Ausgabe 2 / 2013 Material von Christoph Schmidt-Petri, Franz Himpsl

Tabuthema Gewebespende

Von Christoph Schmidt-Petri, Franz Himpsl


Wer der Organspende uneingeschränkt zustimmt, willigt damit auch in die Entnahme von Geweben ein. Der Mensch kann so zum Lieferanten von Knochenmehl, Haut und Sehnen werden – und es darf bezweifelt werden, dass sich alle potenziellen Spender dessen bewusst sind. Es ist nahezu unbekannt, dass gespendetes Gewebe in gemeinnützigen Institutionen wie dem Deutschen Institut für Zell- und Gewebeersatz (DIZG) gereinigt, aufbereitet und weiterverarbeitet wird. Knochen beispielsweise werden zu Knochenmehl gemahlen oder in gebrauchsfertige Formate gestückelt. Das Endprodukt gilt de jure als Arzneimittel und wird den Ärzten auf den üblichen Vertriebswegen zur Verfügung gestellt.

Es herrscht Aufklärungsmangel. Weder die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) noch die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) scheinen sonderlich darum bemüht zu sein, auf ihren Internetseiten und in ihren Informationsbroschüren die notwendige Differenzierung von Organ- und Gewebespende vorzunehmen. Vielmehr scheint man bestrebt, das vielleicht verstörende Thema Gewebespende durch das zwar ebenfalls heikle, aber insgesamt deutlich positiver besetzte Thema Organspende zu überlagern. So prangt auf der Titelseite einer BZgA-Broschüre, die über die Gewebespende informieren soll, ein bunter Schriftzug der Testimonial-Kampagne „Organpaten“, die für eine „persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema Organspende“ wirbt. Am Fuß der Seite ist der Slogan „Organspende schenkt Leben“ zu lesen. Es geht in der Broschüre, wie gesagt, um die Gewebespende.

Auch wenn es sich bei der Verwertung einer Gewebespende formalrechtlich nicht um eine kommerzielle Nutzung des menschlichen Gewebes handelt, dürfte die Vorstellung bei potenziellen Gewebespendern für Unbehagen sorgen, dass Teile des eigenen Körpers als Arzneimittel auf den Markt kommen und damit gehandelt wird wie mit allen Arzneimitteln. Die Rede vom menschlichen Ersatzteillager scheint da nicht übertrieben. Zumal diese Praxis anders als bei der Organspende kaum der Vorstellung einer lebensrettenden „Spende“ entspricht, eines Geschenks also an eine einzelne, vielleicht vom Tode bedrohte Person. Der aktuelle DIZG-Katalog hat ein entsprechendes Angebot: hochwertige Knochenchips, „gemahlen mit der Spierings Bone Mill“. Komplette Achillessehnen und Patellasehnen mit vorgeformten Knochenansätzen. Menschliche Haut, zellfrei und gefriergetrocknet, in Größeneinheiten von einem Quadratzentimeter bis hin zu Gewebeflächen von 16 mal 24 Zentimetern. Weichgewebe, knorpelfreie Oberschenkelknochenköpfe, Teile des Schienbeins in Span- und Keilform.

Kein Zweifel: Bei all dem handelt es sich um medizinisch nutzbringende Mittel, die dazu beitragen können, das Leiden Kranker zu mildern – wenn auch nicht so unmittelbar wie die Organspende. So gäbe es denn an der Praxis der Gewebespende nichts auszusetzen, wenn man denn davon ausgehen könnte, dass diejenigen, die ihre Zustimmung zur Organ- wie auch Gewebespende kundtun, wissen, welchen Verfahren und Praktiken sie eigentlich zustimmen. Es spricht nicht viel dafür, dass dieses Wissen existiert. Es kann eine schockierende Erfahrung sein, wenn ihnen ungeschönt vor Augen geführt wird, worüber sie eigentlich eine Entscheidung treffen und welchen Verfahren sie ihre Zustimmung mit der Einwilligung in die Gewebespende erteilen sollen. Umfassende Aufklärung über Sinn und Zweck der Gewebespende wie über die dabei eingesetzten Verfahren tut not. Es ist legitim, wenn eine Gesellschaft von sich fordert, dass möglichst viele ihrer Bürger die Einwilligung in die postmortale Entnahme von Organen und Gewebe geben. Dadurch kann tatsächlich vielen Kranken geholfen werden, die auf diese Spenden angewiesen sind. Nicht erstrebenswert ist es hingegen, dass diese große Chance für die Medizin durch mangelnde, verschleppte oder verschleierte Information vertan wird. Gewebe und Organe von unzulänglich informierten, unaufgeklärten Spendern: Das kann niemand wollen.


Christoph Schmidt-Petri
und Franz Himpsl
aus:
Tabuthema Gewebespende
in:
SZ vom 31. Mai 2012
vollständiger Artikel:
http://www.sueddeutsche.de/
gesundheit/organspende-tabuthema-gewebespende-1.1370332

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