Alle Ausgaben / 2014 Artikel von Inge Kirsner und Ludwig Laibacher

So himmelleicht und erdenschwer

Vom Lachen im Film und anderswo

Von Inge Kirsner und Ludwig Laibacher


„Josephina kam es so vor, als flösse ihr Regenkühle durch die Adern, sie konnte den Blick nicht losreißen von dem strömenden Himmel – und der wogende, hingebungsvolle Regen war so angenehm, so rührend erzitterte das Blatt, dass sie am liebsten gelacht hätte, Lachen erfüllte sie, war aber noch tonlos, überschwemmte den Körper, kitzelte den Gaumen – gleich würde es herausplatzen …

Beim Anblick des schwarzen Rückens von Mlle. Finard, der rutschenden Beine und der Knopfstiefeletten ließ Josephina das Lachen aus sich herausbrechen, sie schüttelte sich, gurrend und keuchend, unter ihrem Federbett, da sie fühlte, dass sie auferstanden war, dass sie zurückgekehrt war von weit her, aus dem Nebel des Glücks, der Wunder und der österlichen Heiterkeit.“

Vladimir Nabokov schildert die Genesung der Josephina Lwowna nach einer lebensgefährlichen Krankheit in seiner Erzählung „Osterregen“1 als Auferstehung, besiegelt durch ein Osterlachen, das ebenso überraschend kommt wie das „Happy End“. Der geschilderte kurze Ausschnitt aus dem Leben der „alten und alleinstehenden Schweizerin“ bietet wenig Erheiterndes und Fröhliches, vielmehr merkt die alte Dame, dass ihr zu spät bewusst wird: Das ungeliebte Arbeits-„Exil“ in Russland hat ihr mehr Heimat geschenkt als ihr eigentliches Heimatland. Nun aber, mit ihrem Lachen, scheint sie wieder angekommen zu sein und ihr Leben in der Schweiz, in dem sie niemanden hat außer einer alten Leidensgenossin, neu aufzunehmen.


Lachen – Waffe der Unterdrückten

Der Tod und das Lachen sind enger miteinander verwandt, als man zunächst denken könnte. „Wer zuletzt lacht …“ – das war, so kann man zuspitzen, letztlich immer der Tod. Das Osterlachen aber ist eines, das den Sieg des Lebens über den Tod zeigt und körperlich zum Ausdruck bringt. Der Zug des Lebens von Radu Mihaileanu2 ist ein solcher „Osterzug“, der sich angesichts des – wie sich am Ende zeigt – unvermeidlichen Todes in Bewegung setzt und aberwitzige Kapriolen schlägt. Vor der angedrohten, tatsächlichen Deportation beschließt 1941 ein ganzes jüdisches osteuropäisches Schtetl, sich lieber selbst zu deportieren – die Hälfte der Bevölkerung wird „deutscher Soldat“ spielen und muss dazu Deutsch lernen:

Mordechai: Freund-schäft-liche Beziehung.
Schmecht: Freundschaftliche Beziehung.
Mordechai: Ich schaff's nicht. Warum ist es nur so schwer? Obwohl, … es ist dem Jiddischen sehr ähnlich. Ich verstehe alles.
Schmecht: Das Deutsche ist sehr hart, Mordechai, … präzise und traurig. Jiddisch ist eine Parodie des Deutschen. Hat jedoch obendrein Humor. Ich verlange also nur von Ihnen, wenn Sie perfekt Deutsch sprechen wollen, ohne eine Spur von jiddischem Akzent, den Humor wegzulassen. Sonst nichts.
Mordechai: Wissen die Deutschen, dass wir ihre Sprache parodieren? Vielleicht ist das der Grund für den Krieg?“

Der Regisseur erzählt eine Alternativgeschichte – „Das ist die wahre Geschichte meines Schtetls – a no: fast die wahre“, sagt Schlomo, der ehemalige Dorfnarr, der die Idee zu der gelungenen Scheindeportation hatte, und der am Ende des Films in KZ-Häftlingskleidung zu sehen ist. Jüdischer Humor zeigt sich nicht als einer, der die Fakten leugnet, sondern der sich die Freiheit nimmt, mit der Wirklichkeit zu spielen und sie in einen größeren Kontext zu stellen, das heißt, auf seine Weise richtig zu stellen und eine Wahrheit zu zeigen, die das Paradoxe, das Absurde einschließt. Wer ist Sieger, wer ist Verlierer? Wer bleibt, als „moralischer Sieger“, in Erinnerung?

Der Humor, das Lachen ist die Waffe der Unterdrückten – wenn eine/r „birst vor Lachen“, heißt das auch, da wird etwas gesprengt, eine Konvention, eine starre Haltung. Lachen steckt an, macht verdächtig, was da eben noch unverrückbar als Wahrheit im Raume stand. Lachen vereint, verbindet, überwindet Grenzen, wie in Louis Malles Au revoir, les enfants.3 Bei einer Vorführung von Charlie Chaplins The Immigrant (1917) vereint das herzhafte gemeinsame Lachen die jungen mit den alten Internatszöglingen, die Priester mit den Schülern, den jüdischen Außenseiter Jean Bonnet mit den katholischen Jungen. Im besten Fall eines kollektiv erheitert-herausplatzenden Publikums kann es sogar zur Gemeinschaft einer überindividuellen Leiblichkeit kommen. Je voller der Saal, je lauter das Lachen, je enger das Publikum beisammen sitzt, desto radikaler dürften die Distanzen schrumpfen. Ein Wir-Gefühl durchflutet den Saal. Louis Malle unterstreicht das an mehreren Stellen durch ein verständnisvolles, sich gegenseitiges Anblicken und -lachen der Figuren während der Chaplin-Vorführung.4

Der Diktator – so sollte der Film von 1940, der neben Ernst Lubitschs Sein oder Nichtsein (1942) das waghalsigste Unternehmen darstellt, das Dritte Reich als Komödie zu zeigen – ursprünglich heißen. Doch war der Name „Der Diktator“ schon von einer anderen Filmfirma patentiert worden, und einem Plagiatsvorwurf entzog sich Chaplin durch das Attribut „Groß“. Schon im Titel liegt also eine Komik – denn sowohl der Diktator als auch sein Gegenspieler, der jüdische Friseur, beide gespielt von Chaplin, sind wie er ja ausgesprochen klein.

1937, als die Idee zum Film entstand, wusste Chaplin über sein Sujet nur Ungefähres. „Hätte ich etwas von dem Schrecken in den deutschen Konzentrationslagern gewusst, ich hätte The Great Dictator nicht zustande bringen, hätte mich über den mörderischen Wahnsinn der Nazis nicht lustig machen können. Aber ich wollte unbedingt ihren mystischen Unsinn über eine reinblütige Rasse zum Gespött werden lassen“, so sagt er später. Der englische Produzent Alexander Korda hatte Chaplin 1937 vorgeschlagen, einen Hitlerfilm zu machen, dessen Story sich um eine Personenverwechslung drehen solle, da Hitler denselben Schnurrbart habe wie der Tramp. Er meinte, Chaplin könne beide Personen darstellen – was er dann auch tat. Es sei seine persönliche Rache dafür, sagte er später, dass dieser Hitler ihm seinen Schnurrbart geklaut habe …

So viel zum Tod besiegenden, verbindenden, von Unterdrückung befreienden Lachen. Neben den negativen Seiten des Lachens – als Auslachen, als Hohnlachen – soll nun auch von seinen gefährlichen Seiten gesprochen werden.


In den Fängen der Gewalt

„Wer vom Lachen im Kino spricht, meint fast immer das Lachen über das Komische, das Lustige, das Witzige. Dabei muss es gar nicht immer komisch sein. Durch die Dunkelheit des Saals schallen aggressive, nervöse, degradierende, wertende, besserwisserische, peinlich berührte, angeekelte, irritierte, fröhlich angesteckte und schockierte Lacher. Das alles und noch viel mehr. Dabei sind viele Arten des Lachens als Reaktionen auf den Film oft überhaupt nur im sozialen Umfeld des Kinos möglich.“5 Wie gefährlich Lachen sein kann – diesmal Tod bringend – hat Umberto Eco in Der Name der Rose von 1980 eindrücklich beschrieben. Kongenial verfilmt wurde der Roman von Jean-Jacques Annaud (1986).

Wir schreiben das Jahr 1327. Der ehemalige Inquisitor William von Baskerville soll Mordfällen in einem italienischen Kloster auf die Spur kommen. Schließlich stößt er auf den greisen, fast blinden Jorge, der das womöglich einzig erhaltene Exemplar des „Zweiten Buches der Poetik“ des Aristoteles hütet, in dem – nach der Tragödie im ersten Teil – die Komödie behandelt wird. Jorge hält die darin vertretene positive Einstellung zur Freude und zum Lachen für derart gefährlich, dass er das Buch mit tödlichem Gift versehen hat. Er will es lieber vernichten, als es in fremde Hände fallen lassen. Warum hält er das Lachen für eine so gefährliche Angelegenheit?

Michel Houellebecq hat diesen Faden wieder aufgenommen, aber bei ihm gibt es eine zweifach gebrochene Pointe: In dem Roman Die Möglichkeit einer Insel, einer Art Sciencefiction, lässt er die einzige Figur aus der Jetztzeit, Daniel 1, darüber räsonieren, wie ihn das anwidert: „Nein, ich ertrug das Lachen nicht mehr, das Lachen als solches, diese plötzliche, heftige Verzerrung des Gesichts, die ihm augenblicklich alle Würde nimmt. Nicht umsonst ist der Mensch das einzige Lebewesen, das diese grässliche Gesichtsverzerrung zur Schau stellt, denn er ist auch der Einzige, der den Egoismus der Tiernatur überwunden und das unerträgliche höchste Stadium erreicht hat: die Grausamkeit.“6

Die Ironie dabei: Daniel 1 ist von Beruf Komiker, meist im Fernsehen. Ein Typ, der sich lange überlegt hat, wie er die Leute zum Lachen bringt, und der damit reich geworden ist. Und bis zu dem Zeitpunkt, an dem er dieses Bekenntnis ablegt, hat er auch schon viele Erfolge gerade mit der Mixtur aus Lachen und Grausamkeit gefeiert. Seine zynische Natur hat ihn hellsichtig gemacht, er hat zeitig durchschaut, was die Menschen wollen. In Bezug auf den Film erkennt er: „Die einzigen nachweisbaren Erfolge, bei denen wenigstens die Kosten wieder eingespielt wurden, … gehörten der Gattung der Komödie an.“ Er weiß aber auch, dass es profitabel ist, „die als traditionell bezeichneten moralischen Werte in kruder Weise in Frage zu stellen. … Der Moral den Hals umzudrehen, war geradezu zu einem Opferritual geworden.“7 Daniel 1 liefert dazu auch noch den theoretischen Überbau. Doch mit seiner Kritik am Kapitalismus will er nicht mehr die Welt verändern, er will davon profitieren: „Die Anpassungsfähigkeit, die eine hoch entwickelte Wirtschaft erforderte, war unvereinbar mit einem normativen Katalog eng begrenzter Verhaltensweisen, vertrug sich jedoch durchaus mit einer ständigen Verherrlichung des Willens und des Ichs. Grausamkeit, zynischer Egoismus und Gewalt in jeder Form waren deshalb äußerst willkommen.“

Hier erzählt einer von dem, was längst unsere Gegenwart ist: das Übergewicht des Komödiantischen und – im Film oder in Spielen – dessen Verschwisterung mit der Gewalt, die für viele Filme längst normativ geworden ist. Regisseure wie Quentin Tarantino oder Robert Rodriguez haben es schon in den 1990ern geschafft, noch die krudesten Mischungen von Gewaltexzessen und Komik salonfähig zu machen. Die Nachahmer sind Legion – auch wenn deren Produktionen nur selten vom kunstsinnigen Publikum geadelt werden wie 1994 Tarantinos Pulp Fiction. Sie dominieren Kinos, Fernsehen und den Markt der Spielkonsolen.

Auch in Henri Bergsons berühmtem Aufsatz Das Lachen geht es vor allem um das Auslachen. Bergson sucht nach dem Ursprung von Komik und findet sie in einem Grenzbereich: da, wo das Lebendige in etwas Mechanisches übergeht. Er sucht in Lustspielen und Schwänken nach Mustern für das, was eine Gesellschaft zum Lachen bringt. Eine Erkenntnis lautet: „Komisch ist jedes Geschehen, das unsere Aufmerksamkeit auf das Äußere einer Person lenkt, während es sich um ihr Inneres handelt.“8 Auch der Philosoph der Zeitlichkeit beschäftigt sich, wie Aristoteles, mit der Frage nach der Würde – im lachenden Gesicht bricht sich etwas Kreatürliches Bahn. Bezogen auf das Soziale heißt das für ihn auch: Lachen ist eine Abwehrreaktion. Dem Komischen liege deshalb „etwas Angriffiges“ zugrunde, „gewissermaßen der Ansatz zu einem Attentat auf das soziale Leben“.9 Dennoch findet er ein versöhnliches Bild: eine Meereswelle, die an den Strand schwappt: „Das Lachen ist wie dieser Schaum. Es zeigt den Aufruhr an der Oberfläche des sozialen Lebens an. Es zeichnet die beweglichen Umrisse dieser Erschütterung augenblicklich nach. Es ist auch salzhaltig. Und es prickelt wie Schaum. Es ist etwas Leichtes, Fröhliches.“10

Damit sind wir wieder am Beginn dieser Betrachtung. Das Leichte, Fröhliche, das findet sich auch in Nabokovs Osterlachen wieder, das zugleich mehr ist: die Überwindung des Schweren, Erdverhafteten und die Weigerung, sich von der Gewalt des Todes das Leben diktieren zu lassen. „Ist das Lachen bis heute das Zeichen der Gewalt, blinder, verstockter Natur, so hat es doch das entgegengesetzte Element in sich, dass mit dem Lachen die blinde Natur ihrer selbst als solcher gerade innewerde und der zerstörenden Gewalt sich begebe.“11


Für die Arbeit in der Gruppe

– Austauschrunde: Welcher Film / welche Art von Filmen bringt mich zum Lachen? Warum? Was finde ich da komisch?

– Film: DVD „Der Zug des Lebens“ (oder „Das Leben ist schön“ oder „Au revoir les enfants“) gemeinsam anschauen; dabei notieren (jede/r für sich): Welche Szenen finde ich besonders komisch? Wo bleibt mir das Lachen im Halse stecken? – Anschließend Austausch: Wo gibt es Übereinstimmungen, wo Unterschiede?

– „Die Waffe der Unterdrückten“ – die ersten drei Absätze gemeinsam lesen und besprechen; dann Austausch: Funktioniert das Lachen als „Waffe der Unterdrückten“ nur im Film oder auch im wirklichen Leben?


Dr. Inge Kirsner, geb. 1963, ist ev. Hochschulpfarrerin in Ludwigsburg.
Ludwig Laibacher, geb.1955, ist Redakteur bei der Stuttgarter Zeitung. – Die beiden sind miteinander verheiratet und denken und schreiben gerne gemeinsam; siehe zum Beispiel: Die Schicksalsthematik in der Gegenwartsliteratur, in: zeitzeichen, 3.Jg., 1/2002, 51-53, Das Bewegte Bild. Fragmente einer Chronologie des deutschen Films, in: forum medienethik, Kino – Spiegel des Zeitgeistes?, 1/1999, 25-29; www.theomag.de/15/kl1.htm


Anmerkungen
1) in: Volker Held (Hg.), Osterspaziergang. Geschichten und Gedichte, Stuttgart 2005, 143-152, 152
2) F/B/NL/Israel/Rum 1998. Der Regisseur Radu Mihaileanu hatte Roberto Benigni das Drehbuch zu „Zug des Lebens“ geschickt, um ihn als Schauspieler zu gewinnen. Er lehnte aber ab und widmete sich seinem eigenen Projekt „La vita è bella“ (Das Leben ist schön, 1997). Mihaileanu lässt sich nicht auf die Frage ein, ob Benignis Film ein Plagiat seines Projekts sei. Er sagt lediglich, die zwei Regisseure hätten zwei sehr unterschiedliche Filme produziert.
3) Auf Wiedersehen, Kinder, Frankreich 1987
4) Zu den verschiedenen Arten des Lachens im Kino siehe weiterführend: Laugh is in the Air. Eine Typologie des Lachens im Kino, unter: www.nachdemfilm.de/content/no-12-lachen-im-kino-und-auf-der-leinwand
5) Julian Hanisch: Laugh is in the Air, a.a.O.
6) Michel Houellebecq: Die Möglichkeit einer Insel, Reinbek bei Hamburg 2007, S. 58f
7) ebd., S. 41
8) Henri Bergson: Das Lachen – Ein Essay über die Bedeutung des Komischen, Hamburg 2011, S. 42
9) ebd., S. 13
10) ebd., S. 136
11) Theodor W. Adorno/Max Horkheimer: Dialektik der Aufklärung, Frankfurt 1969

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