Alle Ausgaben / 2005 Andacht von Petra Zulauf

So nimm denn meine Hände

Eine Andacht über Tragen und Getragensein

Von Petra Zulauf

Hinweis für die Leiterin

Die Meditation der Jahreslosungskarte „Hände“ der Ev. Frauenhilfe in Deutschland kann zu Beginn eines Gruppentreffens stehen. Sie ist auch verwendbar als Andacht z.B. mit ehren- und hauptamtlichen MitarbeiterInnen in der Altenhilfe oder als Baustein zum Thema „Diakonie“, „Älter werden“, „Getragen sein“. Die Karten können bei der EFHiD bestellt werden; Adresse: siehe Impressum S. 83.


„Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht.“ (Jos 1,5b) Das zur Jahreslosung 2006 ausgesuchte Foto „Hände“ will zur Betrachtung in meditativer Weise anregen. Wir haben sozusagen einen Zoom auf alt gewordene Hände vor uns. Dieses Bild führt behutsam zum Thema „Alter“ hin und fordert durch die Josua-Textstelle zur unmittelbaren Reflexion der eigenen Lebenssituation mit den Erfahrungen von getragen werden – getragen sein auf.

Begrüßung

Lied: Gott gab uns Atem, damit wir leben (EG 432, 1+2)

Psalmgebet: Ps 90,17; 143,5.1.6.8-10

Gott sei uns freundlich
und segne das Werk unserer Hände.
Ich denke an die früheren Zeiten,
ich sinne nach über alle deine Taten
und spreche von den Werken deiner Hände.
Gott, erhöre mein Gebet,
nimm meine Bitte an, du bist doch treu;
höre mich, du bist doch gerecht.
Ich strecke meine Hände nach dir aus,
meine Seele dürstet nach dir
wie ausgetrocknetes Land.
Schon am Morgen lass mich hören,
dass du es gut meinst:
Ich hoffe auf dich.
Zeige mir den Weg, den ich gehen soll:
Ich sehne mich nach dir.
Lehre mich tun, was dir gefällt,
denn du bist mein Gott.
Dein guter Geist führt mich auf gangbaren Wegen.
Er, unser Gott, sei uns freundlich
und segne das Werk unserer Hände.
Ja, segne du, Gott, das Werk unserer Hände.

– Einladung, die eigenen Hände zu betrachten –

Schauen wir auf unsere Hände:
Wie sehen sie aus?
Faltig und rissig?
Glatt und samtweich?
Knochig und sehnig?
Oder normal –
wie Hände in meinem Alter eben so aussehen?
Ich überlege, was Tag für Tag durch meine Hände geht.
Was mache ich alles mit ihnen?
Für mich? Und für andere?
Erinnern Sie sich noch, wie Ihre Hände zu Merkzetteln wurden?
In der Kinder- und Jugendzeit waren die Hände oft Erinnerungshilfe für die Telefonnummer der besten Freundin oder die Matheformel für die Klassenarbeit oder den Einkaufzettel der Mutter.
Oder erinnern Sie sich noch,
wie der erste Handkuss sich anfühlte?

Bin ich mit meinen Händen zufrieden oder möchte ich andere haben?
Kann ich meinen Händen vertrauen?
Können sie noch zupacken oder schmerzen sie bei bestimmten Bewegungen?
Achte ich auf meine Hände
und die anderer Menschen?
Hände können Geschichten erzählen:
ganz unterschiedliche,
ganz individuelle,
so, wie die Menschen, zu denen sie gehören.

Die Frauen werden gebeten, ihre rechte und/oder linke Hand als Umriss auf farbigen Karton zu zeichnen, auszuschneiden und vor sich zu legen (wird später für die Aktion „Segenshände weitergeben“ benötigt, sofern diese nicht als farbige Kopie vorbereitet wurden).

„Hände wie deine, wie du sein Gesicht, und blickst du ihn an, dann erkennst du ihn nicht. Viel später fällt dir ein: das kann ein Engel, wirklich ein Engel gewesen sein…“ (Lied: siehe Seite 42)
Nun möchte ich unseren Blick auf ganz andere Hände lenken.

Die Jahreslosungskarten werden verteilt. Die Frauen werden gebeten, spontane Gedanken zum Bild zu äußern, die von den anderen nicht kommentiert werden. Mögliche Impulse: Wie wirken diese Hände auf Sie? Empfinden Sie sie als abstoßend oder möchten Sie sie gerne berühren? Wie stellen Sie sich Ihre eigenen Hände im Alter vor? Wie sahen Ihre Hände aus, als Sie noch jünger waren?

Meditation I

Alt gewordene Hände
auf einem blaugeblümten Kleid.
Den linken Arm auf eine Lehne gestützt,
die Hände in den Schoß gelegt.
Es ist Feierabend.
Am Lebensabend die Arbeit aus den Händen gelegt.
Die blauen Adern, die unter der faltigen Haut hervortreten,
erzählen von einem langen, arbeitsreichen Leben.

Ich stelle mit vor, die Hände könnten sprechen.
Was würden sie wohl erzählen?
Vielleicht: Wir gehören zu Lina.
Lina ist auf dem Land groß geworden,
hat früh geheiratet,
vier Kindern das Leben gegeben,
zwei Weltkriege überlebt,
den Ehemann und den ältesten Sohn 1940 im Frankreichfeldzug verloren.
Keiner der beiden anderen Söhne wollte den Familienbetrieb weiterführen;
sie zogen fort, lernten andere Berufe,
ab und zu kommen sie mal zu Besuch.
Zum Glück heiratete die jüngste Tochter einen Bauernsohn.

Solange sie zuhause war,
arbeiteten wir – ihre Hände – immer mit.
Kartoffeln schälen und Erbsen putzen,
das geht auch im Sitzen.
Stehen fiel ihr schwer,
ihr Lieblingsplatz war die Bank vor dem Haus,
zwischen Blumen und Urenkeln,
die ihr gerne zuhörten und Zeit für sie hatten.
Zeit – was ist das jetzt?
Früher fehlte sie ihr immer –
und heute?
Warten.
Am Morgen auf den Abend warten,
am Abend auf den Morgen.
Warten auf die Urenkel mit ihren weichen zärtlichen Händen,
die Zukunft vor sich.

Eines Tages einfach nicht mehr aufwachen –
das wäre dann auch in Ordnung.
Der liebe Gott wird wissen, wann es Zeit ist…
Da ist sie ganz ruhig, denn er hat versprochen:
„Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht.“

Lied: So nimm denn meine Hände (EG 376, 1+2)


Lobpreis eines alten  Menschen:

Selig, die Verständnis zeigen für meinen stolpernden Fuß und meine erlahmende Hand.
Selig, die begreifen, dass mein Ohr sich anstrengen muss,
um alles aufzunehmen, was man mit mir spricht.
Selig, die zu wissen scheinen,
dass meine Augen trübe und meine Gedanken träge geworden sind.
Selig, die mit freundlichem Lächeln verweilen,
um ein wenig mit mir zu plaudern.
Selig, die niemals sagen:
„Diese Geschichte haben Sie mir heute schon zweimal erzählt.“
Selig, die es verstehen,
Erinnerungen an frühere Zeiten in mir wachzurufen.
Selig, die mich erfahren lassen,
dass ich geliebt, geachtet und nicht allein gelassen bin.
Selig, die in ihrer Güte die Tage erleichtern,
die mir noch bleiben auf dem Weg in die ewige Heimat.
(Quelle unbekannt)

Meditation II

Jetzt ist sie hier im Heim, im Rollstuhl.
Wir – ihre Hände – zum Nichtstun bestimmt,
es sei denn, die Schwester macht für ein paar Minuten Mobilisationsübungen mit uns,
oder in der Vormittagsrunde wird mal ein Apfel geschält.
Und was hat sie ihr Leben lang alles mit uns gemacht!
Die Familie versorgt und den kranken Mann,
das Haus mitgebaut und den Garten bewirtschaftet…
Und jetzt?
Aus dem Fenster gucken und warten.
Ja, auf was denn eigentlich?
Die Kinder haben Lina hierher gebracht,
weil sie sich auf uns, ihre Hände, nicht mehr verlassen konnte.
Wenn sie die linke nicht mit der rechten festhält,
zittert die und schlägt unkontrolliert um sich.
Einmal hat sie so einer Schwester unabsichtlich wehgetan.
Vieles fällt ihr einfach aus der Hand,
so wie auch die Gedanken aus ihrem Kopf fallen.
Und oft weiß die Linke nicht, was die Rechte tun soll.
Irgendwann verschrieb der Arzt ein stärkeres Medikament.
Jetzt kriegt sie vom Leben noch weniger mit als vorher,
und wir sind noch mehr zum Nichtstun bestimmt.
Lina döst den Tag so vor sich hin.
Wozu das alles noch? fragt sie sich.
Es ist genug, denkt sie –
und manchmal auch:
Hat der liebe Gott mich doch vergessen?

Gottes Zusage bleibt stehen: „Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht“!

Lied: Fürchte dich nicht (EG Rheinland Nr. 656)

„vergißmeinnicht-litanei“(1) als Bündelung der Gedanken im Wechsel sprechen; V: linksbündige Zeilen; A: eingerückte Wiederholungen; evtl. nach jedem Vers die beiden Schlusszeilen gemeinsam sprechen.

du gott
 vergißmeinnicht
du mein gott
 vergißmeinnicht
du unser gott
 vergißmeinnicht

du gott meiner kindheit
 vergißmeinnicht
du gott meiner jugend
 vergißmeinnicht
du gott meiner ersten liebe
 vergißmeinnicht

du gott meiner frau
 vergißmeinnicht
du gott meines mannes
 vergißmeinnicht
du gott meiner kinder
 vergißmeinnicht

du gott meiner träume
 vergißmeinnicht
du gott meiner hoffnung
 vergißmeinnicht
du gott meines trostes
 vergißmeinnicht

du gott meiner blinden augen
 vergißmeinnicht
du gott meiner tauben ohren
 vergißmeinnicht
du gott meiner lahmen beine
 vergißmeinnicht

du gott meiner traurigkeit
 vergißmeinnicht
du gott meiner angst
 vergißmeinnicht
du gott meiner verzweiflung
 vergißmeinnicht

du gott meiner einsamkeit
 vergißmeinnicht
du gott meiner verlassenheit
 vergißmeinnicht
du gott meiner ausweglosigkeit
 vergißmeinnicht

du gott meines hungers
 vergißmeinnicht
du gott meiner wüsten
 vergißmeinnicht
du gott meiner durststrecken
 vergißmeinnicht

du gott von heute
 vergißmeinnicht
du gott von gestern
 vergißmeinnicht
du gott von morgen
 vergißmeinnicht

du gott der kommenden jahre
 vergißmeinnicht
du gott meines alters
 vergißmeinnicht
du gott meiner letzten stunden
 vergißmeinnicht

du gott meiner vollendung
 vergißmeinnicht
du gott meiner seligkeit
 vergißmeinnicht
du gott des himmels
 vergißmeinnicht

vergißmeinnicht gott
mein gott vergißmeinnicht


Lied: So nimm denn meine Hände (EG 376, 3)

Austausch in Kleingruppen:
Welche persönlichen Erfahrungen vom Getragensein Gottes habe ich? Wer trägt mich?
Glaube ich der Zusage der Jahreslosung?
Gab es schwere Zeiten in meinem Leben, in denen ich mich von Gott getragen fühlte, oder Zeiten, von denen ich im Nachhinein denke, dass Gott mich doch getragen hat?
Wen tragen meine Hände, für wen fühle ich mich verantwortlich?
Was macht mir Sorge, wenn ich an das Altern meiner Hände denke?

Zum Abschluss die Geschichte „Spuren im Sand“(2) in der Gesamtgruppe lesen:

Ich träumte eines Nachts, ich ging am Meer entlang mit meinem Gott und es entstand vor meinen Augen, Streiflichtern gleich, mein Leben. Für jeden Abschnitt, wie mir schien, entdeckte ich je zwei Paar Schritte im Sand; die einen gehörten mir, die anderen Gott.
Als dann das letzte Bild an uns vorbeigeglitten war, sah ich zurück und stellte fest, dass viele Male nur ein Paar Schritte in dem Sand zu sehen war. Sie zeichneten die Phasen meines Lebens, die mir am schwersten waren.
Das machte mich verwirrt und ich wandte mich fragend an Gott: „Als ich dir damals alles, was ich hatte, übergab, um dir zu folgen, da sagtest du, du würdest immer bei mir sein. Doch in den tiefsten Nöten meines Lebens sehe ich nur ein Paar Spuren hier im Sand. Warum verließest du mich gerade dann, als ich dich so verzweifelt brauchte?
Da nahm Gott meine Hand und sagte: „Nie ließ ich dich allein, schon gar nicht in den Zeiten, da du littest und angefochten warst. Wo du nur ein Paar Spuren hier im Sand erkennst, da trug ich dich auf meinen Schultern.“

Lied: Bis hierher hat mich Gott gebracht (EG 329, 1-3)

Aktion: Segenshände weitergeben
Jede Teilnehmerin erhält auf farbiges Papier kopierte Hände (oder die zu Beginn ausgeschnittenen eigenen Umriss-Hände). Auf die eine Seite ist (oder wird) die Zusage geschrieben: „Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht“; auf die andere Seite sollen die Frauen einen Wunsch schreiben: „Mögen deine Hände…“. Die Hände werden in einer Austauschrunde der Nachbarin/dem Nachbarn weitergeben; wenn es der Vertrautheit der Gruppe entspricht, werden die Wünsche vorgelesen.
Zur Unterbrechung kann folgender Kehrvers gesungen oder gesprochen werden: „Gott, wir bitten, komm und segne uns; lege auf uns deinen Frieden. Segnend halte Hände über uns. Rühr uns an mit deiner Kraft.“ (EG Rheinland Nr. 607)

Diese Zusage Gottes soll nicht nur hier bei uns, in unserer Gruppe bleiben. Gottes Zusage will uns begleiten in unserer Lebenswelt, unserer Familie oder PartnerInnenschaft, in unseren täglichen Aufgaben. Gottes Zusage macht uns Mut zum Leben. „Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht“ – diese Zusage Gottes können wir weitergeben an einen Menschen, der allein oder krank oder voller Sorgen ist, der ein gutes Wort ebenso nötig hat wie wir.

Gebet (frei formuliert)

Vater unser

Segen eines alten Menschen:
Gesegnet seien, die verstehen,
dass meine Füße nicht mehr gut gehen können
und meine Hände zittrig geworden sind.
Gesegnet seien, die begreifen,
dass ich schlecht höre,
und die sich bemühen,
laut und deutlich zu sprechen.
Gesegnet seien, die wissen,
dass meine Augen nicht mehr viel sehen
und dass ich nicht gleich alles mitbekomme.

Gesegnet seien, die nicht schimpfen,
wenn ich etwas verschütte,
wenn ich etwas umstoße oder fallen  lasse.
Gesegnet seien, die mir helfen
meine Sachen zu finden,
weil ich nicht mehr weiß,
wo ich sie hingelegt habe.
Gesegnet seien, die mich anlachen
und mit mir reden.
Gesegnet seien, die mir zuhören,
wenn ich von früher erzähle.

Gesegnet seien, die meine Schmerzen lindern.
Gesegnet seien, die mich fühlen lassen,
dass ich geliebt werde,
und die mich freundliche behandeln.
Gesegnet seien, die mir den Gang
in die Ewigkeit leicht machen.
Gesegnet seien alle, die gut zu mir sind
und die mich dadurch
an den guten Gott denken lassen.
Wenn ich einmal bei Gott bin,
werde ich auch bestimmt an sie denken.

Phil Bosmans
aus: Phil Bosmans, Ulrich Schütz (Hg.), Leben jeden Tag, S. 344; © Verlag Herder, Freiburg im Breisgau, 5. Auflage 2004


Anregung zur Vertiefung: Über die Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V, Friedrichstr. 236, 10969 Berlin, Tel.: 030-31 50 57 35 gibt es die Möglichkeit, Tütchen mit Vergissmeinnicht-Samen zu bestellen. Auf der Vorderseite ist eine Hand mit der Aufschrift: „Vergesst mich nicht…“ abgebildet. (Informationen auch unter: www.deutsche-alzheimer.de)

Lied: Vertrauen wagen dürfen wir getrost (111 Lieder für Kirchentag, Nr. 100)


Petra Zulauf, 41 Jahre, ist Diplom-Religionspädagogin. Nach 13 Jahren in der kirchlichen Gemeindearbeit wurde sie vor fünf Jahren zur Oberin der Schwesternschaft der Evangelischen Frauenhilfe Potsdam-Stralsund gewählt. Die Schwesternschaft verantwortet die Arbeit im Stralsunder Schwesternheimathaus, zu dem u.a. ein Ev. Altenzentrum gehört. Seit Mai 2004 arbeitet Petra Zulauf im Vorstand der EFHiD mit.

Anmerkungen
1
aus: Wilhelm Willms, roter faden glück. lichtblicke (c) 1974 Verlag Butzon & Bercker Kevelaer, 5. Aufl. 1988, 2.40; mit Genehmigung des Verlages gekürzt und im Zeilenfall geändert. Für Abonnentinnen der Arbeitshilfe Kopiervorlage im Internet unter www.ahzw.de / Service / zum Herunterladen
2 nach: Seidel, Zils: Das Brot ist der Himmel. Gebete, Geschichten, Meditationen aus Schalom, Patmos Verlag Düsseldorf


 

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