Schmuckgestalterin – der Beruf wurde ihr nicht in die Wiege gelegt. Denn die 1972 in Naumburg geborene Sybille Richter, die mit ihren beiden Kindern in und ihrem Partner in Halle lebt und dort selbständig arbeitet, entstammt einer Familie, die mehr in Theologie und Politik zuhause ist als im Handwerklichen. Im Porträt, das die Mutter von der Tochter zeichnet, werden gleichwohl die Verbindungslinien sichtbar.
„Als Kind habe ich oft den Schmuck aus deinem Nähtischchen geholt und damit gespielt. Deine Ketten habe ich meinen Puppen ins Haar geflochten und nicht wieder herausbekommen. Dann gab es Ärger mit dir. Ich glaube, es waren viele Ketten von meiner Großmutter.“ Das Nähtischchen war also die Schatzkiste, aus der die Schätze kamen, und damit die Inspiration.
Was war das für Schmuck? Großmutterschmuck: eine Art Déco (1) Kette in weiß-rot, eine silberne Eichenblattbrosche, Bernsteinanstecker aus den Kriegsjahren, als Leuchtpunkte auf der Kleidung für den Gang durch die abgedunkelte Stadt. Aber auch Urgroßmutterschmuck, Modeschmuck von 1900: schwarz-weiße Glasperlenketten, Perlmuttbroschen, Hutnadeln mit einer Perle. „Die Ketten von meiner Großmutter habe ich auseinander genommen und neu aufgefädelt. Oh Gott – warum hast du das zugelassen? Was gäbe ich darum, wenn ich die noch hätte!“ Das Nähtischchen also war der Ort, woher die Anregungen kamen.
Der Mensch, der anregte und förderte, war der Vater. Das Spielen mit dem Vater war ein Spielen mit Stiften, Pinseln und Farben. „Zeichnen und Malen und Formen war immer ein Thema zwischen Papa und mir – Ihr anderen wart daran nicht beteiligt. Und dann gab es noch die Töpferfamilie in den Weinbergen. Mit Ton konnte man mich auch locken.“ Sie sagt, dass für sie von Kindesbeinen an klar war: Ich werde einmal Schmuck machen. Aber es war ein langer Weg bis dahin.
Zunächst einmal war der Zugang zur Oberschule nicht möglich, und trotz vieler Interventionen stellte der Bezirksschulrat nur in Aussicht: Straßenbauer mit Abitur. Aber dann kam die Wende, und das Gymnasium öffnete nun doch seine Türen. Die Vorbereitung auf das Abitur war jedoch zweitrangig: Die Jugendlichen waren vor allem damit beschäftigt, ihre Schule neu zu erfinden, die Lehrpläne mitzubestimmen, den Lehrern und Lehrerinnen auf die Finger zu klopfen, eine Schulzeitung zu machen und im Unterricht gesellschaftliche Themen zu diskutieren, auch wenn vielleicht gerade Chemie an der Reihe war. Sie sagt: „Ich musste mich in dem neuen Deutschland zurechtfinden.“ Und das musste sie wirklich, denn sie war ja in einer Familie groß geworden, die immer ein bisschen quer stand zum DDR–Staat. Das drückte sich etwa darin aus, dass sie am 1. Mai nicht an der obligatorischen Demonstrationteilnahm, sondern am Gottesdienst, den ihre Eltern hielten, und dort ein Gedicht des utopischen Sozialisten Wilhelm Weitling deklamierte: „Ich bin ein kleiner Kommunist und halte nichts vom Geld, weil unser Meister Jesus Christ davon ja auch nichts hält.“
Sie musste sich in dem neuen Deutschland zurechtfinden, und das tat sie, indem sie es erst einmal verließ. Zusammen mit einer Freundin machte sie sich in die USA auf. Einfach ins Flugzeug gesetzt haben sich die beiden und sind losgeflogen. Mit miserablen Englischkenntnissen und einer Kreditkarte, die dort nicht funktionierte. Gearbeitet hat sie als Au-pair-Mädchen, Zeitungsausträgerin, Helferin bei einer Organisation namens „food not bombs“ (Nahrung statt Bomben) und Kettenfädlerin. Die Ketten wurden aus ich weiß nicht was gefädelt – aber da war ein Laden in
der Haight Street in San Franzisko, der verkaufte so was.
Zurück in Deutschland, bewarb sie sich an der Burg Giebichenstein – Hochschule für Kunst und Design in Halle. Natürlich fiel sie durch die Aufnahmeprüfung. Nur wenige schaffen es auf Anhieb. Sie hatte das schon vorher gewusst, denn die Arbeiten, mit denen sie dort antreten wollte, hatte sie zuvor ihrem Vater vorgelegt – und schon vor ihm nicht bestanden. Der Bruch zwischen Kindheit und Erwachsensein ist radikal, und man muss sich als Erwachsene(r) erst wieder neu dahin vorarbeiten, wo man als Kind schon einmal war. Das Großereignis ihrer Kindheit war der Besuch des Grünen Gewölbes in Dresden, wo der „Hofstaat des Großmoguls Aureng Zeb“ es ihr besonders angetan hatte. Danach entstand ein Großmogul aus Ton und bunt bemalt, der lange einen Platz hatte im Bücherregal ihres Vaters. Aber so weit war sie jetzt noch nicht wieder. Sie lernte erst einmal Goldschmiedin an der Staatlichen Zeichenakademie Hanau. „Ich habe meine Entscheidungen immer aus dem Bauch heraus getroffen. Ich wollte Schmuck machen. Und ich wollte nach Halle, nicht nach München oder nach Amsterdam, das doch das Mekka aller Schmuckkünstler ist. Warum? Ich hätte es nicht sagen können. In Halle galt: Man muss auch mal an einem Stück ein halbes Jahr leiden. Ich wusste das zwar damals nicht, aber ich ahnte es doch instinktiv. Diesen Weg wollte ich gehen.“ Nach der nächsten Bewerbung und nach Abschluss der Goldschmiedeausbildung kam endlich die Zulassung für die Hochschule in Halle und dann, während des Studiums, noch ein Stipendium für ein Jahr in Prag.
„Das Schöne beim Schmuck ist das Handhabbare. Meine Arbeit ist mehr eine bildhauerische als eine Goldschmiedearbeit. Ich mache keine Zeichnung, die ich dann ausführe. Meine Arbeit lebt von Versuch und Irrtum und davon, dass ich in einen Dialog eintrete mit dem Material. Mein Lieblingsmaterial ist Silber. Das warme Grau mit dem braunen Schimmer – das liebe ich. Wenn ich es zwischendurch in Schwefelsäure lege, um es wieder weiß zu machen, dann komme ich mit der Oberfläche nicht mehr klar.“
Diplom und Familiengründung fallen zusammen. Inzwischen ist sie Mutter von zwei Kindern und selbständige Schmuckgestalterin. Ausgestellt hat sie u.a. in San Francisco und in Nijmegen, wo sie auch ihre künstlerischen Arbeiten verkaufen kann. Außerdem fertigt sie Schmuck für Kinder, weil sie davon überzeugt ist, dass schon kleine Menschen mit Wertvollem geschmückt werden sollten. Und sie bietet Goldschmiedekurse an. Dabei macht sie die Erfahrung, dass Frauen weniger für sich selbst als für andere Schmuck machen wollen – und auch die Männer produzieren nicht für sich, sondern für Frauen. Dabei ist ein Schmuckstück eine hervorragende Möglichkeit, sich selbst auszudrücken: Was ich von mir nicht sagen kann oder sagen will, sagt mein Schmuck. Ich glaube, dass dies auch eine Rolle gespielt hat bei ihrem sturen Festhalten an dem Wunsch, sich in der Kunst der Schmuckherstellung auszubilden und sich dadurch ein Stück von der Familie zu emanzipieren, wo der Kopf und das Wort so eine große Rolle spielen.
Im Studium an der Burg Giebichenstein wird auf sehr direkte Weise Lebensgefühl, Selbstwert und Selbstdarstellung angesprochen, und die Wahrnehmung erfolgt unmittelbar sinnlich. Und dieses Feld sinnlicher Wahrnehmung und sinnlichen Ausdrucks ist Sybilles Feld.
Andrea Richter, geb. 1944, hat, nach einer Ausbildung zur Krankenschwester, in Halle und Naumburg Theologie und Pädagogik studiert. Nach ihrem Vikariat war sie ab 1972 im Jugendpfarramt Naumburg a.d. Saale. Von 1986 bis zum Eintritt in den Ruhestand im Mai d.J. leitete sie das Frauenwerk der Ev.-Luth Kirche Thüringen (seit 2005 Frauenarbeit der EKM).
Anmerkungen
1 „Art Déco“ ist die Kurzbezeichnung für frz. „art décoratif“ (Dekorative Kunst) und Abkürzung für die erste internationale Ausstellung von Objekten des neuen Kunstgewerbes, der „Exposition des Arts Décoratifs et Industriels Modernes“ in Paris (1925).
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