Alle Ausgaben / 2004 Artikel von Sabine Harles

Spielzeug ist Frauensache

Für faire Regeln in der Spielzeugproduktion

Von Sabine Harles

Spielzeug kaufen finde ich eine feine Sache. Ich streife gerne durch die Geschäfte und suche Spielsachen, die Kindern, meinen oder anderen, Freude machen. Ich habe die Freude daran noch immer nicht verloren, obwohl ich weiß, welche Probleme es in der Spielzeugproduktion gibt. Denn auch dieser Industriezweig ist längst globalisiert.


Teddies made in China


Mehr als 45% der Spielwarenimporte kommen aus China, Tendenz steigend. China ist in der letzten zwei Jahrzehnten zu einem Hauptproduzenten aufgestiegen. Aus anderen Branchen wie der Textil- oder Schuhbranche ist diese Tendenz bekannt: Schließung der Fertigungsstätten in Deutschland, Verlagerung der Produktion in ein Land, das mit niedrigen Löhnen und anderen Sonderkonditionen wirbt. China begann zu Beginn der 80er Jahre mit  einer Reformpolitik, die tiefgreifende Veränderungen in der Wirtschaft auslöste. Mit dem Prozess der Industrialisierung und der Einrichtung von Sonderwirtschaftszonen wurde eine starke Nachfrage nach Arbeitskräften geweckt. Eine hohe innerchinesische Migration war und ist die Folge.

Insbesondere junge Frauen, die kein Auskommen in der Landwirtschaft mehr finden, ziehen in die Küstenprovinzen und suchen Arbeit in der Leichtindustrie. In diesem Zweig mit Elektronik, Textil- und Spielzeugindustrie finden Frauen zwischen 16 und 30 Jahren Arbeit. Diese Altersgruppe wird bevorzugt, da in der Zeitspanne die Produktivitat am hochsten ist. In der Leichtindustrie sind Frauen auf ungelernte, gering bezahlte, rechtlich unsichere Tatigkeiten verwiesen. Das hangt auch mit Vorurteilen zusammen, die sich hartnackig halten. Frauen gelten als
* willig, denn sie sind bereit, niedrigere Lohne zu akzeptieren;
* anspruchslos, denn sie eignen sich (angeblich) eher fur monotone, sich standig wiederholende Arbeiten in der Produktion;
* leicht zu lenken, denn sie lassen sich seltener als Manner in Arbeitskampfe ein;
* geschickt, denn mit ihrem guten Sehvermogen und ihrer Schnelligkeit konnen sie manuell knifflige Arbeiten ausfuhren;
* naiv, denn sie kennen nicht die Arbeitsgesetze und ihre Rechte.

Diese Vorurteile begunstigen die ausbeuterischen Verhaltnisse in vielen Fabriken in den chinesischen Sonderwirtschaftszonen.

Eine Arbeiterin erzahlt: „Die Maschinen sind sehr laut und die Luft ist schlecht. Wir haben weder Ohrstopsel noch Atemschutzmasken. Baumwollkappen haben sie uns gegeben, aber ich habe nicht gehort, wozu die gut sein sollen. In der Luft muss irgendetwas sein, was meine Haut allergisch macht. Ich habe keine Ahnung, was. Aber schauen Sie nur die roten Flecken auf meinen Händen! Wir müssen täglich Überstunden machen, bis ein oder gar zwei Uhr in der Nacht. Das ist sehr hart. Trotzdem verdienen wir nur zwischen 300 und 400 RMB (rund 43 bis 57 Euro) im Monat. Also, das meiste, was ich erhielt, waren über 500 RMB (etwa 71 Euro) im Monat. Das wenigste 200 RMB (29 Euro) oder etwas mehr. Der staatlich festgesetzte Mindestlohn lag im August 2000 in Shenzhen aber bei und 540 RMB (77 Euro) im Monat. Und das bei normaler Arbeitszeit, ohne Überstunden!“

Was die Arbeiterin erzählt, wirft ein Licht auf die Probleme in der Spielwarenproduktion. Insbesondere in der Hochsaison, wenn für das Weihnachtsgeschäft in Europa produziert wird, fallen extreme Überstunden an. Arbeitszeiten von 13 Stunden und mehr pro Tag, kein freier Tag pro Woche – und das über Monate hinweg – sind keine Seltenheit. Europäische und amerikanische Firmen bestellen in immer kürzeren Zeitabständen und erhöhen dadurch den Druck auf ihre Lieferanten. Dieser Druck wird auf die Arbeiterinnen abgewälzt. Sowohl Arbeitszeiten wie auch Entlohnung sind gesetzlich geregelt. Doch diese Regelungen werden massenhaft missachtet. Der Mindestlohn wird häufig unterschritten, Überstundenzuschläge werden nicht ausgezahlt. Hinzu kommen undurchsichtige Lohnabrechnungen, d.h. die Grundlage der Bezahlung ist den Arbeiterinnen nicht klar. Sie müssen für Unterkunft und Verpflegung, die in der Regel von der Fabrik vorgehalten wird, bezahlen, können aber aus ihren Abrechnungen nicht erkennen, wie hoch die Abzüge dafür sind. Die Verpflegung ist meist schlecht, die Unterkünfte sind unzureichend. Oft müssen sich bis zu 20 Frauen einen kleinen Schlafraum teilen.


Aktion für faire Regeln

 

Mitte der 90er Jahre haben Nichtregierungsorganisationen in Deutschland begonnen, auf diese skandalösen Missstände aufmerksam zu machen. Misereor, die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd), die Katholische Arbeitnehmerbewegung (KAB), die Werkstatt Ökonomie und das Nürnberger Bündnis Fair Toys riefen die Aktion „fair spielt! Für faire Regeln in der Spielzeugproduktion“ ins Leben. Mit Postkartenaktionen forderten sie deutsche und internationale Spielzeughersteller auf, die Arbeitsbedingungen bei ihren Zulieferfabriken nachhaltig zu ändern.

Die Aktion stieß lange auf taube Ohren. Erst 2003 kam etwas Bewegung in die Branche. Als günstig erwies sich, dass der Internationale Spielwarenverband (ICTI) in 2000 einen umfassenden Verhaltenskodex verabschiedet hatte, der die Bereiche Arbeitsschutz, Umweltschutz und Soziales umfasst. Nach langem Drängen haben sich inzwischen 18 deutsche Hersteller bereit erklärt, nach diesem Kodex zu verfahren und darauf hinzuwirken, dass ihre Zulieferer nach diesem Regelwerk überprüft werden. Unter diesen 18 Firmen sind unter anderem Bullyland (Tier- und andere Figuren aus Kunststoff, Werbeartikel), Heunec (Plüschtiere), Ravensburger (Spiele, Puzzles, Plüschtiere, Bücher), Revell (Modellbau, Metallmodelle), Schleich (Tier- und andere Figuren aus Kunststoff), Simba Toys (über 3000 Artikel) und Zapf Creation (Puppen, u.a. Babyborn)1 .

Diese und weitere Firmen haben sich verpflichtet, noch in diesem Jahr zwei ihrer Zulieferer unabhängig überprüfen zu lassen. Wann die Überprüfung der weiteren Zulieferer erfolgt, ist noch offen. Zu hoffen ist jedoch, dass durch diese unabhängige Überprüfung die Arbeitsbedingungen für die Arbeiterinnen in der Spielwarenindustrie verbessert werden. Dies wird mit Sicherheit nicht von heute auf morgen geschehen, sondern ist ein Prozess, der einen langen Atem braucht. Dabei spielt die Öffentlichkeit eine wichtige Rolle. Es bleibt immer wieder bei den Spielzeugproduzenten nachzufragen, welche Schritte sie unternommen haben, um die Missstände in den Zulieferfabriken abzustellen. Wer erste Schritte tut, sollte auf jeden Fall auch weitere tun und wer noch nichts getan hat, wie z.B. Nici (Stoff- und Plüschtiere, Geschenkartikel) oder Sunkid (Plüschtiere), sollte dazu gedrängt werden, sich dem ICTI-Zertifizierungssystem anzuschließen. Hier haben Verbraucher/ innen einen nicht zu unterschätzenden Einfluss. Sie können immer wieder deutlich machen, dass es ihnen nicht egal ist, unter welchen Umständen Spielzeug hergestellt wird.

Und dennoch heißt es, mit den Widersprüchen zu leben, die es in dieser globalisierten Welt gibt. Ich weiß um die Bedingungen in der Spielzeugproduktion und ich kaufe dennoch Spielzeug ein. Ich habe meine Hemmungen überwunden, Spielzeug made in China in die Tüte zu packen. Denn mir ist klar geworden, dass ein kleiner privater Boykott nichts bringt. Ich denke daran, dass Frauen in der Spielzeugproduktion Arbeit haben und wenigstens einen minimalen Verdienst. Damit dieser gerecht wird und die Arbeitsbedingungen nachhaltig verbessert werden, unterstütze ich die Aktion „fair spielt“.


Ein Nachmittag zum Thema „Spielzeug“
 

Ablauf
* Gestalten Sie den Raum entsprechend dem Thema: Stellen Sie Spielzeug unterschiedlicher Art wie Plüschtiere, Puppen, elektronisches Spielzeug, Figuren aus Überraschungseiern oder von McDonalds zusammen. Ihre Kinder, Enkelkinder, Nichten oder Neffen helfen Ihnen bestimmt gern! Diese kleine Auswahl können Sie als Ausstellung aufbauen, eine Mitte damit gestalten oder zum Anfassen rundreichen.

* Beginnen Sie mit einer Blitzumfrage (ca. 5-10 Minuten). Geben Sie folgende Fragen in die Runde: Welches Spielzeug haben Sie zuletzt gekauft? Wissen Sie, wo dieses Spielzeug herkommt?
Zeigen Sie dann ein oder mehrere Spielzeuge und fragen, wo das Spielzeug nach Meinung der Teilnehmer/ innen hergestellt worden  ist. Geben Sie es herum und bitten Sie, festzustellen, wo es produziert wurde.
Sie können auch noch die Frage ergänzen: Wer kauft in Ihrer Familie Spielzeug ein? Worüber freuen Sie sich, wenn Sie an Spielzeug denken, und worüber ärgern Sie sich? Erfahrungsgemäss kommen dann oft Bemerkungen wie „die Kinder haben sowieso zu viel Spielzeug“. Greifen Sie diese Einschätzung im Laufe der Veranstaltung auf und denken Sie gemeinsam über Konsum und Alternativen nach.

Anschliesend informieren Sie (ca. 20 Minuten) uber die Probleme in der Spielwarenindustrie. Einige Problemanzeigen finden Sie in dem obigen Artikel. Erganzendes Material finden Sie unten auf S. 80.

* Meist stellt sich die Frage, was denn gegen solche Umstande getan werden kann. Regen Sie hierzu eine Diskussion an, z.B. mit der Methode des Fischteichs (Dauer ca. 20-30 Minuten, je nach Diskussionsfreudigkeit): Bereiten Sie Blatter vor, die Sie mit folgenden Aussagen grosformatig beschriften und befestigen Sie sie auf den Innenseiten der Ruckenlehnen von Stuhlen:

a) Ich kaufe kein Spielzeug mehr aus China.
b) Ich kann nicht auch noch auf die Produktionsbedingungen achten. Hauptsache den Kindern gefallt es.
c) Spielzeug aus China sollte verboten werden.
d) Ich mochte etwas andern, aber ich weis nicht wie. Alles ist so kompliziert.

Zusatzlich brauchen Sie einen Stuhl fur die Moderatorin und einen weiteren fur diejenigen aus dem Kreis, die mitdiskutieren.
Bis auf die Moderatorin kann jede Person „ihren“ Stuhl verlassen, wenn sie keine Argumente mehr hat und wenn sie ihre Uberzeugung geandert hat. Alle Teilnehmerinnen konnen den frei werdenden Stuhl wieder besetzen. Fordern Sie die Teilnehmerinnen auf, sich auf einen der Stühle zu setzen und Argumente für die eingenommene Position zu benennen. Ein Austausch unter den festgelegten Positionen ist unbedingt erwünscht. Die weiteren Teilnehmerinnen können ihre Argumente und Fragen auf dem freien Stuhl einbringen. Eventuell ist auch ein Wechsel bei den „festen“ Positionen möglich.

Diese Leitfragen helfen der Moderation: Wem nutzt diese Haltung? Was bewirkt sie? Wem schadet sie? Was ist berechtigt? Was ist unberechtigt?

Schließen Sie die Runde ab mit dem Hinweis auf eine Briefaktion. Schlagen Sie vor, Briefe an Spielwarenhersteller zu schreiben und bei diesen nachzufragen, was sie für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen tun. Musterbriefe finden Sie unten S. 81.


Anmerkung
1 Eine vollständige Liste der Unternehmen finden Sie auf der Homepage der Aktion „fair spielt“ unter www.fair-spielt.de.


Sabine Harles arbeitet als Referentin für internationale und ökumenische Zusammenarbeit beim Bundesverband der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd), Düsseldorf. Schwerpunkte der Tätigkeit sind Weltgebetstag der Frauen, Aktion „fair spielt“, Fairer Handel und weitere Themen der Entwicklungspolitik.

 
Arbeitsmaterial

Huang Ming arbeitete in einer Fabrik in Zhongshan in der chinesischen Küstenprovinz Guangdong. Sie stellte Spielzug her. Im Dezember 1998 wurde sie schwer krank. Das Unternehmen weigerte sich aber, sie krank zu schreiben. Sie musste weiterhin Überstunden machen. Am 20. Dezember konnte sie nicht mehr. Sie hatte hohes Fieber, war ganz von der Krankheit gezeichnet, wurde entlassen. Ohne Entschädigung. Eine Kollegin begleitete sie bei ihrer Heimfahrt im Zug. Unterwegs starb sie. Huang Ming hatte einen Rechtsanspruch auf ärztliche Behandlung.

„In der Formerei müssen wir jeden Tag in großer Hitze von ungefähr 33-38° C arbeiten und die Formpressen sind sehr laut und heiß. Die Luft ist mit starkem chemischen Gestank angefüllt und ich muss immer wieder dieselben Bewegungen machen “ die Maschine öffnen, das Plastik hineinlegen, pressen, das Plastik wieder herausholen. Viele von uns ertragen die Hitze, den Gestank und den Lärm aber nicht und manche Kollegen brechen sogar zusammen. Dauernd müssen wir Überstunden machen und bis Mitternacht arbeiten und bekommen kaum etwas dafür bezahlt. Wenn die nicht meinen Lohn und meine Kaution zurückbehalten würden, wäre ich schon längst gegangen.“ Als die Interviewer weitere Fragen stellen wollten, erschien eine Aufseherin und schrie sie an: „Was treibst du dich hier noch rum! Verschwinde!“ Die Arbeiterin bekam es mit der Angst zu tun und sagte: „Erst kürzlich hat die Betriebsleitung verboten, dass wir uns bei Fremden über unsere Behandlung bei Tri-S (so der Name der Spielzeugfabrik) beschweren. Wenn die erfahren, dass ich mit Ihnen geredet habe, schmeißen sie mich vielleicht raus. Ich muss jetzt gehen.“

 
Musterschreiben für Briefe an Firmen:

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich begrüße es, dass Ihr Unternehmen sich verpflichtet hat, den Verhaltenscodex des Weltverbandes der Spielzeughersteller (ICTI) umzusetzen und das auch von Ihren asiatischen Lieferanten zu verlangen. Dies ist ein wichtiger Beitrag zur Durchsetzung der Menschenrechte in der Spielzeugproduktion.

Ich bitte Sie, mich uber konkrete Masnahmen und Ihre Planungen zur Einfuhrung des ICTI-Kodexes zu informieren. Ich halte es fur wichtig, dass

* die ArbeiterInnen in den Spielzeugfabriken in die Prufung und Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen einbezogen werden,
* die Ergebnisse der Firmenkontrollen unabhangig uberpruft und bewertet werden,
* Ihr Unternehmen uberlegt, was es selbst zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei seinen Lieferanten beitragen kann, z.B. durch Abbau des Termin- und Preisdrucks.

In Erwartung Ihrer Antwort und mit freundlichen Grüßen

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

eine Reihe von Spielzeugfirmen hat sich in den letzten Monaten verpflichtet, den Verhaltenscodex des Weltverbandes der Spielzeughersteller (ICTI) umzusetzen und das auch von ihren asiatischen Lieferanten zu verlangen.

Als Kundin/Kunde ist es mir ein Anliegen, dass deutsche Spielwarenhersteller menschenwurdige Arbeitsbedingungen bei ihren chinesischen Lieferanten durchsetzen und diese objektiv prufen lassen. Ich fordere Sie auf, dem Beispiel anderer Firmen Ihrer Branche zu folgen.

Bitte teilen Sie mir mit, ob Ihr Unternehmen sich ebenfalls zur Umsetzung des ICTI-Kodexes und seiner unabhangigen Uberprufung verpflichtet.

In Erwartung Ihrer Antwort und mit freundlichen Grüßen


Bildungsmaterialien
„Alle sollen gewinnen! Für faire
Regeln in der Spielzeugproduktion.“
Informationen und Aktionsideen für Unterricht, Jugend- und Erwachsenenbildung. 116 S., inkl. Diareihe (20 Dias ungerahmt, mit Textheft), 12,50 Euro,
Bezug:
MVG Medienproduktion und Vertriebsges. mbH, Postfach 10 15 45, 52015 Aachen

„Das muss anders werden – Spielzeugproduktion in China.“
Video zur Arbeitshilfe „Alle sollen gewinnen!“, Dauer ca. 15 Minuten, 5,00 Euro, Bezug: s.o.

„Spielverderber. Das Geschäft mit dem Kinderspielzeug.“
Begleitbuch zur Aktion „fair spielt“ von Klaus Heidel, Siegfried Pater, Klaus Piepel, RETAP Verlag, Bonn 2002, 9,90 Euro, ISBN 3-931988-08-2 (oder Bezug über MVG)

Aktuelle Informationen und Hintergrundberichte finden Sie auf der Homepage der Aktion „fair spielt“ www.fair-spielt.de.

 

 

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