Alle Ausgaben / 2014 Andacht von Barbara Kohlstruck

Stille Nacht, heilige Nacht

Andacht für Ganzjahres- und Weihnachtschristinnen

Von Barbara Kohlstruck


Die Andacht findet „an zwei Orten“ statt: dort, wo sich die Gruppe tatsächlich trifft, und am Ort des Gottesdienstes am 2. Weihnachtsfeiertag. Die Frauen versetzen sich also gedanklich an einen anderen Ort und feiern dort Teile eines Gottesdienstes mit. Wenn möglich, sitzen die die Frauen im Kreis. Die Mitte sollte schlicht gestaltet sein: ein Kiefernzweig, eine weiße Kerze und ein helles Tuch, auf dem – verdeckt – Zettel mit Begriffen liegen: Fremdheit, Heimatlosigkeit, Heimat, angenommen werden, abgelehnt werden, verstanden werden, Unverständnis, anders sein. Je nach Größe der Gruppe können die Begriffe mehrfach vorkommen.

Begrüßung: Seien Sie herzlich willkommen zu unserem Treffen im Advent. Weihnachten steht vor der Tür, alle sind mehr oder weniger im Weihnachtstress und leben auf den Höhepunkt hin: Heiligabend.
So sehr christliche Traditionen auch infrage gestellt werden – Weihnachten füllen sich unsere Kirchen, rund 9 Millionen, knapp 40 Prozent der Kirchen­mitglieder und wahrscheinlich auch etliche Nicht-Kirchenmitglieder, besuchen die evangelischen Gottesdienste an diesem Abend. Viele freuen sich über so viele unbekannte Gäste, andere regen sich auf. Das soll Thema unserer Andacht heute sein.

Votum:
Wir sind zusammen im Namen Gottes, der seine Sonne aufgehen lässt über Gute und Böse,
im Namen Jesu, der von sich sagt, ich bin das Licht der Welt,
im Namen des Heiligen Geistes, der unser Denken weit macht und unsere Gedanken erleuchtet. Amen.

Lied: Mache dich auf und werde licht

Wir versetzen uns jetzt gedanklich an einen anderen Ort – in die Kirche – und werden dort Zeuginnen eines Gesprächs am 26. Dezember, 9.45 Uhr, in der Kirchenbank. – Das Gespräch wird von zwei anderen Stimmen gelesen, gerne auch gespielt.

Frau Wimmer: Guten Tag, Frau Neuland! Na, auch eine von den ganz Treuen, die sogar am 2. Weihnachtstag noch zum Gottesdienst kommen?
Frau Neuland: Ach, Frau Wimmer, gestern waren unsere Kinder und Enkelkinder da, das ganze Haus war voll, da war es mir einfach zu knapp, morgens noch in den Gottesdienst zu kommen.
Frau Wimmer: Wissen Sie, ich liebe diese Gottesdienste am zweiten Feiertag. Da ist man wieder unter sich. An Heiligabend – das ist ja schlimm. Die Kirche rappelvoll, aber eine Unruhe! Da kommen Leute, die sieht man das ganze Jahr nicht, und die wissen auch nicht, wie man sich in einer Kirche benimmt. Und keines der Lieder können die mitsingen. Und ihre Kinder haben sie auch nicht im Griff, die laufen 'rum und stören, und ich hab Mühe, etwas zu verstehen.
Frau Neuland: Ich find das ja schön, dass Leute wenigstens an Weihnachten den Weg in die Kirche finden.
Frau Wimmer: Das ist doch nur scheinheiliges Getue! Wenn ich mich das ganze Jahr nicht um unseren Herrgott kümmere, dann muss ich auch Weihnachten nicht fromm tun. Die wollen doch nur einen feierlichen Auftakt für ihre Geschenk-Orgie. Und das gute Essen ist überhaupt das Allerwichtigste. Um was es an Weihnachten geht, das kriegen die doch gar nicht mit.
Frau Neuland: Tatsächlich? Worum geht es denn an Weihnachten?
Frau Wimmer: Naja – dass Gott Mensch wurde, den Menschen also ganz nahe kam. Und dass mit diesem Kind etwas ganz Neues begann.
Frau Neuland: Und Sie meinen, die Heiligabendchristen kriegen davon nichts mit? Wissen Sie, meine Kinder und Enkel, die gehen auch nur noch an Weihnachten in den Gottesdienst. Aber der ist ihnen ganz wichtig. Sonst fehlt ihnen an Weihnachten etwas. Sie lieben die Lieder und die Weihnachtsgeschichte – und wehe, da wird nicht Stille Nacht gesungen. Es klingt vielleicht ein bisschen pathetisch, aber ich glaube, die brauchen Weihnachten als Nahrung für ihre Sehnsucht, dass es mit dieser Welt doch noch gut werden kann. „Welt ging verloren, Christ ward geboren …“ – das ist doch die Botschaft von Weihnachten. „Oh du fröhliche“ bei Kerzenschein und im Stehen – da wird meinen Jungs ganz warm ums Herz, und ich glaube nicht, dass das nur Gefühlsduselei ist.
Frau Wimmer: Aber Frau Neuland, so kenn ich Sie ja gar nicht! Bereit, alles hinzunehmen und bei jedem noch was Gutes zu unterstellen?
Leiterin: „Pst, es geht los“, zischt es aus der Vorderbank. Die Orgel beginnt zu spielen, und die Gemeinde singt. Wir stimmen mit ein und singen vom Lied 24 „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ die ersten sechs Strophen.

Gespräch: ENTWEDER bilden Sie zwei Gruppen: Alle, die sich Frau Wimmer nahe fühlen, gehen in eine Gruppe und alle, die sich Frau Neuland nahe fühlen, in eine zweite. Die „Wimmers“ reden über das, was Frau Neuland gesagt hat, und umgekehrt. ODER Sie bilden kleine Murmelgruppen, in denen die Frauen sich darüber austauschen, wem sie sich näher fühlen und warum. Mit einem Klangschalenton oder einer kurzen Musik beenden Sie die Gespräche.
Wir sind wieder in der Kirche und lauschen der Predigt … – evtl. von einer weiteren Stimme lesen lassen; aber es sollte schon „nach Predigt klingen“.

Liebe Gemeinde,
was feiern wir an Weihnachten? Dass Gott als Mensch zur Welt kam. – Ein ungeheuerlicher Gedanke, ein Gedanke, der für andere Religionen kaum akzeptabel ist. Gott ist Gott und eben nicht ein Mensch, und genau das macht seine Göttlichkeit aus. Aber als Christen und Christinnen glauben wir, dass Gott sich in diesem Menschen gezeigt hat, dass wir an diesem Menschen erkennen können, wer und wie Gott ist. Gott kommt in die Welt, zu seinen Menschen, „aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.“ (Joh 1,10.11)
Wie fremd ist der Christus in dieser Welt? Wie fremd ist den Seinen dieser Gast, dieser Besucher? Wie fremd bleibt er ihnen Zeit seines Lebens? Das war schon ganz am Anfang so: kein Raum in der Herberge, niemand, der die schwangere Mutter und den besorgten Vater aufnehmen wollte. „Der Prophet gilt nichts im eigenen Land“, seine Worte werden nicht verstanden oder schlicht abgelehnt. Fremd und geheimnisvoll bleiben vieler seiner Worte, selbst manche Gleichnisse.
Fremdheit, Heimatlosigkeit – eine Grund­erfahrung Jesu. Auch eine Erfahrung von uns Christen in dieser Welt?
Wie mag es Menschen gehen, die aus anderen Ländern zu uns kommen, als Christen aus dem Irak zum Beispiel. Können sie mit der Art, wie wir unseren Glauben leben, etwas anfangen? Wie mag es Menschen gehen, die nur selten in einen Gottesdienst kommen, denen Lieder und Liturgie unvertraut sind, die nicht wissen, wann sie sitzen und wann sie stehen sollen? Wie mag es manchem treuen Gemeindeglied gehen, wenn es sich in der eigenen Kirche nicht mehr zuhause fühlt, weil so viele da sind, die man nicht kennt?
Christus ließ sich nicht aus dieser Welt drängen. Er ließ sich auf diese Welt ein, warb um die, die ihn ablehnten, wollte, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kämen. Er hat sich der Menschen angenommen, unterschiedslos.
Weihnachten – das heißt, wir erinnern uns, was mit Christus in die Welt kam und seitdem widerständig und unverrechenbar in dieser Welt ist: die Liebe Gottes, die sich nicht vertreiben und nicht töten lässt und in der wir einander annehmen können, so wie Christus uns angenommen hat. Amen

Leiterin: Die beiden Frauen waren gedanklich etwas abgeschweift, aber jetzt singen sie doch mit. Stimmen auch wir noch einmal ein in die Strophen 7-9 vom begonnen Lied …

Nach dem Gottesdienst wünschte man sich nochmals frohe Weihnachten, erkundigte sich nach Kindern, Eltern und dem Festtagsessen. Frau Wimmer und Frau Neuland haben ein Stück gemeinsamen Wegs – hören wir ihrem Gespräch noch einmal zu:
Frau Wimmer: Da geht man Jahr für Jahr in den Gottesdienst und hört hunderte von Predigten und immer wieder dieselben Texte. Aber dann hat man plötzlich das Gefühl, erst in diesem Moment etwas wirklich verstanden zu haben. Das mit der Fremdheit – das hat mich doch ins Nachdenken gebracht. Es stimmt ja, dass der Jesus immer irgendwie fremd bleibt in dieser Welt. Der war nicht wie alle anderen, schon gar nicht wie die Großen und Wichtigen. Meine Tochter, die würde wohl sagen, der hat so was Subversives, sowas Widerständiges.
Frau Neuland: Meine Gedanken gingen in eine andere Richtung. Letztes oder vorletztes Jahr gab es doch diese Jahreslosung, da kam auch was von Heimatlosigkeit vor – wie lautete sie noch?
Frau Wimmer: „Wir haben hier keine bleibende Stadt…“, so fing sie an.
Frau Neuland: Genau! So ganz heimisch können wir als Christen hier vielleicht gar nicht sein. Vielleicht ist so ein Stück Fremdheit gut, um die verstehen zu können, die sich auch fremd fühlen – wenn auch aus ganz anderem Grund.

(Predigtnach-) Gespräch; Impuls:
Fremd sein – eine christliche Grunderfahrung? Können Sie damit etwas anfangen? Welche biblischen Beispiele für Fremdheit fallen Ihnen noch ein? Welche Erfahrungen von Fremdheit haben Sie schon gemacht, und was hat Ihnen da geholfen?

Lied: Gott liebt die Welt mit ihrer Schuld (Mennon. Gesangbuch Nr. 254) oder: Weil Gott in tiefster Nacht erschienen (EG 56)

Gebet: Unser abschließendes Gebet wollen wir gemeinsam gestalten – die Begriffe aufdecken und auf dem Tuch verteilen. Vor Ihnen liegt eine Reihe von Begriffen. Vielleicht löst der eine oder andere einen Gedanken bei Ihnen aus, den Sie laut formulieren möchten? Dann nehmen Sie den Zettel und sprechen Ihre Bitte, Ihren Gebetsgedanken nachher aus und schließen mit den Worten: „Gott du hörst, was wir sagen, du verstehst, was wir denken“. Wenn Sie nichts sagen möchten, können Sie auch einfach den Begriff nehmen und ihn später mit den Worten „Gott du hörst, was wir sagen, du verstehst, was wir denken“ wieder hinlegen. Sie können aber auch einfach in Stille mitbeten. – Es ist gut, mit einer Frau abzusprechen, dass sie mit einer Bitte, einem Gedanken beginnt. Nicht hetzen, aber es sollte auch keine unangenehme Länge bekommen. Wenn niemand mehr einen Zettel in der Hand hält:
Beten wir mit Jesu Worten gemeinsam weiter:

Vater Unser

Noch xx Tage bis Weihnachten. Ich wün­sche Ihnen allen eine gute Zeit bis dahin – mit viel Gelassenheit gegenüber allen Erwartungen und allem, was vielleicht anders ist, als man es sich wünscht.

Lied: Seht, die gute Zeit ist nah (EG 18)

Segen:
Gottes Kommen berühre dein Herz und mache es weit und offen
für das Licht, das von Weihnachten in dein Leben strahlt,
dass du offen wirst für alle Menschen, denen du begegnest.
Gottes Friede mache dich ruhig und gelassen,
dass du in Frieden leben kannst mit allen Menschen.
Gottes Nähe umhülle dich mit Wärme und Freundlichkeit,
die du weitergeben kannst an alle Menschen.
So segne dich der menschenfreundliche Gott. Amen

Barbara Kohlstruck, geb. 1959, war zehn Jahre theologische Referentin in der Evangelischen Arbeitsstelle Bildung und Gesellschaft, Fachbereich Frauen in der Ev. Kirche der Pfalz. Seit 2012 ist sie Dekanin des Prot. Kirchenbezirks Ludwigshafen. Sie ist im Präsidium der EFiD zuständig für Öffentlichkeitsarbeit und daher auch Mitglied im Redaktionsbeirat der ahzw.

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