, Antworten, Kommentaren an Internetforen und Weblogs teilnehmen bzw. eigene Themen ins Netz stellen
Die letzte Ausgabe der leicht&SINN zum
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