Ausgabe 1 / 2009 Andacht von Luise Metzler

Tabitha, steh auf!

Andacht zu Apostelgeschichte 9,36-42

Von Luise Metzler


Votum zu Beginn
Gott ist die Kraft, die unser Leben trägt, stärker als der Tod.
Jesus macht uns Mut, gegen Leid und Unrecht aufzustehen.
Gottes Geist stärkt unsere Hoffnung, Gottes Zukunft zu vertrauen. Amen.

Lied
Wenn das Brot, dass wir teilen
EG 667, Verse 1+2

Psalmgebet
Alle:
Ich will die Ewige segnen die ganze
  Zeit,
immerfort soll mein Mund ihr zujubeln.

im Wechsel:
Über die Ewige soll meine Lebenskraft
  jubeln,
Die gebeugt sind, werden es hören, 
  sie werden sich freuen.
    Bewundert die Ewige mit mir,
    lasst uns zusammen ihren Namen
    erheben.
Als ich die Ewige suchte, da antwortete
  sie mir,
aus meiner ganzen Furcht zog sie mich
  heraus.
     Sie blickten auf zu ihr und strahlten vor Freude,
     ihr Angesicht wird nicht beschämt.
Die gebeugt sind, riefen – die Ewige
  hörte
und sie befreite sie aus all ihren
  Bedrängnissen.
      Der Engel der Ewigen lagert sich
      schützend um die,
      die sie fürchten, und rettet sie.

Alle:
Fühlt und seht, wie gütig die Ewige ist.
Glücklich der Mann, die Frau, die sich bei ihr bergen.
Segnet und singt Gott! Macht Gottes Namen groß!


Ansprache
„Wenn das Brot, das wir teilen, als Rose blüht…; wenn die Hand, die wir halten, uns selber hält…; wenn der Trost, den wir geben, uns weiter trägt und der Schmerz, den wir teilen, zur Hoffnung wird“ – so singen wir oft beim Abendmahl. Wir feiern die Gemeinschaft mit Gott und den Menschen und hoffen, dass diese Gemeinschaft trägt und dass Menschen in ihr leben können: „Dann hat Gott unter uns schon sein Haus gebaut. Dann wohnt Gott schon in unserer Welt.“ Es ist ein Hoheslied auf die Gemeinschaft mit Menschen, mit denen wir zusammenleben, von denen uns Gutes geschieht und denen wir Gutes sind. Wir Menschen brauchen einander, sind auf Gemeinschaft angewiesen. Das steht schon auf den ersten Seiten der Bibel. Gott selbst erkennt: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist.“

Was aber ist, wenn solche Gemeinschaft plötzlich zu zerbrechen droht? Wenn plötzlicher Tod eines Menschen anderen den Boden unter den Füßen wegzieht, weil sie ihre Lebensgrundlage verlieren? Eine Geschichte davon steht im Neuen Testament. Sie erzählt, dass das Leben stärker ist als der Tod, weil Menschen zusammenstehen und einander brauchen. Es ist die Erzählung von der wunderbaren Rettung der Jüngerin Tabitha. Ich lese aus Apg 9,36-42 (Übersetzung L.M.):

36In Joppe gab es eine Jüngerin namens Tabitha, was übersetzt „Gazelle“ heißt. Sie war reich an guten Werken und an Taten der Gerechtigkeit, die sie immer tat. 37Es geschah aber in jenen Tagen, dass sie krank wurde und starb. Sie wurde gewaschen und im oberen Raum aufgebahrt.
38Da aber Lydda nahe bei Joppe liegt, bekamen die Jüngerinnen und Jünger zu Ohren: „Petrus ist dort!“ Sie schickten zwei Männer zu ihm, um ihn herbeizurufen: „Komm unverzüglich herüber zu uns!“ 39Petrus stand auf und ging mit ihnen. Als er ankam, wurde er hinaufgeführt in den oberen Raum. Alle Witwen kamen zu ihm, weinten und präsentierten alle Unter- und alle Oberkleidung, die Tabitha hergestellt hatte, als sie mit ihnen zusammen war. 40Petrus wies alle hinaus, beugte die Knie und betete, wandte sich dem Leichnam zu und sprach: „Tabitha, steh auf!“ Sie öffnete ihre Augen, und als sie Petrus sah, setzte sie sich auf. 41Er reichte ihr eine Hand, half ihr aufzustehen, rief die Heiligen und die Witwen herbei und stellte sie ihnen als Lebendige vor Augen. 42Das wurde in ganz Joppe bekannt, und viele kamen hinzu, die Jesus vertrauten.


Lied
Wir haben Gottes Spuren festgestellt (EG 648)


Ansprache
Die Geschichte ereignet sich in den ersten Jahren nach Jesu Tod, als erste Jesus-Gemeinschaften sich gebildet hatten. Eine davon lebt in Joppe, einer Stadt im Grenzland Israels. Zu dieser Gemeinschaft gehörte Tabitha, eine Jüngerin, wie der Text ausdrücklich sagt. Es gab sie also, die Frauen, die Jüngerinnen waren – selbst wenn manche es bis heute kaum wahrhaben wollen. Für die Apostelgeschichte ist es selbstverständlich. „Jüngerin“ war offenbar ein vertrauter Begriff in den ersten Gemeinden.

Was ist darunter zu verstehen? Jüngerinnen und Jünger sind Frauen und Männer, die die Hebräische Bibel, die Tora, studieren und ihre Lebenspraxis danach ausrichten. Für Tabitha als Jüngerin Jesu heißt das, sich der Tora-Lehre des jüdischen Lehrers Jesus anzuschließen und sie mit Worten, also mit Verkündigung, und mit Taten zu bezeugen. Letzteres betont der Text: „Tabitha war reich an guten Werken und an Taten der Gerechtigkeit, die sie immer tat.“ Solche Werke sind in jüdischer Tradition: Fremde aufnehmen, Kranke besuchen, Witwen und Waisen unterstützen, aber auch die Kinder beim Tora-Studium anleiten und Frieden stiften zwischen Menschen, die verfeindet sind. Menschen, die so handeln, so singen die Psalmen, erfüllen die ganze Welt mit Gottes Liebe. Denn für Menschen da zu sein ist Zeichen von Recht schaffender Liebe zu Gott. Jesus preist solche Menschen selig. Sie kennen sicher seine wunderbaren Worte: „Selig sind, die für den Frieden arbeiten! Selig sind die Barmherzigen!“(1)

Tabitha handelte innerhalb dieser Tradition. Sie unterhielt einen Handwerksbetrieb, in dem Textilien verarbeitet wurden. Damit garantierte sie Arbeitsplätze. Diese boten gerade den Ärmsten – Witwen, freigelassenen Sklavinnen – eine Möglichkeit zu überleben, ohne dass Tabitha eine vermögende Frau im Sinne einer Fabrikantin gewesen wäre. Im Gegenteil: Die Bibel erzählt, dass sie Kleidung hergestellt hatte, als sie mit den anderen Frauen zusammen war.(2) Sie hat also aktiv in der Werkstatt mitgearbeitet. Tabitha wird, soweit sie konnte, beides getan haben: betriebsfremde verarmte Witwen gekleidet sowie Arbeitsplätze unterhalten haben. Textilarbeit war eine gesellschaftlich verachtete, schmutzige Niedriglohntätigkeit, die zu den typischen Frauenberufen gehörte. Der Verdienst einer Textilarbeiterin reichte kaum zum Lebensunterhalt aus. Wie heute etwa viele Putzfrauen konnten Arme darauf keine Rücksicht nehmen, denn es ging um ihr tägliches Brot. Zumal auch damals die Arbeitslosigkeit immens war.

Tabitha wird krank und stirbt. Ihr Tod gehört zu dem Sterben, dass es um Gottes Willen im neuen Himmel und der neuen Erde nicht mehr geben soll:
„Ja, schau: Ich schaffe einen neuen Himmel und eine neue Erde.
Dort wird kein Weinen mehr gehört werden und kein Klagen.
Dort wird es nicht mehr geben: Säuglinge, ein paar Tage alt und doch schon vergreist,
die nicht ihre Tage erfüllen.
Sie gebären keine Kinder für einen plötzlichen Tod
denn sie sind Nachfahren der von Gott Erwählten.“(3)

Die Gemeinschaft in Joppe wendet sich der Toten in Liebe zu. Sie lässt ihr Gerechtigkeit widerfahren, wie Tabitha es lebend für die anderen tat. Eine Tote zu waschen und aufzubahren gehört zu den Liebeswerken der Tora. Tabitha wird im oberen Raum aufgebahrt, dem Versammlungs-, Gebets- und Wohnraum. Damit öffnen sie einen Raum für öffentliches Klagen und Beten.

Tabithas Tod hinterlässt eine Lücke. Als geliebter Mensch? Darüber schweigt der Text. Diesen Akzent hat er nicht im Auge. Auf jeden Fall aber als eine Frau, deren Leben und Handeln das Leben für andere existenziell wichtig war. Ob die Bitte: „Unser tägliches Brot gib uns heute!“ sich erfüllt, hing damals wie heute oft davon ab, ob Frauen einen Arbeitsplatz haben, der Geld für das tägliche Brot garantiert.

Die Witwen halten Petrus dieses mit den Kleidern deutlich vor Augen und bringen es ihm zu Ohren mit der Stimme des Klagens und des Weinens. Petrus lässt sich einbeziehen. Er solidarisiert sich mit den Menschen in Joppe. Betend wendet er sich an Gott. Petrus bezieht Gott mit ein und wird darin zur Stimme der Gemeinde. Ein Wunder geschieht: Tabitha steht auf. Tabitha kehrt zurück ins Leben, in die Gemeinschaft. Diese Gemeinschaft war zerstört durch ihren Tod. Mit Tabithas Auferstehung hat die Gemeinschaft, zu der Tabitha gehört, wieder eine Zukunft.

Und sie erzählen es weiter. „Es wurde aber bekannt in ganz Joppe, und viele kamen hinzu, die Jesus vertrauten“, lesen wir in Apg 9. Nach der Stimme des Klagens und Weinens, der Verzweiflung und der verzweifelten Hoffnung, die Tabithas Tod begleiteten, erklingt jetzt ein jubelndes, Gott segnendes Erzählen des Wunders: „Gott lässt uns nicht allein. Gott will, dass wir leben – und mit uns Tabitha!“ Dieses Erzählen macht Mut – bis heute. Es lädt ein zu fragen, wo heute in unserer Welt Menschen füreinander da sind und einander zum Segen werden, etwa wenn es wie in Joppe um den Verlust von Arbeitsplätzen geht. Denn es sind nicht nur die großen Geschichten, die von Leben und Tod, die uns zeigen, wie sehr Menschen sich gegenseitig brauchen. Es sind auch diese kleinen, die alltäglichen und dennoch so besonderen Begebenheiten. Jede und jeder von uns kann Geschichten erzählen von Menschen, die in unserem Leben wichtig sind, unverzichtbar, die dann da waren, als wir sie gerade am nötigsten brauchten – Gottlob! Und vermutlich können auch andere von uns solche Geschichten erzählen. Darüber, dass auch wir uns für andere eingesetzt haben und dass diese uns dankbar sind.

Manchmal sagen wir dann – oder bekommen es selbst zu hören: „Du bist ein Engel!“ In all diesen Geschichten spüren wir, dass Gott in unserer Mitte ist. Gott ist dort, wo Menschen solidarisch miteinander leben und einander so zum Segen werden. „Wenn das Brot, das wir teilen, als Rose blüht … dann wohnt Gott in unserer Welt!“ Lassen Sie uns singen und so Gott und Menschen danken. Amen!


Lied
Wenn das Brot, dass wir teilen
EG 667, Verse 3-5


Gesprächsimpuls
Erzählen Sie einander Geschichten davon, wie Menschen bei Verlust eines Arbeitsplatzes einander brauchen und füreinander einstehen.


Fürbitten
Nach jeder Fürbitte stimmen alle ein in den Liedruf: „Dein Reich komme, Gott!“ (EG 675)

– Gott, wir bitten dich für alle, deren Arbeitsplatz bedroht ist, weil es „sich nicht rechnet“, weil der Markt und der Gewinn wichtiger sind als die Menschen. Gib den Verantwortlichen Einsicht. Öffne ihnen Herz und Verstand, damit sie erkennen, dass Mitmenschlichkeit mehr einbringt als Profit um jeden Preis. Dein Reich komme, Gott!

– Wir bitten dich für alle, die keinen Arbeitsplatz haben. Lass sie nicht verzweifeln. Gib ihnen Menschen, die sie bei der Suche unterstützen und die ihnen helfen, mit Absagen umzugehen. Dein Reich komme, Gott!

– Wir bitte dich für alle, die Angst um ihre Arbeitsstelle haben, weil sie krank sind, weil gesagt wird, sie seien zu alt, oder weil sie Frauen sind und schwanger werden könnten. Hilf, dass solch unmenschliche Kalkulation aufhört. Dein Reich komme, Gott!

– Wir bitten dich für alle, die einen Arbeitsplatz haben. Schenke ihnen Arbeitsbedingungen, die nicht kränken und krank machen, sondern gutes, erfülltes Leben sind. Lass sie in einer Gemeinschaft von Frauen und Männern zusammen arbeiten, die trägt. Dein Reich komme, Gott!

– Gott, was uns noch am Herzen liegt, sagen wir dir in der Stille. Du hörst es, wenn wir es dir sagen. Du hörst es auch, wenn wir keine Worte dafür finden.


Stille


Vater unser


Lied
Ubi caritas et amor (EG 587)


Segen
GOTT hält das Leben in der Hand und gebe, dass eure Gedanken und Worte und Taten heilen, helfen und Leben behüten. Lasst uns im Segen GOTTES gehen.
GOTT segne und behüte dich. Möge dies GOTTES Wille sein.
GOTTES Angesicht leuchte über dir; GOTT sei dir gnädig. Möge dies GOTTES Wille sein.
GOTTES Angesicht sei über dir erhoben; GOTT gebe dir Frieden. Möge dies GOTTES Wille sein. Amen.

aus: Jonathan Magonet (Hg.):
Das jüdische Gebetbuch, 1997


Luise Metzler, 58 Jahre, hat nach einigen Jahren Arbeit als Grund- und Hauptschullehrerin und anschließend längerer Arbeit in Familie und Ehrenamt Theologie studiert. Zurzeit promoviert sie an einer Arbeit über Rizpa (2 Sam 21) und ist zuständig für das Marketing ahzw, daher auch Mitglied im Redaktionsbeirat der Arbeitshilfe.


Anmerkungen:

1 Mt 5,9+7.
2 Apg 9,39.
3 aus Jes 65,17ff.


Literatur

Ivoni Richter Reimer: Frauen in der Apostelgeschichte des Lukas, Gütersloh 1992
Luise Metzler: Auferstehung (Apg 9,36-42), in: Dietlinde Jessen, Stefanie Müller (Hgg.), Entdeckungen. Ungewöhnliche Texte aus dem neuen Testament. Grundlagen – Auslegungen – Kreative Zugänge, Stuttgart 2003, 152-162.

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