Alle Ausgaben / 2016 Andacht von Luise Metzler

Steinsuppe gegen den Tod im Topf

Andacht zu 2 Kön 4,42-44

Von Luise Metzler

Mögen Sie Eintopf? Wie gut er schmeckt, gerade jetzt im Sommer, gekocht mit allem, was Garten und Feld hergeben, obendrauf bestreut mit frischen Kräutern. Mmmh! Doch nicht immer schmeckt es so. Eintopf kann ungenießbar, ja tödlich sein, gerade in schweren Zeiten. Die Bibel erzählt solch eine Geschichte. Sie steht im 2. Buch der Königinnen und Könige 4,38-41.

„38Der Prophet Elischa kam einst nach Gilgal. Im Land aber war eine Hungersnot. Als die Schülerinnen und Schüler der Prophetie um ihn herumsaßen, sagte er zu seinem Begleiter: ‚Stell' den großen Topf auf den Herd und koche ein Gericht für alle!' 39Da ging einer aufs Feld, um Gemüse zu sammeln. Er fand wilde Ranken und sammelte seinen Umhang mit Wildwuchs voll. Dann ging er und schnitt ihn in den Topf. Sie kannten es nicht. 40Dann stellte er ihnen zu essen hin. Als sie aber aus dem Topf aßen, schrien sie auf und sprachen: ‚Der Tod ist im Topf, Gottesmann!' Und sie konnten nicht weiteressen. 41Da sagte Elischa: ‚Holt Mehl!' Er warf es in den Topf und sagte: ‚Teile es nun den Leuten aus, damit sie essen können!' Nun war nichts Schlechtes mehr im Topf.“

Als ich den Text älteren Frauen vorlas, nickten sie: „Ja! Das kennen wir. Aus der schlechten Zeit.“ Gemeint war die Hungerzeit nach dem 2. Weltkrieg. „Der Hunger war so schlimm, dass wir alles aßen, was wir finden konnten, sogar Gras. Hauptsache, es war etwas im Magen. Dabei konnte es passieren, dass auch Ungenießbares und Giftiges in den Topf kam. Wer kennt schon alles, was draußen wächst? Es war gefährlich. Ich hab damals viel gelernt.“

Hunger ist ein großes Thema in der Bibel. Die Menschen in der Antike kannten Hunger – durch Dürre, durch Heuschreckenplagen, durch Kriege, die das Land verwüsteten, so dass nichts wuchs. Hunger konnte sogar Kannibalismus zur Folge haben. Solches wird Gott als Verzweiflungstat Hungernder in den Klageliedern zu Ohren gebracht: „Frauen verzehren ihre Leibesfrucht, ihre liebevoll umhegten Kinder.“1 Wer hungert, hat keine Wahl. Was immer zu finden ist, muss gegessen werden – damals wie heute. Denn auch heute ist Hunger weltweit ein Thema. Nicht nur Flüchtlinge aus Syrien können davon erzählen. Der beginnende Klimawandel lässt schon jetzt viele Menschen besonders in den Dürre- und Kriegsgebieten Afrikas Hunger leiden.

Und dann gibt es biblische Texte, die davon erzählen, das Hunger besiegt werden kann, dass jemand hilft – ein Mensch oder Gott durch einen Menschen. Allen voran das Buch Ruth, wo zwei Frauen sich nach Bethlehem flüchten, nach „Brothausen“, wie es übersetzt heißt, und dort solidarische Menschen finden, durch die sie überleben.

Auch die Geschichte vom Tod im Topf, die Sie eben gehört haben, handelt von einer schlechten Zeit. „Im Land war eine Hungersnot.“ Ein Schreckenssatz, der viele Assoziationen wach ruft!

Doch die Erzählung beginnt nicht damit. Als Erstes erfahren wir, dass Elischa, der Prophet, nach Gilgal kommt. Das lässt Gutes hoffen. Elischa als Nachfolger des großen Propheten Elia soll Israel hüten und vor Schaden bewahren. Ebenso wie Elia wirkt er hilfreich, wo Menschen in Not sind. Viele Leben rettende Wunder werden von ihm erzählt. Wasser, das Tod und Fehlgeburten verursacht, verwandelt er in Trinkwasser.2 Das Öl einer Witwe vermehrt er auf wunderbare Weise. Dadurch rettet er sie und ihre Kinder vor Schuldsklaverei.3 Überall, wo dieser Gottesmann erscheint, verwandelt sich Tod in Leben, oft indem wieder Lebensmittel da sind. So auch hier: Elischa lehrt seine Schülerinnen und Schüler nicht nur. Er organisiert auch die Verpflegung angesichts der Hungersnot so gut er kann. Elischa schickt jemanden raus, um Gemüse zu suchen, und ich sehe ausgedorrtes Land vor mir, in dem wegen des Hungers nichts mehr zu finden ist. Draußen wachsen nur noch dem Mann unbekannte wilde Ranken. Gemeint sind Koloquinten, bei uns auch „Purgiergurke“ oder „Bitterapfel“ genannt. Sie wachsen vor allem auf trockenen Böden mit gestörter Vegetation. Ihre heilende Wirkung wurde schon in der Antike genutzt, als Abführmittel, gegen Ischias, bei Gelenkschmerzen oder bei Biss­wunden durch giftige Tiere. Salomo schmückte seinen Tempel mit Abbildungen der Koloquinte.4 Wie oft bei Heilpflanzen ist es gefährlich, größere Mengen zu verzehren. Blutige Durchfälle, Entzündungen der Verdauungsorgane bis hin zum Tod drohen. Die Wirkstoffe gehen in Harn und Muttermilch über und können Fehlgeburten auslösen.

Zum Glück ist der Geschmack der Ko­loquinte bitter und abschreckend. Das merken Elischas Schülerinnen und Schüler. Sie erkennen die Todesfrucht an ihrem Geschmack und schreien auf: „Der Tod ist im Topf, Gottesmann!“ Was nun? Hunger angesichts des vollen Topfes? Die Hoffnung, nicht länger hungern zu müssen, stirbt, als sie die tödliche Speise schmecken. Eine aussichtslose Situation, die nur zu viele Menschen auf der Welt kennen: Was tun, wenn Menschen zu verhungern drohen und es nichts Ess­bares gibt? Woher kommt Hilfe?

Indem die Hungernden ihre Not herausschreien, behaften sie Elischa an dem, was er ist: „Gottesmann!“ Ein Wunder geschieht. So wie Elischa als Gottesmann früher das ungesunde Wasser durch Salz in Trinkwasser verwandelt hatte, so schüttet er jetzt Mehl in den Topf und alle werden satt. Die Hungernden schmecken nichts Bitteres, nichts Tödliches mehr. Das Schlechte ist in Gutes verwandelt. Gott hilft, wie Maria es später besingt: „Hungrige füllst Du mit Gutem.“5 Ähnliches Gotteslob erklingt in den Psalmen: „Sie werden in der Zeit des Unheils nicht scheitern, in den Tagen des Hungers werden sie satt.“6 Elischa wird zur Hand Gottes: „Sie schrien zur Ewigen in ihrer Angst und sie rettete sie aus aller Bedrängnis. … Gesättigt hat sie die dürstende Kehle, die hungrige Kehle mit Gutem gefüllt.“7

Ich sehe Fragezeichen in Ihren Gesichtern: „Das soll ich glauben? Hungersnot? Essen, das nach Tod schmeckt, und dann kommt einer mit Mehl – Friede, Freude, Eierkuchen, alles ist gut? Was soll das?“ Sie haben Recht mit Ihren Zweifeln, denn solchen Kinderglauben will die Bibel nicht vermitteln. Die Bibel lädt dazu ein zu vertrauen und gemeinsam zu versuchen, dass Not endet. Wundergeschichten sind Versuche der antiken Religionen, reale Erfahrungen von Rettung und Befreiung zu deuten. Die Menschen erzählen sie sich als Hoffnungsgeschichten, als Mutmachgeschichten, als wunderbare Geschichten von Rettung aus Verzweiflung. Heute reden wir anders, aber Wunder gibt es auch.

Lassen Sie mich ein Wunder aus einem Armenviertel aus Kuba erzählen. Ich kenne es von Reyita, einer schwarzen, armen und unglaublich mutigen Frau aus Kuba. Sie erzählt, es sei unter den Armen üblich, „Steinsuppe“ zu kochen.

„Wenn eine Frau verzweifelt war, weil sie nichts mehr zum Kochen hatte, dann ging sie zu den anderen und sagte: Heute koche ich Steinsuppe. Oder sie wurde gefragt:
Was wirst du heute kochen?
Ich weiß nicht, ich glaube, ich werde eine Steinsuppe kochen.
Und immer konnte sie auf Solidarität zählen.
Gut, ich habe noch Tomaten, ich gebe dir …
Ich habe Kartoffeln.
Ich habe Bocksklauen.
Das ging immer so weiter, erzählt Reyita. Du hattest alle Probleme gelöst und hast am Ende nicht eine einfache Suppe, sondern einen großartigen Eintopf gekocht. Ich habe meinen Nachbarn viel für ihre Steinsuppen gegeben. Aber ich schäme mich nicht zu sagen, dass auch ich oft ‚Steinsuppen' kochen musste.“8

Gott segne alle, die solche Solidarität leben und erleben!

Psalmgebet mit Worten
aus Psalm 33 und 349

Sieh, das Auge der Lebendigen ruht auf denen,
die Ehrfurcht vor ihr haben, die auf ihre Freundlichkeit warten,
dass sie ihre Lebenskraft vor dem Tod entkommen lässt,
sie am Leben erhält in der Hungersnot.
Ja, an Gott freut sich unser Sinn,
ja, auf ihren heiligen Namen haben wir vertraut.
2Ich will die Lebendige segnen die ganze Zeit,
immerfort soll mein Mund ihr zujubeln.
9Schmeckt und seht, wie gütig ist.
Glücklich der Mann, die Frau, die sich bei ihr bergen.
Habt Ehrfurcht vor der Lebendigen,
die ihr durch sie heilig seid!
Ja, denen, die Ehrfurcht haben,
mangelt es an nichts.
Junglöwen darben und hungern,
aber denen, die nach der Lebendigen suchen, wird es nichts fehlen.
Die Augen der Lebendigen ruhen auf den Gerechten,
ihre Ohren hören auf ihren Hilfeschrei.
Als sie schrien, hörte die Lebendige
und rettete sie aus all ihren Bedrängnissen.
Nahe ist die Lebendige denen,
deren Herz gebrochen ist,
deren Lebensmut zerschlagen ist,
die befreit sie.
Amen.

Lied: Text und Melodie Detlef Jöcker Menschenkinder Verlag Münster
(auch EG 623 Ausgabe Hessen Nassau)

1. Du bist da, wo Menschen leben.
    Du bist da, wo Leben ist.
2. Du bist da, wo Menschen hoffen.
    Du bist da, wo Hoffnung ist.
3. Du bist da, wo Menschen lieben.
    Du bist da, wo Liebe ist.
Halleluja! Halleluja! Halleluja! Halleluja!

Dr. Luise Metzler, geb. 1949, Mitglied im Redak­tionsbeirat der ahzw. Sie ist ev. Theologin mit Schwerpunkt Altes Testament und Erwachsenenbildnerin. Ihre Dissertation „Das Recht Gestorbener. Rizpa als Toralehrerin für David“ ist 2015 im
Lit Verlag erschienen. Luise Metzler wurde dafür in Basel mit dem Marga-Bührig-Preis ausgezeichnet.

Anmerkungen
1) Threni 2,20.
2) 2 Kön 19-25.
3) 2 Kön 4,1-7.
4) 1 Kön 7,24.
5) Luk 1,53.
6) Psalm 37,19.
7) Psalm 107,6-9
8) Vgl. Daisy Rubiera Castilo, Ich Reyita. Ein kubanisches Leben, Zürich 2000, 117.
9) Übersetzung Luise Metzler angelehnt an BigS.

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