Ausgabe 1 / 2010 Artikel von Kerstin Möller

Sonne, Wind und Wasser

Wege aus der Energiekrise

Von Kerstin Möller


Mit der Industrialisierung geht eine entscheidende Veränderung einher. Zuvor waren die Klimaschwankungen der Erdgeschichte das Ergebnis von Naturzyklen. Nun übersteigen erstmals die menschlichen Wirkkräfte die der Natur.

Wachstum und Wohlstand der westlichen Industriestaaten gründen auf einem ständig steigenden Energiekonsum. Der zugrunde liegende Energiemix besteht zu mehr als 90 Prozent aus fossilen Energiequellen. Und so ist das Industriezeitalter gekennzeichnet durch einen rasanten Abbau der großen Kohlenstoffspeicher, dem Wald auf der einen und den fossilen Lagerstätten wie Kohle, Erdöl und Gas auf der anderen Seite.

Gegenwärtig verbraucht die Menschheit innerhalb eines Jahres etwa ebenso viele fossile Energieträger, wie die Erde sie innerhalb von einer Million Jahren herausgebildet hat.(1) Und zwar durch Verbrennung, d.h. verbunden mit CO2-Emissionen. Derzeit wird vermutlich fünfmal so viel Kohlendioxid produziert wie die Erde in Ozeanen, Vegetation und mineralen Verbindungen aufnehmen kann.


Energie-Wende-Zeit

Der Erschöpfungsmittelpunkt der Gesamtreserven wird beim Öl in den nächsten Jahren überschritten sein.(2) Etwas zeitversetzt ist dieser Punkt bei Gas, Kohle und Uran zu erwarten. Gleichzeitig sind die Auswirkungen des Klimawandels unübersehbar. Das Aufeinandertreffen dieser beiden Entwicklungen bietet die Chance, daraus eine gemeinsame Schubkraft zu gewinnen.

Dieser Schub entsteht nicht zwangsläufig, sondern bedarf des politischen Willens. Derzeit aber wird oft beides gegeneinander ausgespielt, zum Beispiel, wenn dafür geworben wird, um der Energiesicherheit willen wieder auf Kohlekraftwerke zu setzen oder den Ausstieg aus der Kernenergie neu infrage zu stellen, um das Klima zu schonen. Immer wieder läuft die Energiedebatte Gefahr, dass die Eigenlogik eines jeden einzelnen Bereichs verhindert, dass das Ziel einer grundsätzlichen Energiewende konsequent verfolgt wird.


Energie und Geschlecht

Auch in der Energiefrage ist die Perspektive von Frauen ebenso wie ihre verantwortliche Rolle als Nutzerinnen und Konsumentinnen von entscheidender Bedeutung. In keinem Verhältnis dazu steht ihre Präsenz auf der Verantwortungsebene im Energie- und Klimabereich. Frauen sind in den Entscheidungspositionen nach wie vor unterrepräsentiert. „Das betrifft sowohl den Frauenanteil in Energieunternehmen als auch die politische Teilhabe in Bezug auf Entscheidungen, die Instrumente wie Ökosteuer oder die Förderung erneuerbarer Energien betreffen.“3 Deutlicher bringen sich Frauen im NGO-Bereich ein. So sind die Atomkraft-GegnerInnen mehrheitlich weiblich, und auch bei den Vereinten Nationen setzen die Frauen das Thema auf die eigene Tagesordnung(4).

Bekannt ist, dass Geschlechterunterschiede in Bezug auf Energienutzung und Risikowahrnehmung bestehen. Im Alltag haben Frauen ein größeres Energiesparbewusstsein, während Männer eher auf technologische Lösungen setzen. Insgesamt gibt es allerdings im Themenfeld erneuerbare Energien
zu den Genderaspekten bislang nur wenige Forschungsergebnisse.(5)


Grundsatzfragen

Auf dem Weg zu einer Energiewende sind wichtige Grundsatzfragen zu thematisieren.

Globale Gerechtigkeit
Antworten auf die globale Energie- und Klimakrise dürfen nicht ohne die Perspektive einer globalen Gerechtigkeit gesucht werden. Das erscheint selbstverständlich, ist es aber keineswegs. Dabei geht es zunächst einmal um eine ethische Grundentscheidung zum Stellenwert der betroffenen Interessen. Bislang ist oft vom „Dreieck der Nachhaltigkeit“ die Rede, in dem wirtschaftliches Wachstum, soziale Sicherheit und ökologische Verträglichkeit als gleichberechtigte Ziele betrachtet werden. Aber „diese Gleichstellung verkennt die Absolutheit sowohl ökologischer Grenzen als auch der Menschenrechte.“(6) Es wird künftig darum gehen müssen, die Wirtschaftsdynamik so zu regulieren, dass Ökologie und Menschenrechte die Leitkriterien sind.

Darüber hinaus geht es um eine grundsätzliche Anerkennung des Rechts der Länder des Südens auf Entwicklung. Klar muss sein, dass die Industrieländer einen deutlich höheren Anteil der Reduktions- und Investitionsleistung erbringen müssen. Globale Gerechtigkeit muss zum Beispiel heißen, dass bei Projekten wie „Desertec“, dem Mega-Solar-Projekt in der Sahara, sowohl in Bezug auf den wirtschaftlichen Gewinn als auch in Bezug auf die erzeugte Energie die Menschen vor Ort ihren gerechten Anteil erhalten.

Gesetzliche Regelungen
Sir Nikolas Stern, Chef-Ökonom der britischen Regierung, hat den Klimawandel als das größte Marktversagen bezeichnet, das die Welt je gesehen hat. Für die Energie- und Klimafrage gilt, was sich auch für den Finanzmarkt herausgestellt hat: Der Neoliberalismus ist an seine Grenzen gekommen. Er hat in Bezug auf die angeblich mögliche Selbstregulierung komplett versagt.

Darum müssen staatliche wie globale Regelungen entwickelt und festgeschrieben werden, die den Markt regulieren und steuern. Schon Einstein hat erkannt: Wir können die Probleme nicht mit derselben Denkweise lösen, mit der wir sie geschaffen haben. Hinzugefügt sei: in der Regel auch nicht mit denselben verantwortlichen Personen. Es ist also deutliche Skepsis angebracht, wenn globale Energiekonzerne sich jetzt als Vorkämpfer alternativer Energien präsentieren.

Andere Aufgabenteilung
Ohne die Verbraucherinnen und Verbraucher werden alle Ansätze und Bemühungen zur Veränderung scheitern. Bisher sind die Aufgaben so verteilt: VerbraucherInnen müssen Energie sparen, Konzerne müssen Energie bereitstellen und verkaufen. Um eine Energiewende einzuleiten, muss diese Aufgabenteilung grundlegend geändert werden. „Unternehmen, die Kunden helfen, Energie einzusparen, sollten belohnt werden, im Gegensatz zu jenen, die einfach nur Strom verkaufen wollen. Die Versorger müssen ihr gesamtes Geschäftsmodell umstellen, und zwar mit dem Ziel, unnötigen Energieverbrauch zu vermeiden.“(7) So jedenfalls sieht es Peter Hennicke, Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie.


Perspektiven und Wege

Darüber hinaus ist es wichtig, dass wir unseren Blick auf die Energiefrage ändern und uns auf neue Wege begeben.

Energieverbrauch reduzieren
Berechnungen haben ergeben, dass wir in Europa aufgrund der technischen und strukturellen Voraussetzungen in der Lage wären, den Pro-Kopf-Energie-Verbrauch bis 2050 auf ein Drittel zu senken. Das Zauberwort heißt Energie-Effizienz. Es gilt dort anzusetzen, wo Energie verschwendet wird: bei Fahrzeugen, Gebäuden, Produktionsprozessen und Elektrogeräten.

Zugleich stellt sich aufgrund der globalen Gesamtsituation die grundsätzlichere Frage, wie es uns gelingen kann, das westliche Leitbild des ständigen und scheinbar unbegrenzten Wachstums zu verabschieden: „Eine Gesellschaft, die zukunftsfähig werden will, muss sich mit der Möglichkeit auseinandersetzen, … mit weniger und schließlich ohne Wirtschaftswachstum auskommen zu müssen.“(8)

Alternative Energien nutzen
Der Weg aus der Energiekrise und hin zu mehr Klimaschutz ist ohne die erneuerbaren Energien nicht denkbar. Dabei geht es konkret um Solarstrahlung, Windenergie, Erdwärme, Biomasse, Wasserkraft, Gezeiten- und Wellenenergie. Dieser energiepolitische Weg hat durchaus erhebliches wirtschaftliches Potential – der Weltmarkt für Energieeffizienz wird einer der Leitmärkte der Zukunft sein. Nutzung von erneuerbaren Energien senkt zudem die Importabhängigkeit, entschärft die Konflikte um die knapper werdenden Öl- und Gasreserven, vermeidet die Kernenergierisiken und führt zu einer Diversifizierung der Energiebasis.

Der Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland basiert dabei zurzeit vor allem auf einem politisch geschaffenen Markt. Von besonderer Bedeutung sind das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das Anreizprogramm auf dem Wärmemarkt und die Regelungen für Biokraftstoffe. Nach anfänglicher Euphorie, was den Umwelt und Klima schonenden Charakter dieser Energien angeht, hat sich inzwischen gezeigt, dass wir auch hier differenziert hinsehen müssen. Eine wissenschaftliche Untersuchung kommt jetzt zu dem Ergebnis, dass Biokraftstoffe keineswegs klimafreundlich sind, sondern in der Gesamtbilanz den Ausstoß von schädlichen Klimagasen noch verschärfen werden(9). Dass die mit Biokraftstoffen verbundene Ausweitung von Monokulturen vor allem in den Ländern des Südens das dortige biologische Gleichgewicht und vor allem die Ernährungssicherheit der Menschen gefährdet, ist ebenfalls bekannt.

Öko-Gesamtbilanzen lesen
Für VerbraucherInnen sind Informationen über die ökologische Gesamtbilanz einer Investitionsentscheidung kaum zugänglich. Das kann dazu führen, dass wir mit gutem Gewissen falsche Entscheidungen treffen. So ist etwa in Deutschland eine gute Dämmung oft wesentlich sinnvoller als eine so genannte Solaranlage. Problematisch ist zudem, dass politische Fördermittel nicht unbedingt die energiepolitisch sinnvollsten Lösungen forcieren – im Jahr 2009 anschaulich vorgeführt am Fall der „Abwrack-Prämie“.

Zu fordern ist also sowohl ein VerbraucherInnenrecht auf Öko-Gesamtbilanzen als auch ein Regierungshandeln, dass sich vor diesem Kriterium ausweisen muss.


Neue Grundhaltung

Entscheidend für eine wirkliche Energiewende wird sein, ob es uns gelingt, eine neue Grundhaltung einzunehmen und unser Verhalten zu verändern: hin zu weniger Energieverbrauch und damit hin zu einem bewusstem Verzicht auf eine Energie verschlingende Lebens- und Wirtschaftsweise.

Gegenüber dem bisherigen „fossil-zentralen Weg“ ist der „solar-vernetzte Weg“ eine deutliche Alternative.(10) Er beruht auf drei Grundentscheidungen:
– ein bewusster und konsequenter Wechsel in der Ressourcenbasis hin zu erneuerbaren Energien;
– Dezentralisierung als Grundmodell der Versorgung, d.h. Vernetzung vieler kleiner Versorgungssysteme;
– eine entscheidende Rückführung des Energiebedarfs über Effizienz und Vermeidung.
Es geht darum, die technischen Potentiale zum effizienteren Gebrauch von Energie zu nutzen und gleichzeitig mit der Selbstbeschränkung im Energieverbrauch zu beginnen. Die Frage „Wie viel ist genug?“ ist unumgänglich.

Biblischer Anknüpfungspunkt dafür kann die Sabbattradition sein: Sabbat als Hinweis Gottes auf die Notwendigkeit sich selbst in den eigenen Möglichkeiten und Bedürfnissen zu beschränken. Zugleich geht es darum, so Ina Praetorius,(11) dass wir uns selbst als einbezogen in die Schöpfung Gottes verstehen und von da aus immer wieder Neuanfänge wagen, die das Zusammenleben aller auch in Zukunft stärken und nähren. „Sich täglich neu staunend bewusst zu werden, dass mein Dasein und Tun sich in einem Kosmos ereignet, den ich nicht mir selbst verdanke, ist der Anfang jeder angemessenen menschlichen Tätigkeit.“(12)


Für die Arbeit in der Gruppe

Material

Zeitfenster 2022 über „Moderate Modernisierung“ (ZD, S. 240f.; s.S. 36 / für AbonnentInnen unter www.ahzw.de / Service zum Herunterladen vorbereitet)


Ablauf

– Text vorlesen
– Abstimmung: „Wer hält ein solches Szenario für 2022 für realistisch? Wer eher nicht?“ Das Ergebnis zunächst nicht kommentieren!
– entsprechend dem Votum zwei Gruppen bilden mit dem Auftrag, die eigene Position zu vertiefen
– Diskussion, je nach Gruppengröße mit der Gesamtgruppe oder als Fishbowl. Ziel: Erkenntnis, welche Faktoren uns bislang von Verhaltensänderungen abhalten.

– Arbeit an der biblischen Sabbattradition unter dem Aspekt der Selbstbeschränkung: nicht alles zu tun, was ich machen kann, bewusst Grenzen setzen und das im Blick auf das Ganze der Schöpfung, auf globale Gerechtigkeit. (Texte: Gen 2,2-3; Ex 20,8-11; Lev 25)

– statt/nach Gruppengespräch: schriftliche oder malerische Entwicklung einer eigenen (oder gemeinsamen) Sabbattradition im Blick auf Energieverbrauch


Kerstin Möller, 44 Jahre, hat nach dem Theologiestudium ein Jahr lang beim südafrikanischen Kirchenrat in der Abteilung für Gerechtigkeit und Versöhnung gearbeitet, bevor sie als Gemeindepastorin nach Flensburg ging. Sie ist Leiterin des Nordelbischen Frauenwerkes. Zurzeit ist sie Stellvertretende Vorsitzende der EFiD.


Anmerkungen

1 Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt (ZD), S. 36
2 Der Produktionsverlauf eines jeden Ölfeldes zeigt die Form einer Glockenkurve und erreicht zwangsläufig den Punkt, an dem dessen förderbares Ölvolumen zur Hälfte entnommen ist. Dieser „Erschöpfungsmittelpunkt“ wird auch Depletion Mid
Point (DMP) genannt. Bis etwa zu diesem Punkt kann die Produktionsrate gesteigert werden, danach ist aufgrund des im Ölfeld stark sinkenden Drucks eine weitere Steigerung kaum möglich. (http://elib.ub.uni-osnabrueck.de/publications/diss/E-Diss733_thesis.pdf)
3 Vgl. dazu www.genanet.de/Themen
4 So stand die 52. Frauenrechtskonferenz der UN 2008 unter dem Thema „Gender perspectives on climate change“
5 Dazu www.genanet.de/gender_energie; dort ist der Hintergrundartikel von Ulrike Röhrs herunterzuladen
6 ZD, S. 26
7 Spiegel, Neue Energien, S. 150
8 ZD, S. 112f.
9 Spiegel vom 23.10.2009
10 Vgl. dazu ausführlicher: ZD, S. 51-62
11 Vgl. dazu Ina Praetorius, Handeln aus der Fülle, Gütersloh 2005, S. 40-43
12 Ebd. S. 32

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