Ausgabe 1 / 2012 Bibelarbeit von Rainer Kessler

Suchet der Stadt Bestes

Jeremia 29,7 – kein Wort für Sonntagsreden

Von Rainer Kessler

Gibt man bei Google den Suchbefehl „Suchet der Stadt Bestes“ ein, erhält man über 30.000 Treffer, weitere 20.000 liefert „Suchet der Stadt Bestes Bibel“, mit etlichen Überschneidungen. Die kurz gefasste Aufforderung aus dem so genannten Brief des Propheten Jeremia an die Verbannten in Babel erfreut sich offenbar großer Beliebtheit.

Viele der Treffer weisen auf Predigten. Gerne wird der Spruch als Leitwort für kirchliche Veranstaltungen genommen, von Einzelgemeinden über Synoden bis zu Akademietagungen. Benutzt wird das Wort in allen Konfessionen. Das ist nicht selbstverständlich, denn der Wortlaut findet sich so ausschließlich in der Lutherbibel und geht auf Martin Luthers eigene Übersetzung zurück. Dagegen wählen andere evangelische und katholische Übertragungen einen anderen Wortlaut: „Bemüht euch um das Wohl der Stadt“ (Einheitsübersetzung), „Sucht das Wohl der Stadt“ (Zürcher Bibel 2007) oder „Seid um das Wohl der Stadt besorgt“ (Bibel in gerechter Sprache). Aber sie alle kommen gegen Luther nicht an.

Längst ist das Wort ins allgemeine Sprachgut eingewandert. Es wird besonders im politischen Kontext gerne eingesetzt. Eine 2006 herausgekommene so genannte Politikerbibel, in der 56 prominente Politikerinnen und Politiker ein Bibelwort auslegen, steht unter dem Titel „Suchet der Stadt Bestes“. Der SPD-Landesverband Niedersachsen lädt im Mai 2011 zu einer Veranstaltung mit einer Oberkirchenrätin der EKD ein; den Kopf der Einladung ziert das Bibelwort zusammen mit dem Logo der Niedersachsen-SPD. Der CDU-Stadtverband Leonberg verspricht auf seiner aktuellen Homepage: „Suchet der Stadt Bestes – so, wie es dieses Bibelwort (Jeremias 29,7) fordert, wollen wir lösungsorientierte Politik für Leonberg machen. Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt.“ Und die Greifswalder Grünen stellen einen Artikel „Vorpommern-Greifswald wird Grün“ unter eben diese Überschrift.

So viel positive Aufnahme eines Bibelwortes ist zunächst Anlass zur Freude. Und viele der via Google zu findenden Einträge setzen sich gründlich und tief gehend mit dem Jeremia-Text auseinander. Gleichwohl, gerade inflationärer Gebrauch birgt die Gefahr, dass das Wort zur Garnitur für Sonntagsreden verkommt. Ein genauer Blick zeigt, dass es sich dafür allerdings überhaupt nicht eignet. Denn es handelt nicht einfach allgemein von bürgerschaftlichem Engagement, wie es vor allem im politischen Bereich gerne gebraucht wird. Sondern es spricht in eine ganz spezifische Situation hinein. Und in ihr entfaltet es eine durchaus kritische Kraft.

Babel – der Berg des Verderbens
(Jer 51,25)
Die Stadt, deren Bestes die von Jeremia angeredeten Judäerinnen und Judäer suchen sollen, sind weder die Kommunen Niedersachsens noch das württembergische Leonberg noch die Hansestadt Greifswald. Es ist auch nicht Jerusalem. Es ist Babel, wohin die AdressatInnen des Briefes mit Gewalt verschleppt wurden. Babel ist die Metropole und das Imperium der Epoche. 586 v. Chr. hat Nebukadnezzar II., der König von Babylon, Jerusalem erobert und zerstört. Ein Viertel bis ein Drittel der Bevölkerung wurde nach Babylonien deportiert, ins Kerngebiet des Weltreiches. An diese schreibt Jeremia. Im Einleitungsvers zu Jer 29 heißt es, dass Jeremia ein Schreiben „von Jerusalem“ geschickt habe an die Verbannten, „die Nebukadnezzar von Jerusalem nach Babel in die Verbannung geführt hatte“ (V. 1). Die Stadt, deren Bestes zu suchen ist, ist Babel.(1)

Wenn wir es mit der heutigen Situation vergleichen, dann entspricht „die Stadt“, von der der Text spricht, der Großmacht USA oder der „Festung Europa“. Der Text richtet sich nicht an deren angestammte Bewohnerschaft, sondern an eine kleine MigrantInnengruppe, die neben vielen anderen Versprengten dort lebt. Sie sollen sich für das Wohl der Metropole einsetzen, in der sie leben.

Im Zusammenhang wird deutlich, was das konkret bedeutet (Jer 29,5-7 in der Übersetzung der Luther-Bibel): „5 Baut Häuser und wohnt darin; pflanzt Gärten und esst ihre Früchte; 6 nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter, nehmt für eure Söhne Frauen, und gebt eure Töchter Männern, dass sie Söhne und Töchter gebären; mehret euch dort, dass ihr nicht weniger werdet. 7 Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum Herrn; denn wenn's ihr wohlgeht, so geht's auch euch wohl.“ Dieses Programm ist nicht schwer zu verstehen. Es geht im ersten Teil um die dauerhafte Ansiedlung. Man soll sich nicht im Provisorium und auf gepackten Koffern fühlen. Der zweite Teil zielt auf die Vermehrung in der Fremde, wobei der Blick von der eigenen Generation über die der Söhne und Töchter bis zu den Enkelkindern reicht. Und schließlich geht es im dritten Teil um „der Stadt Bestes“, wie Luther übersetzt. Auf Hebräisch heißt es: „Sucht den Schalom der Stadt“, mit der Begründung: „denn in ihrem Schalom werdet ihr Schalom haben“.

Das Programm dieser Verse ist, kurz gesagt, die Aufforderung sich zu integrieren. Die Minderheit, die in der Fremde, im Kernland des Imperiums lebt, soll sich integrieren – das erinnert sofort an den nicht verstummenden Ruf an hier, im Herzen Europas lebende Minderheiten von MigrantInnen, sie sollten sich gefälligst integrieren. Und diese Aufforderung ist ja auch nicht falsch, wenn denn nicht Integration und Assimilation verwechselt werden. Integration ist geboten, das schreibt Jeremia an seine exilierten jüdischen Landsleute in Babylonien. „Sucht den Schalom Babels, sucht den Schalom Deutschlands, sucht den Schalom Europas“, „denn in ihrem Schalom werdet ihr Schalom haben“. Aber Integration ist etwas anderes als Assimilation unter Aufgabe der eigenen Identität.

Grenze und Ende der Integration
Die nach Babylonien verbannten Judäer und Judäerinnen sollen sich ökonomisch integrieren („Baut Häuser und wohnt darin; pflanzt Gärten und esst ihre Früchte“, V. 5), sie sollen sich für das Wohl, den Schalom, das Beste der Stadt, also des Gemeinwesens Babel einsetzen und dafür zu ihrem Gott beten (V. 7). Aber sie sollen als jüdische Gruppe beisammen bleiben und sich vermehren. Bei den empfohlenen Eheschließungen handelt es sich nämlich auf keinen Fall um interkulturelle Ehen mit Männern und Frauen aus Babylonien oder anderen dort lebenden Völkern.(2) Solche Ehen wurden mit Misstrauen betrachtet, besonders dann, wenn sie zum Verlust der religiösen Identität zu führen drohten.(3)

Dass in Jer 29,5-7 ausschließlich an innerjüdische Eheschließungen gedacht ist, geht eindeutig aus dem Satz hervor, der die Aufforderung zum Heiraten abschließt: „mehret euch dort, dass ihr nicht weniger werdet“ (V. 6). Es geht darum, dass die Exilierten sich nicht durch zu wenige Geburten schwächen. Der Wortlaut erinnert an den Anfang des Exodusbuches, wo es heißt, dass die wenigen Menschen aus der Sippe Jakobs, die nach Ägypten ausgewandert waren, sich mehrten und zu einem zahlreichen Volk wurden (Ex 1,7.9). So wie damals sollen jetzt die MigrantInnen in Babylon zum großen Volk werden. Sie sollen nicht aufgehen in der Mehrheitsgesellschaft, sondern stark in ihr sichtbar bleiben.

Schon die wenigen Worte von Jer 29,5-7 zeigen eine doppelte Grenze der Integration. Die eine besteht, wie eben gesehen, darin, dass die eigene Volksgruppe nicht nur erhalten bleiben, sondern sogar durch Geburten noch vermehrt werden soll. Das passt nun so gar nicht zur heutigen unreflektierten Verwendung des Bibelwortes als allgemeine Aufforderung zum bürgerlichen Engagement. Als Ganzes genommen fordert das Wort die Minderheit in der Metropole auf, sich durch Vermehrung zu stärken. Wo muslimische Migrantinnen solches in Europa praktizieren, wird es allerdings mit Missgunst betrachtet. Man muss dabei nicht nur an die verächtlichen Ausfälle Thilo Sarrazins gegen die Fertilität türkischer Frauen denken.

Eine zweite Grenze der Integration markiert unser kurzer Text nur indirekt. Sie wird an der Mahnung erkennbar, die Judäerinnen und Judäer sollten zu ihrem Gott Adonaj beten (bei Luther werden die vier Buchstaben des Gottesnamens JHWH auf traditionelle Weise mit „der Herr“ wiedergegeben) (V. 7). Sie sollen nicht zu Marduk und den Göttinnen und Göttern Babylons beten, sondern zu ihrem Gott. Mit andern Worten, sie sollen auch in der Fremde ihre religiöse Identität bewahren. Faktisch hat die jüdische Gemeinschaft in Babylonien dies dadurch getan, dass sie die Verehrung JHWHs zum Monotheismus ausgeweitet hat, das heißt, dass sie die Existenz der babylonischen Götterwelt als Ganze geleugnet hat. Dazu wurden dann im babylonischen Exil Identitätssymbole gefunden, die bis heute jüdische Identität prägen: die Beschneidung, das Halten des Sabbats und die Speisegebote.

Enthalten schon die drei Verse von Jer 29,5-7 eine doppelte Grenze der Integration, dann zeigt die Fortsetzung des Textes, dass sogar ein Ende des Aufenthaltes in Babel in den Blick genommen wird. Nur wenige Verse später wird ein Gotteswort angefügt. „… so spricht Adonaj: Wenn für Babel siebzig Jahre voll sind, so will ich euch heimsuchen und will mein gnädiges Wort an euch erfüllen, dass ich euch wieder an diesen Ort bringe. Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht Adonaj: Gedanken des Friedens (des Schalom) und nicht des Leides, dass ich euch gebe das Ende, des ihr wartet“ (V. 10f).

Zum vierten Mal erscheint das Stichwort Schalom: Gott hat „Gedanken des Schalom“ über die Verbannten. Aber jetzt geht es gerade nicht um den Schalom der Stadt Babel, deren Schalom zum Schalom der Verbannten werden soll. Sondern jetzt geht es um einen Schalom, der ausdrücklich an die Rückkehr „an diesen Ort“ gebunden ist. Nach der Logik des Briefes kann dieser Ort nur Jerusalem sein. Nach siebzig Jahren sollen die Verbannten wieder nach Jerusalem zurückgebracht werden. Die Aufforderung, der Stadt Babel Bestes zu suchen, steht unter dem Vorbehalt der siebzig Jahre. Im Prinzip handelt es sich um eine befristete Aufforderung. Eine solche Befristung aber macht nur Sinn, wenn die Migranten in der Fremde ihre Identität wahren.

Der doppeldeutige Schalom
Die doppelte Aufforderung an die nach Babylonien verbannte jüdische Minderheit, sich kräftig zu vermehren und die eigene, vor allem die religiöse Identität zu wahren, steht quer zu einer Inanspruchnahme des Jeremiawortes für bürgerschaftlichen Einsatz von Jedermann und Jederfrau aus der Mehrheitsgesellschaft. In unsere Situation übertragen ist das die Aufforderung an Minderheiten, sich zwar zu integrieren, vor allem wirtschaftlich und politisch – aber eben nicht kulturell und religiös in der Mehrheitsgesellschaft aufzugehen. Das ist ernst zu nehmen, auch wenn es gegenüber einem allzu glatten Gebrauch des Wortes irritiert.

Können wir uns denn dann wenigstens an das schöne Wort Schalom halten, Luthers so eingängiges „der Stadt Bestes“? Schalom ist im Hebräischen umfassend zu verstehen. Es heißt Friede und Heil, Wohlergehen und Wohlstand, und eben auch das Beste. Und das Heil, das es bezeichnet, ist in der Hebräischen Bibel so wohltuend diesseitig, materiell und körperlich gedacht. Es geht – und da hat der übliche Gebrauch von „Suchet der Stadt Bestes“ durchaus recht – um politisches, gesellschaftliches und wirtschaftliches Wohlergehen.

Trotzdem, Jeremias Mahnung, den Schalom der Stadt Babel zu suchen, hat durchaus ihre irritierende Seite. Sie zeigt sich, wenn wir das Jeremiabuch als Ganzes in den Blick nehmen. Das Wort Schalom kommt bei Jeremia oft vor, 29 Mal. Aber es steht keineswegs immer in einem positiven Kontext. Jeremia warnt vor Propheten, die Schalom verkündigen und dabei lügen (14,13; vgl. 28,9). In einer äußerst scharfen Polemik wendet er sich gegen Priester und Propheten, denen er vorwirft: sie „gehen alle mit Lüge um und heilen den Schaden meines Volks nur obenhin, indem sie sagen: ‚Friede! Friede!', und ist doch nicht Friede“ (6,13f = 8,10f). Jeremias Zeitgenosse Ezechiel greift das Wort etwas später auf. Er beschuldigt die Propheten, „weil sie mein Volk verführen und sagen: ‚Friede!', wo doch kein Friede ist, und weil sie, wenn das Volk sich eine Wand baut, sie mit Kalk übertünchen“ (Ez 13,10).

Nach dem Jeremiabuch kann der Schalom sträflich missbraucht werden. Jeremia klagt an, dass das gerade in Jerusalem geschehen ist. Ein solcher Missbrauch geschieht, wenn mit der frommen Rede vom Schalom reale gesellschaftliche Widersprüche übertüncht werden. Die Propheten, die Schalom rufen, wo gar kein Schalom ist, nennt Jeremia Lügner. Es geht nicht um ein Mitmachen um jeden Preis. Die Aufforderung, der Stadt Bestes zu suchen, kann auch heftigen Einspruch, scharfen Widerspruch, unerbittliche Opposition bedeuten, und diese kann durchaus auch zu Unfrieden und Spaltungen führen. Der Prophet Jeremia selbst ist das beste Beispiel. An ihm schieden sich die Geister, er wurde verfolgt, gefoltert und mit dem Tod bedroht. Ein die wirklichen Konflikte und Widersprüche übertünchendes „Schalom!“ war gerade nicht seine Sache.

Heute lassen sich durchaus – und gerade auch aus dem Bereich der Politik – Stimmen vernehmen, die die Rolle der Kirche im Wesentlichen in der Reparatur gesellschaftlicher Missstände sehen. Da wird die segensreiche Arbeit der Tafeln aufs Höchste gelobt. Die meisten, die aktiv in der Tafelbewegung mitmachen, wissen aber sehr wohl, dass die Tafeln nur notwendig sind, weil es in unserem Land eine immer ungleichere Verteilung des Wohlstands gibt und immer mehr Menschen ausgeschlossen und in materielle Armut gedrängt werden. Dies mit „Schalom! Schalom!“ zu verdecken, wäre der falsche Weg.

Wir sollen der Stadt Bestes suchen, ihren Schalom. Aber wir dürfen darüber die Schärfe des prophetischen Blickes nicht verlieren, der uns zwischen wirklichem Schalom und nur zur Verkleisterung darüber getünchtem Schalom unterscheiden lehrt. Wenn wir uns zum Verkleistern hergeben, werden wir als Lügner dastehen.

Für die Arbeit in der Gruppe

Ziel

Die Teilnehmerinnen erkennen, dass es bei der Aufforderung Jeremias nicht -allgemein um bürgerschaftliches Engagement, sondern um Fragen der Inte-gration und Identitätswahrung einer -kleinen Gruppe von Migrantinnen und Migranten innerhalb der dominanten Mehrheitsgesellschaft geht. Sie üben sich dabei in den Perspektivenwechsel zwischen den BewohnerInnen der „Heimat Europa“ und hier lebenden Migrantinnen und Migranten ein.

Material

– Gesangbücher
– großer Papierbogen zum Anheften oder Tafel
– Kopie von Jer 29,5-7 (in der Übersetzung der Luther-Bibel) oder einfach Bibeln:
5 Baut Häuser und wohnt darin; pflanzt Gärten und esst ihre Früchte;
6 nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter, nehmt für eure Söhne Frauen, und gebt eure Töchter Männern, dass sie Söhne und Töchter gebären;
mehret euch dort, dass ihr nicht weniger werdet.
7 Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum Herrn; denn wenn's ihr wohlgeht, so geht's auch euch wohl.

für AbonnentInnen unter www.ahzw-online.de / Service zum Herunterladen vorbe-reitet

Lied
Komm in unsre stolze Welt (EG 428)

Gesprächsrunde
Die Teilnehmerinnen werden aufgefordert, assoziativ Gedanken zu dem Wort „Suchet der Stadt Bestes!“ im Zusammenhang mit dem Stichwort „Heimat Europa“ zu formulieren. Die Leiterin schreibt Stichworte auf die linke Seite eines Bogens. Rechts sollen später Äußerungen im Kontrast zum spontanen Vorverständnis zu stehen kommen.

Herausforderung Jeremia 29,5-7
Nun wird der Text von Jer 29,5-7 gelesen. Danach informiert die Leiterin kurz über den Kontext des Textes. Sie schlägt vor, das „Babel“ des Jeremia-Kontextes mit unserer „Heimat Europa“ und die angeredeten Jüdinnen und Juden mit Migrantinnen und Migranten in Europa gleichzusetzen.

Dann bilden sich zwei Gruppen.
Die eine Gruppe diskutiert über die Begriffe „Heimat Europa – Festung -Europa“: Was befürchten wir von Migrantinnen und Migranten? Was erhoffen wir von ihnen? Wie viel Integration erwarten wir von ihnen? Was wäre „der Stadt Bestes“, zu dem sie beitragen könnten? Die andere Gruppe spricht über die Frage „Wenn wir ‚in Babel' wären“: Woran würden wir in der Fremde festhalten? Wovor hätten wir Angst? Zu wie viel Integration wären wir bereit? Was würden wir von unseren Kindern und Enkeln erwarten?

Anschließend wird im Gespräch in der Gesamtgruppe versucht, die verschiedenen Perspektiven der beiden Gruppen aufeinander zu beziehen. Dies kann auf dem Papierbogen den Äußerungen der Eingangsrunde gegenüber gestellt werden.

Es kann gut sein, dass es in der Gruppe Menschen gibt, die selbst Erfahrungen mit Migration haben. Ich denke an Menschen, die aus Siebenbürgen oder anderen deutschen Siedlungsgebieten kommen und dort teilweise über Jahrhunderte hinweg Erfahrung mit Integration und Identitätswahrung gemacht haben. Ich denke auch an Menschen, die in der Familie Erfahrung mit Auswanderung (in die USA und anderswo hin) gemacht haben. Sie sollten ermutigt werden, ihre Erfahrungen einzubringen.

Zum Schluss kann der Versuch gemacht werden, ähnlich bündig wie in Jeremias „Suchet der Stadt Bestes!“ ein Wort aus der Heimat Europa an die hier lebenden Minderheiten zu richten.

Lied
Brich mit den Hungrigen dein Brot
(EG 420)

Prof. Dr. Rainer Kessler, geb. 1944, war von 1993
bis 2010 Professor für Altes Testament in Marburg. Seitdem befindet er sich im Ruhestand. Für die Bibel in gerechter Sprache hat er die Bücher Samuel (zusammen mit Dr. Uta Schmidt) sowie die Propheten Micha und Maleachi übersetzt.

Anmerkungen:
1 Sicher stammt der Gesamtbrief von Jer 29 in der Form, in der er sich in der Bibel findet, nicht von Jeremia (bisweilen hat man Baruch als Verfasser angesehen, vgl. Weiser, 259). Ob einzelne Elemente auf den Propheten selbst zurückgehen oder – wie vieles im Jeremiabuch – erst später auf den Propheten zurückgeführt wurden, ist in der Forschung umstritten. In letzterem Fall würden sich die Worte an die in Babylonien lebenden Nachkommen der Verbannten richten (vgl. Fischer, 91: „Eher legen die geschilderten Verhältnisse eine deutlich spätere Zeit des Exils nahe“). An der inhaltlichen Bedeutung des Textes ändert diese offene Frage nichts.
2 Volz, 272: „Jeremia meint v. 6 nicht …, die Juden sollten sich mit babylonischen Mädchen verheiraten, damit Familien gegründet würden“. Zurückhaltender Fischer, 94, der kommentiert, „daß der Text offen
ist und nicht explizit formuliert, woher die Partner stammen“.
3 Kessler

Verwendete Literatur
Georg Fischer: Jeremia 26-52 (HThKAT), Freiburg u.a. 2005
Rainer Kessler: Die interkulturellen Ehen im perserzeitlichen Juda, in: A. Herrmann-Pfandt (Hg.), Moderne Religi-onsgeschichte im Gespräch. Interreligiös – Interkulturell – Interdisziplinär, FS Ch. Elsas, Berlin 2010, 276-294
Paul Volz: Der Prophet Jeremia (KAT X) [1928], Hildesheim u.a. 1983
Artur Weiser: Das Buch des Propheten Jeremia. Kapitel 25,15 – 52,34 (ATD 21), Göttingen 1955

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